Ich schätze diese Tage sehr. Diese Tage, an denen meine Mitbewohnerin nicht hier ist. Sondern in Polen oder auf den Philippinen. Derzeit ist es unser Nachbarland, das sie aus diversen Gründen bereist, sodass ich mich hier zuhause für einige Tage grenzenlos selbst verwirklichen kann. Meine einzige Pflicht, die sie mir noch auferlegt hat, ist die, „Elmex Gelée“ zu kaufen, was ihr gerade auf der Fahrt nach Polen einfiel, als sie diesen LKW sah:

elmex

Der LKW hat offenbar dasselbe Ziel wie sie. Ansonsten bin ich frei von Verpflichtungen für die nächsten Tage und fröne auch exzessiv dem Eskapismus, wohl um seine Nachteile und böses Erwachen wissend.

Nun verhält es sich mitnichten so, dass ich froh bin, wenn sie aus dem Haus ist. Aber es ist ja wohl unbestreitbar, dass für beide an einem Verhältnis Beteiligten ein paar freie Tage, die nicht gleich „Auszeit“ sind, durchaus erfrischend sein können. Denn sie schränkt mich ja auch dann, wenn sie anwesend ist, in nichts ein, was sich auch umgekehrt so verhält und vermutlich Teil eines Erfolgsrezeptes ist. Denn nichts hasse ich mehr, als Dinge unterlassen zu müssen, die ich tun will (natürlich ohne jemandem dabei zu schaden, klar.).

Völlig überraschend werde ich in diesen Tagen vielleicht auch selber wegfahren, völlig überraschend aber möglicherweise auch nicht. Das ist ja das Tolle: Es steht mir alles offen. Gestern Abend – sie bereits weg -, stand ich vor der ersten schwierigen Wahl zwischen Möglichkeiten: Kochen oder Bestellen?

Die Entscheidung wollte ich mir bereits am Morgen vereinfachen, indem ich für eine Mahlzeit entsprechende Lebensmittel besorgte, um sie abends zu verkochen. Da wären beispielsweise die Kartoffeln, vorwiegend festkochend, zwei Kilogramm. Ich bin extremer Kartoffel-Fan. Ein einfaches Produkt, gesund und wohlschmeckend. Nur: Man muss die Dinger schälen. Ja, man muss nicht, aber ich bin des Pellens nach dem Kochen überdrüssig. Ich schäle also vorab. Nun weiß ich ja, dass wenn ich abends hungrig nach Hause komme, ich wenig Lust habe, mich einem Kochvorgang hinzugeben. Schon gar nicht gelüstet es mich nach dem Schälen von Kartoffeln. Um diese Hürde etwas abzusenken, baute ich bereits gestern Morgen alles dafür Notwendige auf. Topf, „Schälehilfe“ und Zeitungspapier für die Schalen. Kartoffeln schäle ich zudem immer vor dem Fernseher, da es mich sonst gnadenlos langweilt.

Zudem kaufte ich Hähnchenfilet. Und das sage ich jetzt einmal ganz deutlich: Es ist abgepackt, medikamentenverseucht und günstig. Ich bewege mich da gegen den Trend, was aber auch damit zu tun hat, dass mein Metzger mit seinem Fleisch aus der Region wegen eines Todesfalles in der Familie sein Geschäft seit vorgestern geschlossen hält. Ich weiß, Veganer, Vegetarier, Ihr kotzt gerade in allen Regenbogenfarben. Und Ihr seid moralisch auf der richtigen Seite.

Während des Arbeitstages stellte sich mir immer mehr die Frage, ob ich wirklich kochen würde oder nicht doch lieber bestellte. Geliefertes Essen hat sehr viele Nachteile: Es schmeckt im Gegensatz zu Selbstgekochtem eher nicht so gut, ist teurer und liegt einem mitunter ungünstig im Magen. Aber: Dieses Drecksessen appelliert an eben die niederen Instinkte, die ich bis zum Abend nicht mehr unter Kontrolle habe: die Lust nach schnellem Essen. Ich weiß es besser. Doch die Instinkte, sie übernahmen bis etwa 20 Uhr die volle Kontrolle über mich.

Doch da war das Hähnchenfilet. Von dem ich nun nicht wusste, wie lange es wohl haltbar ist. Der Aufkleber „Aktionspreis“ spricht eher für bereits abgelaufen als für noch haltbar. Ich beschloss, das MHD zum entscheidenden Faktor zu machen, ob ich nun selber koche oder ordere.

Ich mache es kurz: Glückshormone brachen sich Bahn, als ich sah – mit Erstaunen! -, dass das Filet noch fünf Tage haltbar ist. Was ich bedenklich lang finde. Aber: Damit war die Entscheidung zugunsten einer Online-Bestellung gefallen.

„Smiley’s Pizza Profis“ mit Deppen-Apostroph habe ich bislang noch nie ausprobiert und durfte sogar feststellen, dass bei denen selbst eine „Pizza Hotdog“ schmeckt! Nicht nach Pizza. Aber nach Hotdog. Und ich bin massiver Hotdog-Fan. Dazu noch ein Hotdog-Baguette sowie eine Pizza Salami.

Diese Menge ist für mich nicht ungewöhnlich, da ich Abende wie jenen gestern zelebriere. Nach den Chips „Hot Paprika“ allerdings dachte ich, dass Kochen die bessere Idee gewesen wäre. Doch das hole ich heute definitiv nach, wenn ich nicht nach Münster, meine Heimat, reise. Das ist noch nicht ganz entschieden.

An solchen Tagen wie derzeit, wenn ich Strohwitwer bin, brauche ich nicht viel. Ich plane die totale Entspannung über Ostern, wobei mich Unterhaltungselektronik begleiten wird. Stichwort Eskapismus. Sehnsüchtig erwarte ich die Veröffentlichung des vierten Teils der Videospielreihe „Doom“. Das allerdings wird noch bis Mai dauern, daher werde ich mich heute anderen Spielen am Fernseher widmen, in denen es darum geht, auf Nazis zu ballern. Da gibt es einen Level, der spielt in so einer Art Arbeitslager und es wird einem wirklich schlecht, da es den Spielemachern von „Wolfenstein: The New Order“ gelungen ist, die unmenschliche Atmosphäre einer Nazi-Herrschaft in das Spiel hinein zu transportieren. Beim ersten Durchspielen war ich sogar regelrecht schockiert. Aber da die deutsche Fassung des Spiels aus unbegreiflichen Gründen von Hakenkreuzen befreit worden ist, obwohl sie als verfassungsfeindliche Symbole ja durchaus Teil der Handlung, die Spiele heutzutage nun einmal haben, sind, handelt es sich ja gar nicht um Nazis!

Derweil hat meine Mitbewohnerin noch rund 600 Kilometer vor sich. Viel Spaß. Bei mir sind es etwa 50 Meter, die ich heute zurücklegen werde, da Küche und Wohnzimmer nur wenige Meter trennen. Es sei denn, ich setze endlich den Plan um, um den ich mich seit Stunden drücke: Ich muss neue Laufschuhe kaufen. Ich hasse das. Es ist eine lästige, notwendige Pflicht. Da kaufe ich lieber „Elmex“. Doch zu meiner Strohwitwer-Zeit gehören auch ausgeprägte lange österliche Läufe. Und für die brauche ich zweifellos neues Schuhwerk, da die Sohle der alten, ein Jahr lang gelaufenen bereits derart geplättet ist, dass mein Knie, links, Opfer einer Fehlstellung geworden ist, sodass es sich via Schmerz äußert, sobald ich es benutze. Und so ein Knie, das benutzt man oft.

Freunde der Strohwitwer-Abenteuer wissen, dass ich diese Zeit auch für einen umfangreichen Wohnungsputz nutze. Denn ich mag es steril, symmetrisch und eben ordentlich. Meine Mitbewohnerin hat dahingehend eher andere Interessen. Auf diese Weise gelange ich für einen kurzen Zeitraum weniger Tage in den Genuss einer absolut keimfreien Lebenszone. Karfreitag, wenn andere Menschen ihre Familie besuchen, entferne ich Fett von den Küchenschränken, das sich durch mehrmaliges Kochen ganz oben abgesetzt hat. Weil ich ja clever bin, sind die Schränke oben mit Zeitungen ausgelegt. Und wie ich gerade mit Schrecken feststelle, handelt es sich um Zeitungen aus dem Jahr 2012, was bedeutet, dass ich seit vielen Jahren diesen notwendigen Reinigungsvorgang vor mich herschiebe.

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Eine Mischung aus Staub und Fett ist für den Sepia-Ton verantwortlich. So also mischt man Sepia.

Jedes Jahr, wenn ich neue Laufschuhe kaufe, suche ich verzweifelt nach dem Bonus-Heft. Denn nach zehn Paar Schuhen bekommt man eines umsonst. In einem halben Jahrzehn ist es soweit. Wenn ich denn dieses Bonusheft wiederfinde. Meine Mitbewohnerin schrieb mir gerade, wo ich es zu suchen hätte und mir wird klar, warum ich Freund der Ordnung bin. Denn Ordnung heißt, nicht suchen zu müssen, sondern finden zu können. Das Bonusheft allerdings befindet sich in ihrer „Ordnung“, sodass ich mich einem Chaos ausgesetzt fühle, dessen ich nicht Herr werde.

Das ist ein klein wenig gemein, denn es entsteht der Eindruck, sie sei absolute Chaotin. Das ist nicht so. Aber im direkten Vergleich mit mir ist sie das. Ich beanspruche aber auch keinerlei Normalität für meine Person. Auch das ist mir vor einiger Zeit bewusst geworden, hadere aber nicht damit.


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