20160324_163024v.l.n.r.: alter Schuh, neuer Schuh

Gerne gehe ich Verkäufern aus dem Wege, wo es geht. Doch spätestens beim Auto-Kauf wird es schwierig. Daher habe ich heute schon einmal geübt und mir (endlich) neue Laufschuhe gekauft. Auch da ist ein Verkäufer ratsam, wobei ich gerade für Laufschuhe nicht in beliebige G’schäfterl gehe, sondern nur in Fachgeschäfte. Denn dort tummelt sich Verkaufpersonal, das selber läuft und wirklich weiß, wovon es redet. Zum einen kenne ich meinen Verkäufer und weiß um seine Vorgeschichte und zum anderen schmückt sich das Geschäft auf seiner Seite im Netz mit seinen Sportwissenschaftlern. Es bediente mich wie im vergangenen Jahr Herr Einspenner, ein Mann, der also weiß, wovon er redet und dessen Verkaufsvorgang mir nicht ansatzweise unangenehm ist. Ich hatte vorab gehofft, abermals auf ihn zu treffen. Bärte unter sich.

Wohlkalkuliert besuchte ich das Ladenlokal an einem Donnerstag auf. So war ich der einzige Kunde und wurde direkt von Herrn Einspenner umworben. Den Namen hätte ich mir nicht besser ausdenken können.

Vor dem Laden war eine rote Ampel. Das ist nicht etwa der Beginn einer kracher Geschichte, sondern der Hauptteil einer Anekdote. Eine Gruppe von Flüchtlingen, die ich trotz des unsäglichen „lingen“ so nenne, es aber nicht wertend meine, stand mit einer vermeintlichen deutschstämmigen Frau (man laviert in diesem Zusammenhang, es ist zum Kotzen) an jener Ampel und erklärte, was es bedeute, wenn es Rot ist. Ich überlegte kurz, bei Rot zu gehen, um Verwirrung zu stiften, aber da ich ja wie schon einmal geschrieben risikoavers bin, blieb ich selbstredend stehen, wie ich es auch in Anwesenheit von Kindern an Ampeln tue. Die Anekdote ist hiermit beendet, obwohl mir gerade einfällt, dass ich heute darüber las, wie die Bundesregierung Flüchtlinge über das Sexualverhalten hierzulande aufklärt. Es ist unglaublich. Also mal ehrlich, Ficken kann doch jeder.

Wie dem auch sei, ich betrete den Laden, in dem ich vermutlich später auch laufend eine Runde drehen würde. Das mache ich immer ungern und tue es nur, um den Verkäufer zu befriedigen.

Herr Einspenner wird etwas ärgerlich, als ich ihm sage:

„Hallo! Ich brauche neue Laufschuhe!“

Ich packe meine alten aus der „Kaiser’s“-Tüte, damit er sieht, welchen Teil der Sohle ich belaste und exklamiere weiter:

„Ich laufe etwa 50 Kilometer pro Woche, im Frühjahr mehr, überwiegend Asphalt. Auf dem Vorfuß.“

„Oh, ich seh‘ schon. Ihre alten sind mehr als kaputt.“

Böse blickt er mich an. Ich weiß es ja selber besser, ich laufe sie immer zu lange. Das sag‘ ich ihm völlig entwaffnend auch direkt.

„Ich weiß es ja selber besser, ich laufe sie immer zu lange. Das sag‘ ich Ihnen völlig entwaffnend auch direkt.“

„Ja, im jungen Alter denkt man, der Körper kann das abfedern. Aber auch Sie werden irgendwann merken, dass es besser wäre, die Schuhe häufiger zu wechseln. Wie lange trugen sie diese?“

„Ziemlich genau ein Jahr. Oder nein, seit Juno.“

„Viel zu lang! Nach 20 Wochen sollten Sie bei Ihrem Pensum die Schuhe wechseln. Noch besser wäre, Sie würden zwei Paar parallel nutzen.“

Herr Einspenner schimpft mit mir wie ein Vater seinen Sohn, der in Sandalen einen Schneemann baut.

„Ja, vielleicht komme ich in einigen Wochen und kaufe ein zweites Paar Schuh.“, lüge ich, damit ich endlich neue anprobieren kann.

Herr Einspenner verschwindet im Lager (auch schwierig) und kommt mit exakt einem Paar Schuhe wieder. Der Mann weiß, was ich brauche. Und ich sehe auch direkt, dass es sich um das Nachfolge-Modell meines alten Modells handelt, das optisch noch zweifelhafter als sein Vorgänger ist. Das aber spielt keine Rolle. Und während ich in den neuen Schuh gleite, versuche ich, klug zu klingen:

„Was genau unterscheidet nun dieses Nachfolge-Modell bis auf die Optik vom Vorgänger?“

„Hmm. Nichts.“

„Ah. Nichts.“

Ich schnüre zu, erfrage die Größe des Schuhs (44) und blicke dann sehnsüchtig auf das Laufband, da ich die Laufbandanalyse immer sehr schätze.

„Gehe ich jetzt aufs Laufband oder laufe ich erst eine Runde durch den Laden?“

„Sie laufen erst einmal eine Runde durch den Laden.“

Also laufe ich erst einmal eine Runde durch den Laden und bin wie immer verzückt, wie gut sich ein neuer Schuh auf das Laufen auswirkt. Und wie jedes Jahr denke ich: „Warum warte ich immer ein ganzes Jahr lang?!“

Wieder angekommen bei Herrn Einspenner.

„Ja, ist gut. Ist ja wie der alte Schuh. Alter Schuh aus neuen Schläuchen“, witzele ich etwas ungalant, um Herrn Einspenner etwas wohler zu stimmen. Er scheint mir wirklich noch verärgert zu sein. Und wenn er gleich im Bonusheft sieht, wann ich den letzten Schuh gekauft habe, wird er feststellen, dass „Juno“ gelogen war. Ich habe ein vorzeitiges, schlechtes Gewissen.

Dass ich 20 Minuten im Stau im Kö-Tunnel stand, ist in dem Moment vergessen.

„Ja, jetzt Laufband?“, fräge ich.

„Naja, wenn Sie Vorfußläufer sind, dann können wir uns das eigentlich sparen. Denn da machen Sie nichts falsch. Laufband ist für Fersenläufer interessant.“

Er sieht allerdings, dass ich mich schon seit Tagen auf das Laufband gefreut habe und bittet mich also, es zu betreten, es sei ja gerade nichts los im Geschäft.

Ich laufe nie auf einem Laufband, weil das höchstens Jogger tun, nicht aber Läufer. Doch einmal im Jahr zwecks Schuhkaufs tue ich das gerne. Denn: In der anschließenden Analyse kann ich mich laufend von hinten sehen. Also von hinten laufend. Das geht sonst nicht. Wegen der Augen vorne. Außerdem hoffe ich, dass Herr Einspenner mir ein Lob ob meines tollen Laufstils ausspricht. Vergangenes Jahr hat er genau das getan und da war es gar keine Frage, ob ich auf das Laufband dürfe.

Wir stehen also nach 30 Sekunden Laufbandlaufen vor dem Monitor und gucken mir von hinten beim Laufbandlaufen zu. Ich selber bin begeistert, sehe, wie gerade ich aufkomme, wie die Waden den Aufprall jeweils abfangen und die Knie überhaupt nicht belastet werden. Auftritt Herr Einspenner:

„Ja, das sieht wirklich gut aus. Sauberer Stil.“

Und dann zeigt er mir – wie letztes Jahr auch! – Laufbandanalysen von anderen Kunden. Von Fersenläufern, zu denen ich bis 2013 auch gehört habe. Und ja, man sieht einen Unterschied. Wer mit der Ferse auftritt, verschenkt Zeit, da er anders als der Vorfußexperte den Fuß noch abrollen muss, um ihn wieder vom Boden zu erheben. Das übrigens war mir bis eben nicht klar und erklärt, warum ich seit Vorfuß-Stil ohne Not schneller unterwegs bin. Des Weiteren sieht man sehr deutlich, dass Fersenläufer Gefahr laufen (!), schief aufzutreten: Über- oder Unterpronation. Das kann mit einem entsprechenden Schuh ausgeglichen werden, denn die Fehlpronation führt zu erheblichen Beschwerden, die ich auch noch sehr gut in Erinnerung habe. Davon abgesehen sieht es extrem albern aus.

Ohne überheblich sein zu wollen, stelle ich selber beim Laufen immer wieder fest, dass die meisten Läufer/Jogger, die ich so sehe unterwegs, tatsächlich falsch laufen. Übrigens kann man das bereits hören, denn der Vorfußläufer tritt eher sanft und mit wenig Fläche auf, sodass ein typisches Fersenläufer-Geräusch „tapp, tapp, tapp“ erst gar nicht entstehen kann. Und ohne jeden Seximus: Wer läuft „wie ein Mädchen“ (so sagt man ja), der läuft eben falsch. Und natürlich, auch Frauen laufen richtig. Das zur Seite Schleudern der Füße, wenn sie den Boden verlassen, ist typisches Zeichen für den falschen Stil. Dem vorderen Fußbereich wird kein Platz gelassen, um gestreckt zu bleiben, daher wird er seitlich nach außen weggeknickt. So lief ich auch jahrelang.

Die Umstellung auf den Vorfußlauf hatte bei mir mehrere Wochen gedauert; es ist wahrlich nicht einfach, aber wenn gelungen, ein Genuss.

 

Die Schuhe passen.

„Nehme ich direkt mit, brauche keine anderen mehr anzuprobieren!“, sage ich. Auf dem Weg zur Kasse greife ich mir noch drei Paar Laufsocken, die jeweils unfassbare 14,95 Euro kosten, aber meiner Erfahrung nach sein müssen. In den Socken habe ich Größe 39. In den Schuhen 44. Herr Einspenner will mir nicht glauben, dass es sich so verhält.

„Doch, doch. Die kenne ich ja sehr gut, diese Socken. Die passen.“

Während des Abkassierens, wo ich erfahre, dass auch mein 14. Paar Schuhe 140 Euro kostet, erzählt mir Herr Einspenner eine seltsame Parabel. Denn ich fragte ihn, ob „Barfuß“-Schuhe Sinn machen. Mit seiner Parabel will er mir erklären, dass sie nur wirklich äußerst bedingt sinnvoll und eher ein Trend der Indsutrie sind. Er spricht von einer großen Garage, in die man sich wohl kaum drei Ferrari stellen würde. Warum nicht?, denke ich, aber hake nicht nach, weil ich nach Hause will. Und stelle während seiner Erzählung fest, dass ich mich an meine Frage gar nicht mehr erinnern kann und so seine Parabel erst Recht nicht verstehe. Habe große Angst vor Rückfragen seinerseits, die deutlich machen, dass ich mit den Gedanken gar nicht bei ihm bin.

Nun kommt das, was ich immer so toll finde. Am Ende sagt Herr Einspenner stets:

„Viel Spaß mit den neuen Schuhen!“

Und fügt dieses Mal hinzu:

„Frohe Ostertage!“

Ich wieder draußen an der Ampel. Die Gruppe der Flüchtlinge steht dort immer noch. Ob diese Menschen, die meiner Meinung nach absolut willkommen sind, sich verarscht vorkommen?


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