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Folgende Situation: Ich fühle mich nicht wohl dabei, über diese Sache zu schreiben. Ich hoffe inständig und gehe auch relativ sicher davon aus, dass unser Metzger der Fleischerei „Nillenflicker“, die seinen Namen trägt, dieses nicht liest.

Da ich ja nur Fleisch aus der Region von Tieren auf Speed kaufe, gehe ich zumindest gelegentlich in die Metzgerei Nillenflicker, zumal sie fußläufig schnell von hier erreichbar ist. Herr Nillenflicker präsentiert sich exakt so, wie man sich einen Metzger vorstellt, leistet man seinen Klischees Vorschub: Er ist dick und trägt stets seine weiße, leicht blutverschmierte Arbeitskleidung. Betritt man seinen Laden, wird man meist von seiner Frau begrüßt. Und das ist schon irgendwie lustig: Man lässt sich von ihr bedienen, doch sobald sich der Abkassier-Vorgang anbahnt, kommt Herr Nillenflicker aus dem Hinterzimmer nach vorn an die Theke und kümmert sich um die finanzielle Transaktion. Und auch das ist wie im Film, wie es das Klischee verlangt: Er kommt immer mit Beil in der Hand nach vorn. Ein wenig wie in diesen teilweise sehr gelungenen Filmen über Metzger, die die Bevölkerungszahl ihres Dorfes durch gezieltes Schlachten dezimieren. Herrn Nillenflicker traue ich das auch zu und überlege, ob das jetzt schon eine juristisch bedenkliche Äußerung ist. Daher unterstreiche ich hier besser, dass es lediglich meine ganz persönliche Meinung ist. Ich gebe aber auch zu, dass wenn er nicht Metzger wäre, ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass er zu einem Morde im Stande ist. Es ist eben dieses Beil, mit dem er immer hinter dem Vorhang hervorkommt. Da ist er selber Schuld an dem Bild, das er abgibt. Einem Bürgermeister-Kandidaten würde man sicherlich auch raten, nicht sooft mit Schlachterbeil aufzutreten. So etwas macht misstrauisch. Naja, es regt die Fantasie an. Die Rechtschreibreform hat der Marke „Fanta“ aber wirklich in die Hände gespielt, sehe ich gerade. Ich glaube, ich schreibe ab sofort alles wieder mit „ph“.

Phieles von dem, was ich jetzt schreiben werde, basiert auf Mutmaßungen. Auf gar cehynén Fall möchte ich Herrn Nillenflicker zu nahe treten, wenn ich ihm einfach mal so unterstelle, dass er etwas mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun hat. Nur soviel: Hack bestelle ich bei ihm erst einmal nicht mehr.

Es begann vor einer Weile. Ich wollte Fleisch aus der Region kaufen. Für eine andere Region, meine Magenregion. Fleischerei Nillenflicker wirbt natürlich mit dem nahezu veganen Fleisch, das sie verkauft. Das freut mich im Übrigen, dass der Konsumtrend den kleinen Familien-Fleischereien derzeit sehr hilft. Möglich, dass wir bald wieder mehrere von ihnen haben, fürchte aber, dass die großen Ketten auch eine passable Lösung anbieten werden. Doch ich gehe gerne zu Nillenflickers. Oder ging?

„Ich gehe eben rüber zu Nillenflickers, brauchst du noch was?“, hört man oft in unserer Wohnung.

„Hack geht eigenlich immer!“, rufe ich dann meistens. Sie hingegen ruft meist:

„Wir haben doch vorgestern erst Hack gekauft!“, was mich wiederum zur Feststellung treibt:

„Hack geht eigentlich immer!“

Mein Verhältnis zu Nillenflickers ist so toll, dass ich nur reinzukommen brauche und Frau Nillenflicker weiß: „Ein Kilo Hack halb halb? Wie immer?“

„Wie immer, Frau Nillenflicker!“

Frau Nillenflicker war vielleicht so Mitte 60. Wenn bald die Todesanzeige erscheinen sollte, weiß ich es genauer. Mit Mitte 60 ist sie weit davon entfernt, in meinen Sphären zu dengeln (habe Wort vergessen, daher „dengeln“), aber ich könnte mir vorstellen, dass wenn ich 65 wäre, durchaus Frau Nillenflicker anbaggern würde. Es sei denn, ich bagger mit 65 immer noch an jungen Dingern ‚rum. Wobei alles unter 40 bei mir als „junges Ding“ durchgeht. Alles über 40 wird erst dann interessant, wenn ich selber die 40 durchbreche, so Gott das überhaupt vorsieht. Ich werde Augen machen, wenn ich morgen überraschend tot bin. Weil Herr Nillenflicker diese Zeilen liest. Dann bin ich mit Sicherheit in größter Gefahr.

Also, vor einigen Tagen entere ich das G’schäfterl und bin extrem irritiert. Obwohl die Tür zu öffnen war, ich schon im Laden stehe, frage ich:

„Haben Sie überhaupt geöffnet?“

Ursache meiner Irritation, die sogar Kopfschmerzen hervorrief, war die Tatsache, dass hinter dem Tresen (Warum schreibt man „Theke“ mit „th“, „Tresen“ aber nicht?!), also hinter dem Thresen nicht Frau Nillenflicker stand! Sondern, mit Beil in der Hand, Herr Nathan Nillenflicker. Ihr Mann. Hätte ja jetzt auch der Sohn sein können. Aber sie haben keine Kinder. Auch das übrigens seltsam, denn in der Nachbarschaft tuschelt man darüber, dass Nillenflickers durchaus einmal zwei Kinder hatten, die aber von einem auf den anderen Tag verschwunden waren. Das aber tue ich nun wirklich als Legende ab, die wohl schon seit den späten Achtzigerjahren hier erzählt wird.

„Äh, ein Kilo Halb hack hack.“, ordere ich leicht verstört.

Ich blicke in Fragezeichen.

„Äh, Hack halb halb, natürlich. … Wo ist denn Ihre Frau?“, erkundige ich mich.

Herrn Nillenflickers Augen verschließen sich zu undurchdringlichen Schlitzen. Leicht hebt er, vielleicht bilde ich mir das im Nachhinein ein, denn wir wissen, wie zuverlässig unsere Zeugnisse des Vergangenen sind, die Hand, mit der er das Schlachterbeil umklammert. Plötzlich lacht er. Nervös, wie ich finde.

„Noelani ist beim Bäcker.“, sagt er.

Ach, Noelani heißt sie! Das wusste ich nicht. Ich ahnte schon immer, dass sie nicht aus Deutschland stammt und wie mir Herr Nillenflicker erzählt, ist sie von Hawaii. Das allerdings missverstehe ich, denn ich glaubte, er meine die Insel. Er meint jedoch Hawaii in Hakawistan, Exklave von Torbedu bei Zorini am Krudischen Meer östlich vom Jurondischen Graben an der Meerenge von Gutúamostelistan mit diesem Präsidenten, der im Urlaub immer auf den Vlawianischen Berg klettert und schon drei Mal abgestürzt ist, was er zwei Mal überlebt hat. Und zwar die zweiten beiden Male, was mich immer noch erstaunt. Nun gut, zurück zum Metzger.

Ich hatte mein Hack bekommen (letztens fand ich eine Spritze darin) und war an sich ganz zufrieden. Erst tags darauf wurde ich nachdenklich, die ganze Szene war irgendwie skurril, nicht normal. Und ich merke, wenn Menschen mich verarschen. Wobei, nein, nicht immer. Auch blöd, wenn man es zu spät merkt. Aber besser als nie. Bei Herrn Nillenflicker war es mir relativ schnell klar. Da war was faul.

Zwei weitere Tage später treffe ich meine Nachbarin Frau Fahrenheit, die mir immer meine Tageszeitung vor die Tür legt. Sie:

„Haben Sie das schon von Frau Nillenflicker gehört?“

„Äh, nein.“

„Ich will ja nicht tratschen, aber anders erfahren Sie es sonst vielleicht nicht. Frau Nillenflicker ward lang nicht mehr gesehen. Ihr Mann erzählte mir nun schon mehrfach, sie sei bei Bäcker Bärstrauch. Aber Bärstrauch hat sie ebenfalls ewig nicht mehr gesehen!“

Für mich ist die Nummer klar. Herr Nillenflicker hat sie zu Hack verarbeitet. Und gefährdet damit den Ruf einer ganzen Branche. Ich werde recherchieren und die weiteren Entwicklungen zeitnah hier im seppolog schildern. Ich betrachte das als meine Pflicht dem Leser gegenüber, den ich mit diesem morbiden Tatsachenbericht in den Ostersonntag schicke. Ich wünsche ein vielleicht auch besinnliches Osterfest. In Liebe …



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