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Letztlich bleibt mir die Erkenntnis, dass ich wirklich als allererstes gedacht hatte: Foto machen, kannste später drüber bloggen.

Ich saß am Küchentisch und plante meinen nächsten Lebensabschnitt und löste nebenbei die Weltformel nach x auf, während auf dem Laptop dieser Klassiker aus der „Harald Schmidt Show“ lief. Empfehlenswert, übrigens.

Meine Lebensabschnittsplanung war bereits im Jahr 2018 angelangt, wo ich Vater und beruflich etwas vollkommen anderes sein würde. Ich muss es nur noch festzurren beziehungsweise sie fest nehmen. Für den Sommer 2017 plane ich übrigens eine große Spendengala zu meinen Gunsten.

Auf dem Herd brutzelten fröhlich Buletten für meine anschließend zu belegenden Burger. In vier Tagen ohne Mitbewohnerin ist mein Phlegmatismus inzwischen derart fortgeschritten, dass ich auf die Gurkenscheiben verzichtete, da mir das Schneiden der Gurke schon zuviel des Guten erschien. Letztlich ging es mir auch nur um Buletten zwischen zwei Brötchenhälften. Mehr brauche ich nicht.

Lautes Brutzeln, dazu die Geräuschkulisse der Harald Schmidt Show, da nahm es kaum Wunder, dass ich den seit Minuten laufenden Wasserhahn gar nicht wahrnehmen konnte. Ich hatte das Becken volllaufen lassen, um nach Abschluss des Bratvorganges die Pfanne mehr oder weniger schon einmal „einzuweichen“, was ich für sehr vorausschauend hielt.

Als das Spülbecken dann voll war, bahnte sich das Wasser hinter meinem Rücken den Weg quer durch die Küche. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwann blickte ich mich um und sah die Welle auf mich zurollen.

Panik. Das Blut schoss mir in den und Gedanken durch den Kopf. Erster Reflex: Kamera holen, Foto machen für eventuell späteren Artikel im seppolog. Sie lesen ihn gerade. Zweiter Reflex: Vielleicht doch besser erst sämtliche Handtücher ranschaffen, die in greifbarer Nähe sind und auf das Wasser werfen. Interessanterweise habe ich inzwischen vergessen, was ich zuerst tat. Der Schock. Der schlimme Schock.

Ich warf erste Handtücher ziellos auf den Boden. Ziellos, da das Wasser überall war. Dann schoss ich ein Foto. Oder umgekehrt. Akku bei 15 Prozent, verdammt, dann deaktiviert das Handy den Blitz. Egal, dann ohne Blitz. Foto geschossen, leicht unscharf, muss aber reichen. Ach, ich stelle gerade folgendes fest: Da auf der Aufnahme die Handtücher zu sehen sind, habe ich offenbar erst nach Erster Hilfe jenes Foto geschossen …

Kam dann auf den sehr guten Gedanken, den Wasserhahn abzudrehen. Und staunte über die Massen, die sich aus der Spüle über die Arbeitsplatte, hinunter entlang den Schränken auf den Boden bewegten, wo sie mir zeigten, in welche Richtung das leichte Gefälle unserer Wohnung geht: gen Fenster.

Ich entfernte alsdann die Bretter unterhalb der Küchenschränke, um auch dort den Tsunami begrenzen zu können. Und sah dabei, dass sich eine zweite Front unter der Waschmaschine auftat. Gedanke: „Ich muss gleich die scheiss schwere Waschmaschine nach vorne ziehen.“

Unter der Spüle hat das Wasser es zu meiner großen Erleichterung nicht bis hin zur Wand geschafft. Ich lachte hysterisch. Um dann festzustellen, dass meine Buletten inzwischen verkohlt sind. Doch ich hatte die richtige Priorität gesetzt und weine nun um meine Burger.

Drei Minuten nach dem Katastrophenfall ist meine drei Tage lang aufgeräumte und geputzte Küche ein Schlachtfeld aus triefenden Badetüchern, durchnässten Spülmaschinen-Tabs-Packungen, einem vollgelaufenen Bio-Mülleimer und meiner Kleidung, die ich mir wegen des massiven Schweißausbruches vom Leibe riss, um auch damit Wasser einfangen zu können.

Weitere vielleicht zehn Minuten später, als die Lage sich schon etwas beruhigt hatte, fand ich meine oberen Extremitäten eingerollt in Handtüchern unter dem Küchenschrank wieder. Ich bewegte meine Hand in dunkle, bislang verborgene Ecken, um zu erfühlen, wo noch Pfützen zu finden sind. Ich fand Schläuche, Kabel und Rohre, von deren Dasein ich bislang nichts gewusst habe. Doch sie zu hinterfragen, hatte keinen Vorrang.

Es hätte ja viel schlimmer kommen können. Hätte ich mich außerhalb der Küche aufgehalten, hätte ich den laufenden Wasserhahn erst dann bemerkt, wenn das Wasser bereits das Wohnzimmer erreicht hätte. In dem Fall wäre der Parkettboden ruiniert gewesen und ich hätte vermutlich in meiner Panik Feuerwehr, Polizei, Bundesgrenzschutz, die Tafeln und SEK gerufen.

Doch der GAU wirft Fragen auf. Wie immer, wenn Katastrophen real werden, muss hernach der Einsatz des Katastrophenschutzes in Frage gestellt werden. Wie doof konnte ich sein, zu vergessen, dass ich den Wasserhahn aufgedreht hatte? Wie viel Sinn ergibt der Not-Abfluss rechts des Beckens? Er erfüllt ihn nicht ansatzweise. Und so bitter es ist:

Darf meine Mitbewohnerin mich vier Tage lang alleine lassen?! War die Katastrophe nicht vorprogrammiert? Nicht letztlich sogar ihre Schuld?

Drei Tage lang habe ich die Wohnung renoviert. Alles glänzte, alles war an seinem Platz – und wenige Stunden vor ihrer Rückkehr bricht das Chaos aus. Bricht die Ordnung zusammen, steht die Küche unter Wasser, während die Buletten Feuer fangen.

Es ist Zeit, dass Du zurückkommst. Und das tut sie, sie ist just in diesem Moment in Dortmund gelandet. Und erfragt:

grtiff

„Habe alles im Griff“ sagen an sich nur Menschen, denen das Leben gerade völlig entglitten ist. Ich muss mich erstmal hinlegen.


Bitte, auch diesen Artikel zu beachten, in dem es um einen vermeintlichen Mord durch Metzger-Beil geht!

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