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Seit Anfang dieses Jahres, das überraschend schon im April angelangt ist, betreibe ich verstärkt so etwas wie Kraftsport. Ich gehe dazu nicht etwa in ein Fitnessstudio, da ich das für meine Zwecke als unnötig erachte, sondern mache das alles zuhause, zumal ich mich während des Hochhebens von schweren Gegenständen dabei von „Netflix“, derzeit „The Killing“, berieseln lassen kann. Außerdem schrecken mich in diesen Studios die Menschen ab, die allen Ernstes auf Laufbändern auf der Stelle laufen. Das widerspricht meinem Läufer-Ethos aufs Massivste. Das kann unmöglich befriedigend sein, ich tue das lieber im Freien.

Arbeitsmaterial sind zwei Hand-Hanteln, eine Langhantel, ein Gummiband, mehrere Fachbücher sowie mein Eigengewicht. Nicht zu vergessen die selbstgebaute Hantelbank aus Wohnzimmertisch und zwei Stühlen, damit ich mich nicht selber unter der Langhantel begrabe, was bei einem plötzlich einsetzenden Schwächeanfall nicht unbedingt ausgeschlossen ist.

Die Langhantel überrascht mit ganz anderen Problemen. Jeden Tag haue ich mit dem Ding eine neue Macke in irgendein Möbelstück. Heute hat’s meinen heiligen Schreibtisch erwischt. Ich bin da nicht klüger als irgend ein Hund, der stolz einen langen Stock quer vor sich her trägt und nicht durch Türen kommt. Ich warte nur darauf, dass es irgendwann den großen Spiegel im Flur erwischt. Es gibt im Netz diesen Klassiker, ein Video, in dem ein Hantelnder sein Aquarium zertrümmert. Ich habe kein Aquarium. Fische wären bei mir nicht sicher.

Im Januar hatte ich mir zur Maßgabe gemacht, dass ich im März optisch Fortschritte sehe. Das ist nun der Fall. Ich will nicht angeben, aber das ist eben die Folge dessen, was ich da angefangen habe; man darf ja wohl etwas stolz darauf sein. Stolz, das sagte uns mal unser Erdkunde-Lehrer, könne man nur auf Geleistetes sein, nicht etwa darauf, dass man deutsch sei. Denn dafür könne man ja nichts. Für meine Fortschritte kann ich etwas, sie motivieren weiterzumachen.

Da ist vor allem der Bizeps, der sich nicht lange bitten lässt, in seinem Umfang zuzulegen. Inzwischen ist mir auch klar, dass wenn der Bizeps isoliert anschwillt, der Oberarm durchaus etwas komisch aussehen kann. Man hat dann ein Ei auf dem Oberarm. Daher nahm ich ab Februar verstärkt den Trizeps in die Mangel, den zu trainieren deutlich Kraft raubender ist als den Bizeps. Nun habe ich also tatsächlich einen Trizeps. Zwei. Bi- und Trizeps sind rechts stärker ausgeprägt, was ich – auch wenn dieser Standard-Onanie-Scherz so nahe liegt – einfach auf die Tatsache meines Rechtshänder-Daseins schiebe.

Die ganze Nummer hat allerdings eine Kehrseite: Mein Ziel, mit 60 noch fit zu sein, mag ja ehrenhaft und erstrebsam sein, aber mein Eindruck ist der, dass ich den Preis zahle, mit 36 oder 37 temporär ein Wrack zu sein. Es geht hier nicht um Verletzungen durch den Sport, da habe ich bislang Glück. Es geht eher darum, dass ich heute, am Dienstag, schon ahne, dass ich morgen ein Wrack bin. Nach massiver Penetration von Bizeps, Nacken und Schultern am Montag und Trizeps, Brust und oberer Rücken heute, weiß ich, dass mir morgen alle genannten und penetrierten Körperregionen wehtun werden. Muskelkater. Irgendwo befriedigend, aber irgendwo auch störend im Alltag. Morgen habe ich nur noch meinen unteren Rücken, der erst am Donnerstag dran ist. Die Übergänge sind da auch fließend.

Gestern nach dem Bizeps-Training verlor ich jede Kontrolle über meine Feinmotorik in Arm und Hand. Das bekam meine Mitbewohnerin zu spüren, der ich gewohnt liebevoll durch das Gesicht streichen wollte, dabei ihr allerdings ungeschickt die Brille aus diesem riss. Aktuell kämpfe ich damit, die Arme überhaupt wieder an den Oberkörper heranführen zu können, sie stehen ab, als hätte ich die sprichwörtlichen Rasierklingen unter den Achseln.

Ein weiteres Problem ist das Sitzen. Nein, vielmehr das Aufstehen. Sitzen ist super. Heute las ich, dass viel Sitzen nicht gut ist, da helfe nicht einmal viel Sport drumherum, wenn man danach ein Gros des Tages sitzt. Konterkariert alles. Die Lebenserwartung durch langes Sitzen sinkt massiv. (Übrigens, hat man rund 350 Orgasmen pro Jahr, steigt sie um fünf Jahre!) Aber wenn ich mich setze, ist das gut überlegt, denn ich weiß, dass ich aufstehe wie ein Achtzigjähriger. Unter Begleitung von Stöhnen stütze ich mich mit meinen offenbar dafür ausgebildeten Bizepsen ab und hoch. Diese Schwäche wird morgen ihren Höhepunkt erreichen, so wie jeden Mittwoch, an dem ich mich für einen sportfreien Donnerstag entscheide, um das Wochenende noch zu erleben.

Problemzone Bauch. Stellt man die Ernährung nicht um, wird das auch mit dem Waschbrettbauch nichts. Ich habe jahrelang den Fehler gemacht, meinen Bauch mit unzähligen „Sit-Ups“ und „Crunches“ zu quälen, was seinen Höhepunkt erreichte, als ich ungelogen 1.200 „Crunches“ hinbekam. Am Stück. Das ist keine Kunst, wenn man nur wochenlang trainiert. Der Körper lernt sehr schnell, welche Bewegungen er auszuführen hat. Wer heute nur fünf Liegestütze schafft, kann nächste Woche schon zehnmal soviel hinbekommen. Hat nur leider kaum einen Trainingseffekt. Vielleicht auf das innere, das Organfett, das bei mir gottseidank nicht stattfindet. Aber äußerlich ist das nicht zielführend. Neue Methode: kurze, intensive Einheiten, die es in sich haben, die ich auch heute noch spüre.

Seit meinem unseligen Leistenbruch sind „Crunches“ ohnehin ein Problem für mich. Gerade sie üben einen Druck auf die Leiste und damit auf meine innere Wunde aus, die ich spätestens seit meiner Grippe vor zwei Wochen wieder erheblich spüre. Albernerweise ist ja gerade Husten eine mögliche Ursache von Leistenbrüchen, sodass ich während der Grippe nicht mehr zu husten wagte, was aber leider Anliegen einer Grippe ist. Jetzt liege ich da also auf meiner Matte, die übrigens ziemlich versüfft ist und müffelt, crunche vor mich hin mit zusätzlich angehobenen Beinen und warte nur so darauf, dass es plopp macht und das Gewebe in der Leiste wieder gerissen ist, meine Gedärme nach vorne springen und die ungeliebte Beule bilden. Aber es wird besser, warte ich es ab.

Meine Mitbewohnerin, die ja noch mehr Sport betreibt, und ich stehen abends voreinander und boxen uns gegenseitig in den angespannten Bauch. Wer zuerst über innere Verletzungen klagt, hat verloren. Vor ein paar Jahren konnte ich das noch mit meinem Neffen tun – wobei nur er schlug, ich freilich nicht -, inzwischen aber ist er zu einem vollständigeren Menschen herangewachsen und hat eine nicht unerhebliche Boxkraft entwickelt. Zudem befürchtet seine Mutter, ich könnte ihn damit dazu animieren, andere Kinder in der Schule ähnlich zu schlagen. Was ihm aber fernliegt.

Meine Mitbewohnerin und ich haben durch den Sport und seine Folgen ein gemeinsames Thema und Hobby gefunden: Wir klagen uns gegenseitig unsere Schmerzen. Mal muss ich darauf aufpassen, ihre Schulter nicht zu sehr anzugehen, mal ist es direkt eine geprellte Rippe. Leider vergesse ich das immer wieder, sodass die arme Frau mitunter schwer an unserem Verhältnis zu leiden hat. Liebe tut weh.


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