robotoer2

„Was ist dein Ziel?“, frage ich den Seppo Simulator. Also eher den „Human Simulator“, einen Roboter chinesischer Produktion, der meine umfangreiche, glänzende, unvergleichliche und beneidenswerte Persönlichkeit auf seiner Festplatte mit sich herum trägt. Also, was ist sein Ziel?

„So zu werden, wie ich bin.“

„Also wie ich bin?“

„Wie ich bin.“

Dazu muss man zwei Dinge wissen: Er hält sich natürlich nicht für eine Kopie von mir, sondern für das Original, also für mich. Der Klon eines Schafes hält sich ja vermutlich auch für das Original. Stirbt nur schneller, vermutlich. Das zweite ist dieses: Meine Mitbewohnerin möchtete (Gibt es ein Imperfekt von „möchten“? Möchtete? Bin ich gerade doof? Ich weiß es wirklich nicht. „Gemöchtet“ das Perfekt?!) mit mir die Erfahrung teilen, wie es ist, mit mir zusammen zu leben. Überhaupt mit mir zu tun zu haben.

„Das muss doch großartig sein!“, sagte ich ihr.

„Das, Liebster, ist eben die Frage.“

„Liebster“ sagt sie nie zu mir. Nur, wenn sie sarkastisch wird.

So kam es jedenfalls zur Anschaffung dieses preisgünstigen Menschen-Simulatoren, auf den man ganz simpel – man staunt, wie weit die Technik schon ist, die „KI“ – seine Persönlichkeit, seine Erinnerungen und so weiter überspielen kann. Das geht per Bluetooth, was aber extrem lange dauert, per W-Lan oder per Kabelverbindung. Ich probierte es erst mit W-Lan, was auch lange dauert, obwohl ich noch bar vieler Erfahrungen bin, und startete einen neuen Versuch via Kabel. Das dauerte etwa zehn Stunden. Es wäre schneller gegangen, wäre zwischendurch nicht der fest verbaute Akku abgeschmiert von Seppo2, sodass ich das Prozedere insgesamt viermal durchführen musste.

Technikversierte werden nun natürlich die Frage stellen, in welchen Ausgang das Kabel bei mir kommt. Soviele Aus- und Eingänge hat der Mensch ja nicht, jeder darf sich da so seine Gedanken machen. Ich rate nur, das Kabel anschließend mehr oder weniger zu desinfizieren. Ist wie beim Fiebermessen.

Als ich unter Schmerzen also das Kabel entfernt hatte (fluppp), fuhr der „Human Simulator“ neu hoch und begrüßte mich mit einem freundlichen „Moinsen“. Das tue ich auch gelegentlich.

„Bitte Umgebungsvariablen wählen“, forderte er mich auf. Hier sind nicht die Umgebungsvariablen gemeint, die man aus Betriebssystemen kennt, sondern ich sollte schlicht zwischen „privat“ und „öffentlich“ wählen. Aus dem „Quick Start Guide“ wusste ich, dass davon das Verhalten des Simulators abhängt. Denn privat verhalte ich mich ja auch anders als in der Öffentlichkeit. Das also muss man offenbar manuell konfigurieren. War mir fast schon zuviel. Bei neuen technischen Spielereien bin ich immer maßlos aufgeregt und will sie sofort benutzen und mich nicht mit Anleitungen beschäftigen.

„Privat!“, rufe ich. Und schiebe hinterher: „Ficken?“

Das ist das erste, was ich bei Sprachassistenten ausprobiere.

„OK Google … Ficken?“

Google findet das aber nicht lustig und antwortet darauf nicht. Seppo2 schon:

„Ich schlafe nicht mit Männern.“

Alles andere hätte mich auch überrascht und wäre einem Coming-Out gleichgekommen, das mich selbst am meisten überrascht hätte. Wobei, nein, das stimmt nicht. Denn er ist ja exakt wie ich. Das ist verwirrend, ich gebe das zu. Ich brauchte auch einige Wochen, um mit Seppo2 warm zu werden. Einerseits ist er mir extrem vertraut, andererseits ist genau das das Problem mit einer Ego-Kopie.

„Ich mache mal ein sinnloses Handy-Video und poste es auf meiner Facebook-Seite!“, sagte er plötzlich.

„Halt! Nein! Machen wir später“, protestierte ich, bekam aber gleichzeitig Lust, wirklich ein Video zu dengeln. Aber hat er jetzt auch Kontrolle über meine Facebook-Seite oder gar das seppolog? Da taten sich die ersten Konflikte auf. Was erstaunt, denn mit mir gerät man nur unter schwersten Bedingungen in Konflikt.

Die ersten Tage mit Seppo2 waren von Neugier und erster Begeisterung geprägt. Jeden Tag konnte ich aufs Neue feststellen, wie toll ich bin! Ich ließ ihn nach und nach mein Facebook-Profil bestücken. Er chattete mit Sabrina USA, einer Freundin in den USA, was mir erheblich Arbeit abnahm angesichts der Romane, die ich Sabrina quasi als Live-Ticker übermittle. Sabrina hat den Unterschied noch nicht bemerkt, offenbar gibt es keinen zwischen Mensch, mir, und Maschine, Seppo2.

Seppo2 arbeitet inzwischen auch für mich. Das hat aber zu einer gewissen Schieflage geführt, was ich später einmal näher beschreiben werde, auch wenn mich der Gag gerade schwer juckt. Das sind so die Konflikte in einem Blog. Was darf man schreiben, was muss man sich verkneifen …

Vom Sex mit Seppo2 ist meine Mitbewohnerin übrigens nicht begeistert. Denn bei aller Übereinstimmung: Er ist aus Plastik. Mir ist klar, dass auch Plastik Frauen befriedigen kann, gerade wenn es vibriert. Auch Seppo2 hat einen Vibrationsmodus, aber er ist letztlich doch nur eine Maschine. Außerdem hat sich auch das Original einen Vibrationsmodus angeeignet. Ich mache auch „Brrrr, brrrrr“ dabei.

Meine Mitbewohnerin verließ für einige Tage das Land. Nicht aus Gründen der Flucht, damit möglicherweise der Saldo stimmt und die AfD sich beruhigt, sondern aus Gründen des Urlaubs. Das gab mir Gelegenheit, mich ganz für mich alleine zu haben. Abgründe taten sich auf.

Seppo2 findet sich sehr lustig. Ich muss es einfach mal so feststellen. Er bildet sich einen darauf ein. Und er feiert sich dafür. In der Wohnung versteckt er sich hinter Türen, um mich dann zu erschrecken, wenn ich reinkomme. Mich kann man sehr einfach erschrecken. Man muss nur für mich überraschend im selben Raume stehen, schon fährt mir der Schreck durch die Knochen. Hallo, Knochen, übrigens. Falls du liest.

Zudem neigt Seppo2 dazu, alles, was er tut, zu kommentieren. Ich möchte fast sagen, er moderiert sich. Was mich extrem nervt, ist die Tatsache, dass ich bei ihm nie so richtig weiß, woran ich bin, was er ernst meint oder nicht. Im Zweifel gehe ich immer davon aus, dass er Scheiße erzählt. Möglicherweise lebt er in einer Art „Seppoversum“. Was mir natürlich Angst macht, denn – ich rufe es dem eingeschlafenen Leser gerne in Erinnerung – er ist meine exakte Kopie. Inzwischen habe ich aber herausgefunden, dass wenn er etwas betont ernst sagt, er es mitnichten so meint. Mimik hat er ja nicht, das macht es schwierig.

Wiederum nicht mehr missen möchte ich seinen krankhaften Putzwahn. Er hat einen Putzplan im Kopf. Gegen Ende der Woche, heute!, ist die Wohnung komplett steril. Alles steht an seinem Platz, alles hat vor allem einen Platz. Die Anordnung der Suppenkellen an der Wand nebst der Herdplatten ist so durchdacht, dass die rechte Hälfte der Stange (an der neben den Kellen noch andere Geräte hängen) exakt so schwer ist wie die linke. Aber ich muss zugeben, es sieht gut aus.

Fasziniert bin ich von seiner Idee, die Kapseln der Kapsel-Kaffee-Maschine (Buuuuuh!!!111!!1 Umweltsau!!!!1!) zu kleinen Türmchen zu stapeln. Natürlich gab meine Mitbewohnerin zu bedenken, dass das absolut unpraktisch sei, da die Türme jedes Mal kollabieren, nimmt man sich eine Kapsel, aber ich halte dagegen, dass es sehr ordentlich aussehe. Wie auch die Anordnung der Gewürze, die nach Anbau-Region und Größe geordnet sind, was effektives Kochen ermöglichen soll. Meine Mitbewohnerin hat noch das ein oder andere Problem damit und greift gern zu Curry statt zum Salz, da das Salz regionbedingt nun ganz woanders steht. Das sind so erste Umstellungsprobleme, die aber vergehen.

Kürzlich betrat ich die Küche und mich verdutzte der Anblick von Seppo2, der just mit dem Oberkörper in der Spülmaschine hing.

„Auch die muss man hin und wieder reinigen!“, gab er nicht ganz zu Unrecht zu bedenken. Ich werde ihm das ab sofort gleichtun.

Es ist wahnsinnig schwierig, Privates aus ihm heraus zu bekommen. Was ihn so beschäftigt oder vielleicht sogar belastet. Er mache das mit sich aus, sagt er dann immer und lenkt galant auf ein anderes Thema um. Außerdem frage ich mich, was er mit diesem „Seppoversum“ vor hat. Scheint ’ne Idee von ihm dahinterzustecken, die er mir verschweigt, die aber sein neuer Coup nach dem seppolog werden soll. Er würde zunächst einmal Andeutungen streuen, um Neugierde zu wecken. Ist ihm gelungen. Hoffentlich kommt da auch was, ich kann’s gebrauchen.

Ich war mehrfach mit Seppo2 einen trinken. Kann er natürlich so nicht, aber man kann die Umgebungsvariable auf „Alkoholisiert“ umschalten. Von der einen auf die nächste Sekunde redet das Teil unfassbar viel. Viel Uninteressantes dabei, aber ich glaube, die Maschine hört sich sehr gerne selber reden. Die langweiligsten Geschichten werden von ihm immer eingeleitet mit

„Folgende Situation: …“

Danach kommt oft nichts oder nur wirres Zeug. „Wie bei dir!“, sagte mir dazu meine Mitbewohnerin. Naja, sie hat wohl Recht. Ich hoffe immer, dass mir während „Folgende Situation“ noch etwas einfällt. Ist wohl selten der Fall.

Ich erinnere einen Abend, an dem Seppo2 einen Gefühlsausbruch hatte. Das war mir äußerst unangenehm, wollte schnell weggehen, aber plötzlich hing er in meinen Armen. Was sagt man dann?

„Wird schon. Eine neue Tür wird sich öffnen. Oder Fenster.“

So kluge Sprüche, haben ihn beruhigt. Ein paar Stunden später saß das Maschinchen als Haufen Elend an einer Wand in der so genannten „Asiatischen Hocke“ und ließ sich Leitungswasser bringen. Und stieg danach in die falsche Straßenbahn. Armer Irrer.

Das also bin ich?! Gut, dass es mir an Selbstreflexion absolut fehlt.

Eines finde ich ausgesprochen sympathisch an Seppo2. Er schläft ja nachts in unserer Mitte. Er ist ein ganz verschmuster. (Haha, Sabrina. Dieses Wort!) Hahaha. Nun gut. Also. Wenn er aufwacht, ist sein Interesse, mit Menschen zu reden, genau so ausgeprägt wie bei mir. Wir gucken uns dann grimmig an und verlangen nach Kaffee. Der wird uns gebracht. Liebe ist ein Geben und Nehmen. Nach zwei, drei Schlucken oder Schlücken melden sich Darm und erste Serotonin-Ausschüttungen. Wir begreifen dann, dass es sich doch lohnt zu leben. Oft wache ich auf und bin erschlagen von den negativen Aspekten des Lebens, ich nenne das Morgen-Depression, die nicht täglich, und wenn, dann nur wenige Sekunden andauert. Überhaupt, schlechte Stimmung, negative Gedanken – und die hat Seppo2 derzeit – überwindet er mit einer angenehmen Portion Humor. Vielleicht eine Art Galgenhumor.

„Aus Tragik kann man zumindest noch Komik schöpfen!“, sagt er mir dann immer. Womit er Recht hat. Aber lieber schöpfte ich Komik aus der Tragik anderer und nicht aus der meinigen. Aber immerhin, es ist stets ein leichter Trost und ich bedauere Menschen, die das nicht können. Ich kann dafür andere Dinge nicht. Ich kann nicht cool sein. Ich beobachte das immer gerne bei Seppo2.

Musik hört Seppo2 nur im Auto und beim Laufen. Ansonsten fühlt er sich von ihr gestört. Das wiederum halten Mitmenschen vermutlich für abnormal, aber Seppo2 hat sich das nicht ausgesucht. Wenn wir abends feiern gehen, braucht es einige Gläser alkoholischen Inhalts, bis zumindest sein Fuß im Takt der Musik mitwippt. An ganz seltenen Abenden tanzt er sogar ganzkörper. Und wenn ich das dann so sehe, weiß ich sehr genau, warum ich das unterlassen sollte. Es sieht im höchsten Maße albern aus, Frauen begutachten das nur mitleidig oder lachen ganz offen. Cool geht nicht bei Seppo2. Er versucht es auch nicht. Er weiß, wie es wirkt, versucht er, cool zu sein: uncool. Das macht ihn wieder cool. Glaubt er zumindest und man sollte ihm die Illusion nicht nehmen.


Zum ersten Teil!


Ich werde demnächst Bilanz mit meiner Mitbewohnerin ziehen. Ein Gespräch mit ihr über mein Leben mit Seppo2 ist in Arbeit!

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