textelänge

Nicht selten höre ich, meine Texte seien zu lang. Sie bewegen sich immer zwischen 800 und 2.000 Wörtern, meist bei rund 1.000. Das ist nicht unbedingt Absicht, das passiert einfach.

Nun kann „zu lang“ ja vieles bedeuten. Romane sind noch länger als diese belanglosen Blog-Texte, dennoch würde man ihnen ihre Länge nicht vorwerfen. „Zu lang“ heißt also eigentlich „langweilig“. Das kann natürlich sein, dass ich hier und da mich verliere in Gedanken und Langeweile für den Leser das Ergebnis ist.

Wenn mir jemand sagt, er habe keine Zeit, lange Texte zu lesen, würde ich ihm vorschlagen, das Lesen einzustellen, da Lesen nun einmal seine Zeit braucht. Der durchschnittliche Leser liest 150 Wörter pro Minute, geübte Leser schaffen 300, während sich die Rekorde jenseits der 3.000 Wörter bewegen.

Gute Texte brauchen Zeit. Und werden dadurch gut. Man wird eins mit ihnen. Das geht nicht innert vier Sätzen.

Ich selbst habe eher spät das Lesen angefangen. Hier und da mal ein Buch als Jugendlicher, ansonsten herrschte Stille. Erst mit vielleicht 18 oder 19 fing ich an, überraschend exzessiv zu lesen. Und schnell habe ich bemerkt, dass lange Texte (nicht langweilige) es in sich haben können. Bis heute habe ich eine Geschichte aus „Geo“ nicht vergessen. Geo war damals noch ein extrem gut gemachtes Magazin, während es heute – auch gewollt – zu einer gehobenen Lifestyle-Postille geworden ist. Es war ein Text über Ernest Shackleton und die Endurance-Expedition. Noch heute sauge ich Artikel darüber auf, die Faszination kennt kein Ende. Und eine solche Geschichte bedarf eines ausufernden Textes, der die vermeintliche Schnelllebigkeit unseres Medienkonsumes ignoriert.

Andere Medien bedienen genau diese „Hektik“, die es vielleicht nur deshalb in den Alltag schafft, weil jeder über sie redet. Die Tageszeitung „Die Welt“, die ohnehin nie durch lange Texte aufgefallen ist, ersann die Kurz-Version „Welt kompakt“. Ich habe sie eine Zeitlang gelesen, da sie in Düssedorf im Zuge der Einführungskampagne kostenlos am Bahnhof den Passanten aufgedrängt wurde. Und so saß ich in der Bahn und las die Artikel, die im Wortsinne extrem schnell zum Punkt und zum Ende kamen. Hintergründe? Am Arsch. Gab’s nicht. Die blanke Information. Und die ist vollkommen überschätzt. Es sind die Hintergründe, Idiot. Zeitungen haben nur die eine Daseins-Berechtigung: Hintergründe. Alles andere leisten schnellere Medien besser. Und gerade die verzichten auf Hintergrund-Information. Wie unreflektiert heute die Zeitung als tot beschrieben wird! Wie dumm und kurzsichtig!

Wenn ich mir „Nachrichten“-Sender im Fernsehen anschaue, stelle ich fest, dass man mit Agentur-Meldungen vollgeballert wird, mit Hintergründen, die ein Einordnen überhaupt ermöglichen, aber sehr sparsam umgehen, da sie weniger Quote versprechen und vor allem in der Aufbereitung Geld kosten. Ich habe da vollstes Verständnis und wende mich von dieser Art der Nachrichten ab. Denn noch schneller als das Fernsehen ist ohnehin das Netz. Das ist derart schnell, dass man dort unter Überschriften erst einmal nur liest: „In Kürze mehr auf SPIEGEL ONLINE“. Sie melden schon einmal vorab etwas, bevor sie eigentlich wissen, was. Ich habe auch da vollstes Verständnis. Und wende mich ab.

Überhaupt habe ich immer kurze Texte gemieden. Als der „Focus“ mit Pauken und Trompeten auf den Markt kam, war er eine Alternative zum „Spiegel“. Kurze statt lange Texte garniert mit unzähligen „Info-Grafiken“, die den ohnehin holprigen Lesefluss vergewaltigt haben. Heute wirken manche Ausgaben des Focus‘ aus seiner Anfangszeit wie ein schlechter Witz, er besann sich später einer gewissen grafischen Zurückhaltung, bevor er dann den Anspruch des Nachrichten-Magazins aufgab und heute keine Rolle mehr spielt.

Kurze Texte wollen etwas erreichen, was nur lange können, nur eben in schnell. Und so bleibt man am Ende des Textes mit mehr Fragen zurück, als man anfangs hatte.

Wenn alles immer schneller wird, immer knapper und kompakter, bleibt Hintergrund auf der Strecke. Ohne Hintergrund aber keine Einordnung und so nimmt es kaum Wunder, dass jeder sich für besonders informiert hält, aber die falschen Schlüsse aus der Info-Flut zieht. Wenn nur noch nackte Zahlen interessieren. Zahl der Flüchtlinge. Zahl der Arbeitslosen. Höhe der Schulden und so weiter. Woher aber kommen Flüchtende? Haben sie möglicherweise einen sehr guten Grund, sich auf einen Marsch über Grenzen zu begeben, der kein Sonntagsspaziergang ist? Die machen keine „Backpacking“-Tour. Die fürchten um ihr Leben.

Gibt man sich der Qualitäts-Presse hin, wird man derzeit erschlagen von Texten über die Flüchtlingskrise, die im Übrigen für die Flüchtenden eine sehr große Krise ist, nicht so sehr für uns. Das nervt mich teilweise, aber es hilft enorm bei der Betrachtung des Problems. Wer sich lediglich die Zahlen antut – „Millionen überrennen unser Land“ -, der kann es natürlich mit der Angst zu tun bekommen und die falschen Schlüsse ziehen (AfD). Er könnte sich aber die Muße nehmen, in das Problem tiefer einzutauchen, um dann festzustellen, dass es manchmal nicht die einfache Lösung gibt und vieles mit vielem zusammenhängt. Und die Welt möglicherweise komplizierter ist, als populistische Lösungen den Anschein erwecken.

Es gibt nicht viele gedruckte Presse-Erzeugnisse, die steigende Auflagenzahlen verzeichnen. Mich selber deprimiert das, aber das ist möglicherweise der Lauf der Dinge. „Die Zeit“ ist so eine Gazette, die ihre Auflagenkrise in den Neunzigern hatte, inzwischen aber ein Rekordniveau hält – und das nach 70 Jahren! Und ausgerechnet „Die Zeit“ scheut nicht vor ausgesprochen langen Texten zurück, das Gegenteil ist der Fall. Vor einiger Zeit las ich dort eineinhalb Doppelseiten über Menschen, die für die AfD in den Wahlkampf traten. Nach der Lektüre taten mir diese Menschen leid. Arme Irre, dachte ich. Und sowas vermögen nur lange Texte, Texte, die sich Zeit nehmen. Und dem Leser geben. Und nicht nehmen. Zum Nachdenken. Eben noch gelesen über eine Flüchtlingsfamilie. Fallbeispiele. Nicht, um Betroffenheit zu erzeugen, sondern um dem Leser das Problem nahe zu bringen. Der Text vermochte es, die gesamte „Argumentation“ (so kann man es ja eigentlich wirklich nicht nennen) derer, die die Grenzen dichtmachen wollen, auseinander zu nehmen. Die Verhältnisse sind nicht so, dass man sie kurz und knapp wiedergeben könnte. Verkürzen tut nur der, der ihm unpassende Umstände verschweigen will, um seine Argumente an den Mann zu bringen. Propaganda verkürzt auch gerne. Oder verfälscht. Wie es jüngst das „Handesblatt“ erfahren musste.

Lesen ist nicht etwas, das per se schnell geht. Ich merke das, wenn ich auf dem Klo lese. Ich sitze dann dort manchmal deutlich länger, als der biologische Vorgang es vorsieht. Warum lesen überwiegend Männer gerne auf dem Klo? Weil es der einzige Ort ist, wo man sie in Ruhe lässt. Ergaben Studien. Doch zum Lesen gibt es schönere Orte. Bei mir vorzugsweise morgens im Bett. Das kann zwei bis drei Stunden in Anspruch nehmen, aber auf die Weise verlässt man relativ klug das Bett. Darauf kann ich mir einen einbilden, was ich auch tue, aber es ist ja auch keine Herkules-Aufgabe.

Dass ich nach einer Kindheit, die nicht gerade durch Lesen geprägt war (weil ich zu faul war und nicht etwa, weil meine Eltern etwas versäumt hätten), so spät ans Lesen geriet, wundert mich selber, ist aber möglicherweise gar nicht so untypisch. Wie sah das bei Euch aus?

Da ich „Nachrichtenfernsehen“ mehr oder weniger vermeide, entgehen mir viele Dinge zu einem frühen Zeitpunkt. Dass man glaubt, irgend etwas sei ein Attentat von dem oder dem gewesen, bekomme ich gar nicht mit. Ich erfahre es erst einen Tag später mit dem Vorteil, dass ich dann direkt gesicherte Informationen erhalte und die Phase der Spekulationen, genährt von „Twitter“ und Co. überspringe. Ich erinnere mich gut an die Ausnahmesituation des 11. Septembers 2001, als eine Nachrichten-Kommentatorin erzählte, dass nun ein viertes Flugzeug in die Zwillingstürme krache, bis sie merkte, dass sich einfach nur das gezeigte Bild in einer Endlosschleife befand. Aber die Kritik an der Adhoc-Berichterstattung ist natürlich wohlfeil; es gibt Situationen, wo wir aus guten Gründen gebannt auf die neusten Informationen warten.

Abschließend kommt mir der Gedanke, dass ein langer, nicht langweiliger, Text bereits in seiner Herstellung einer gewissen Sorgfalt bedarf, die ein kurzer Text eben dem Verfasser nicht abverlangt.

Aber ich gebe zu, schon im Deutsch-LK hatte ich einen Lehrer, der es gerne sah, wenn man möglichst viel geschrieben hatte, auch wenn er immer betonte, dass nicht die Menge entscheidend sei, sondern die Qualität. Dennoch war unter uns Schülern nach den Klausuren immer die erste Frage: „Und, wie viele Seiten hast du geschrieben?“

Das setzte sich an der Uni fort, wo es Vorgaben gibt, wie lang eine beispielsweise Magister-Arbeit sein soll. An sich Unsinn. Zumal es ein Witz ist, wie kläglich kurz heute „Bachlor“-Arbeiten sein dürfen. So lang wie heute Bachelor-Arbeiten sind, waren zu meinen Zeiten noch die Haus- oder Seminar-Arbeiten. 60 bis 80 Seiten? Haha, da lache ich drüber.

1.411 Wörter.


Auch bei Facebook neige ich gelegentlich zur social-media-feindlichen Überlänge. Das aber sehr gerne.

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