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Na endlich! Die Stadt Düsseldorf, die aus unerfindlichen Gründen Landeshauptstadt ist, das Land NRW aber keinesfalls repräsentiert, interessiert sich für meine Meinung. Ich gehe ganz bescheiden davon aus, dass ein städtischer Mitarbeiter, vielleicht des Stadt-Marketings, das die unfassbar einfallsreiche Bildmarke „:D“ hervorgebracht hat, die auch Detroit schon benutzt hatte (als Detroit noch etwas zu lachen hatte), meine Breitseiten gegen Düsseldorf, der Stadt, in der ich leben muss („Zieh‘ doch weg, du Nestbeschmutzer“), gelesen hat. In weiten Teilen ist Düsseldorf eine Ruinenstadt, wobei die Ruinen bewohnt sind. Zugegeben, je näher man dem Rhein kommt, desto schöner wird zweifellos dieses Fleckchen, das sich für eine Metropole hält, und sich für Touristen aufhübscht. Viele hier Lebende allerdings kennen die hässlichen Ecken und sehen die schönen erst, wenn sie sich aus lauter Verzweifelung in den Rhein stürzen wollen.

Nun will es Düsseldorf also per Volksbefragung, die ich im Übrigen für völlig okay halte, genauer von mir wissen. Ich mache bei der Nummer mit.

Nicht alle Bürger haben diesen Schrieb bekommen, laut Anschreiben wurde ich zufällig wie 15.999 weitere Bürger auch ausgewählt. Das glaube ich natürlich nicht; sie haben mich ganz gezielt auserwählt! Mich wählt man nicht einfach nur zufällig aus!

72 Fragen. Wer glaubt, die #sba2016 sei mit ihren 28 Fragen umfangreich, wird hier eines Besseren belehrt! Ich fülle den Bogen komplett aus, beschränke mich hier im seppolog aber auf wesentliche Fragen.

Zunächst einmal erklärt man mir freundlich, wie ich den Bogen auszufüllen habe. Mit lateinischen Großbuchstaben. Viele der 16.000 Adressaten schreien hier bereits auf! Erst müssen wir arabische Zahlen lernen, nun auch noch das lateinische Alphabet! Der Untergang des Abendlandes. Ich habe nie verstanden, was genau das Abendland eigentlich ist. Achso, Westeuropa. Nahe der Abendsonne. Verstehe. Nicht das Land geht unter, die Sonne! Ich beschließe, aus Spaß den Bogen in Sütterlin auszufüllen. Wobei das meiste lediglich das Setzen von Kreuzen voraussetzt.

Die zweite Frage mag ich bereits:

Leben Sie gerne in Düsseldorf oder würden Sie lieber woanders wohnen, wenn Sie es sich aussuchen könnten?

Mutige Frage! Denn wer kreuzt da an „Ich lebe gerne in Düsseldorf“?! Die Frage wird den Urhebern noch um die Ohren fliegen. Ich setze das Kreuz bei „Ich würde lieber woanders in Deutschland wohnen“.

Nun soll ich die Lebensqualität hier bewerten. Ich markiere „Kann ich nicht beurteilen“, da ich sie noch nicht gefunden habe.

In Punkt vier muss ich detaillierter werden, ich soll Lebensbereiche wie „Sportanlagen“ oder „gesundheitliche Versorgung“ bewerten. Die gesundheitliche Versorgung finde ich super, denn ich wohne in der Nähe einer Notaufnahme, bei der ich schon häufig war, wenn ich mal wieder glaubte, einer tödlichen Krankheit anheim zu fallen. Seltsamerweise nimmt man mich dort nach wie vor ernst, so gesehen entscheide ich mich für ein „sehr zufrieden“!

„Sehr unzufrieden“ wähle ich bei „Situation für Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer“. Leute, geht’s noch?! Die maskuline Form hätte doch ausgereicht. Da brechen die sich einen ab, krank. Ich wusste gar nicht, dass der Mikrozensus sich auch an Frauen richtet. Seltsam. Wie dem auch sei, die Situation für Radfahrer ist natürlich denkbar beschissen. Dass die das überhaupt erfragen müssen, das ist doch bekannt.

Die „Gestaltung und Attraktivität meines Stadtteils“ soll ich einordnen. Nun, bekannt wurde mein Viertel Oberbilk bundesweit unter dem Namen „Maghreb-Viertel“. Also bunt und multikulturell! Alles supi! Integration par excellence! Ich empfehle dennoch einen kompletten Neuanfang.

Ich wähle oft die Antwortmöglichkeit „teils/teils“, da ich ich nicht weiß, was sie aussagen will. Teils/teils ist so’n bisschen „keine Ahnung, mir latte“. Das trifft oft zu, beispielsweise im Punkt „Angebote für Ältere“. Ich hoffe, sie meinen nicht Euthanasie (Hohohohoho, Empörung!).

Ich bin erst bei Frage fünf und erste Langeweile stellt sich ein.

Halt! Frage sechs! „Was sind Ihrer Meinung nach zurzeit die größten Probleme in Düsseldorf?“ Leider fehlt die Antwortmöglichkeit: „meine persönlichen“. Denn meine Probleme sollten auch die der gesamten Stadt sein. Soviel Realitätsverlust darf sein. Also, ich kreuze an, und zwar nicht wenig:

Zu viel Straßenverkehr.

Zu wenige Radwege.

Zu unsichere Radwege. Die wenigen, die da sind, enden teilweise abrupt mitten auf einer Autobahn. Das finde ich nicht sicher.

Schlechte Luftqualität. Stinkt oft hier. Kann aber an mir liegen.

Zu hohe Lärmbelästigung. So ist das halt in Großstädten.

Armut. Stört mich, ansehen zu müssen. Stört mich beim Genuss meines pekuniären Reichtums. Bitte alle Armen an die Stadtränder verbannen. Das Schlimme ist ja, das wird gemacht.

Im siebenten Punkt soll ich unter aufgeführten Eigenschaften der Stadt wählen. Düsseldorf sei also „modern“, „international“, „urban“, „tolerant“ (hahahahaha), „sauber“ (hahahahaha), „lebenswert“ (hahahaha).

Ich breche den Fragebogen an dieser Stelle ab, ich überlege, ob ich es mit einem Satire-Streich von Kai Dieckmann zu tun habe. Der macht jetzt gelegentlich in Satire, aber scheitert wohl daran. Vielleicht ist es auch schwierig, dem „Bild“-Leser mir Satire kommen zu wollen. Aber in seinen Versuchen hat er sich dem Niveau der Leser durchaus angenähert.

Den Fragebogen der Stadt werde ich bis zum Stichtag des 31. Mais noch vollenden und anschließend mit meinem Namen versehen. Die da oben sollen ruhig wissen, wer hier so unzufrieden rummeckert!

Klingt alles ein wenig so, als wäre ich kein Freund Düsseldorfs. Im Grunde kann man hier leben, wenn man die Düsseldorfer nicht so ernst nimmt, wie sie sich selber. Das halte ich für das größte Problem. Sie halten sich für eine Großstadt mit internationaler Bedeutung. Das ist natürlich fernab jeder Realität, oder aber sie meinen auch das satirisch. Das machte sie wiederum groß.

Meine Mitbewohnerin ist noch nicht wie ich acht Jahre hier, sondern erst vier. Die Differenz bemerke ich nicht selten, da ihr noch Dinge auffallen, die ich schon gar nicht mehr sehe. In vier weiteren Jahren wird sie ähnlich abgestumpft sein wie ich selber. Und gerne hier leben.


Das ging schnell. Ich wurde bereits für diesen extrem ernst gemeinten Text geprügelt. Von Düsseldorfern. War vielleicht nicht schlau, diesen Artikel im „Nett-Werk Düsseldorf“ zu posten …

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