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(Unter dem Text findet der Leser die HÖRBAR-Variante, mit der er zum Hörer wird.)

„Ich brauche einen Künstlernamen!“, erwähne ich am Sonntagmorgen gegenüber meiner noch schlaftrunkenen Mitbewohnerin. Schlaftrunken finde ich sie übrigens extrem sympathisch. Natürlich eben. Make-up-Massen im Gesicht bei Frauen sind überschätzt. Außerdem redet sie dann nicht soviel und vor allem: gibt kaum Widerworte. Ich glaube, der letzte Punkt ist der entscheidende.

„Wozu brauchst du einen Künstlernamen?! Bist du Künstler?“, fragt sie überraschend hellwach.

„Äh, ja also direkt ‚Künstler‘ würde Künstler irgendwie beleidigen. Aber ich meine, mit ‚Sebastian Flotho‘ kann man wohl kaum was reißen.“

„An was hast du denn gedacht? ‚Seppo Flotho‘?“

„Das ‚Flotho‘ stört mich. Das klingt zu sehr nach Flotho. Das klingt irgendwie distanziert.“, erkläre ich ihr.

„Aber das trifft dich doch ganz gut. Distanziert.“, erwidert sie. Wacher denn je.

„Ja, hallo?! Ich bin ein Freund der Menschen!“

„Nein, exakt das bist du nicht.“

„Vielleicht brauche ich aber genau deshalb einen Künstlernamen, der genau das vortäuscht. Schein ist heutzutage alles.“

„Aber mit Schein kennst du dich doch auch ganz gut aus.“

Dafür, dass sie schlaftrunken ist, gibt sie sehr viele Widerworte.

„Dafür, dass du schlaftrunken bist, gibst du sehr viele Widerworte.“

„Ich habe Routine darin, mit dir zu reden. Ich kann das im Schlaf. Dich runterholen. Dich erden.“, gibt sie zu Protokoll. Sie hat da nicht ganz Unrecht.

„Gib mir das Protokoll!“

„Welches Protokoll?!“

„Nichts … Es braucht einen Namen, der nach was Tollem klingt. Der Vorname kann bleiben. ‚Sebastian Eisen‘.“, schlage ich vor.

„Eisen?! Das klingt irgendwie nach Nazi-Übermensch. Offizier Sebastian Eisen.“

„Das ist nicht Image fördernd.“, stelle ich fest.

„Nicht, dass man dich für einen bloggenden Nazi-Offizier hält.“

„Obwohl wir ja ein Pärchen kennen, das mich für einen verkappten Neo-Nazi hält. Tolles Pärchen übrigens.“

„Schreib‘ das bloß nicht in deinen Blog.“, mahnt sie.

„Nein, mach‘ ich nicht, versprochen.“, missverspreche ich.

Ich kontaktiere meinen Manager. Rufe an, unterdrücke aber meine Nummer, da ich festgestellt habe, dass er dann eher drangeht. Muss ein technisches Problem sein.

„Ah, ich höre ein Amt! … Ja, moinsen! Ich bin’s, Seppo!“

Mein Manager, Kraftold Kramer: „Seppo, gerade ist etwas ungünstig.“

„Kraftold, macht gar nichts. Ich hab‘ Zeit. Und ’ne kurze Frage. Dein Name. ‚Kraftold Kramer‘, das ist doch ein Künstlername?“

„Nein. Ich heiße so.“

„Gut, dann heißt du eben so. Folgendes Anliegen: Würde ein Künstlername meinen Marktwert nicht ins Unermessliche steigern?“, frage ich verheißungsvoll.

Am anderen Ende des Telefons höre ich schallendes Lachen. Dann Räuspern.

„Seppo, bei aller Liebe, von ‚Marktwert‘ würde ich ungern bei dir sprechen wollen.“

„Dann wäre doch ein Künstlername ein guter Anfang. Meine Mitbewohnerin ist auch ganz aus dem Häuschen!“

Sie aus dem Hintergrund, schlaftrunkener denn je: „Bin ich nicht. Ich hab‘ resigniert.“

Ich: „Wie wäre ‚Sebastian Charme‘?“

Ich höre ein Knacken am Telefon.

„Kraftold?! Hallo? Funkloch?“

Er hat wohl aufgelegt. Muss ihm was dazwischen gekommen sein. Normal habe ich Priorität.

Ich erkläre meiner Mitbewohnerin mit leicht verbogener Wahrheit: „Er ist begeistert! Schlägt aber vor, dass ‚Stern‘ ein passenderer Name wäre; ‚Sebastian Stern‘!“

Meine Mitbewohnerin schläft nun vollends ein oder fällt ins Koma, während ich vor meinem geistigen Auge bereits die neuen Autogrammkarten entwerfe.

Sebastian Stern – der Star aus Deinem Fernseher!

Ich finde, da schwingt die mir eigene Bescheidenheit mit, man möchte fast von understatement sprechen. „Stern“, das klingt nach ganz oben, das klingt nach Glanz, das klingt nach Blenden, gar nach Verblendung.

Und doch denke ich da an den tief ins Vergangene zurückgreifenden Familienstammbaum meiner Ahnen. Empfänden sie es nicht als Verrat an der Familie, legte ich einfach meinen Namen ab. Zumal mir eigentlich immer klar war, dass, egal welche Frau da mal an meine Seite treten würde, sie meinen Namen gefälligst zu übernehmen hat. Da bin ich ganz patriarchisch, ganz traditionell. Und „Mitbewohnerin Flotho“ klingt ja auch ganz gut.

Ich wecke meine Mitbewohnerin: „Würdest du eigentlich meinen Namen annehmen, wenn wir heiraten?“

„Das klären wir, wenn es soweit ist.“

„Aber ‚Flotho‘ steht dir. Es gibt viele Frauen, die gerne ‚Flotho‘ heißen würden!“, lüge ich ihr mitten ins Gesicht, da ich an sich keine anderen Argumente habe. „Oder eben ‚Stern‘. Das passt! Wäre eine Alliteration bei dir! Wie auch bei mir. Stell‘ dir vor, einen Ansager: ‚Meine Damen und Herren, begrüßen Sie nun: Sebastian Stern!'“

Sie: „Wer zur Hölle sollte dich einmal ansagen?!“

„Na, ein Ansager! Es wird sich doch wohl irgendwo ein Ansager finden, der irgend etwas ansagen will. Notfalls kaufe ich einen Ansager. Es gibt genug Leute, die für Geld alles machen.“

Ich gehe ins Netz und googel „Ansager kaufen“ und klicke auf „Shopping Ergebnisse“. Keine Ergebnisse. Lächerlich. Bringt mich aber auf eine neue Idee:

„Mitbewohnerin, was hältst du davon, wenn ich demnächst, sollte es jobmäßig nicht mehr so gut laufen, professioneller Ansager werde?! Ich könnte mich dann selber ansagen!“

Sie, schlaftrunken: „Das tust doch bereits bei jeder sich bietenden Gelegenheit.“

„Dann habe ich also dein Einverständnis? ‚Ansager Sebastian Stern‘. Wer würde den nicht engagieren?!“

„Jeder“.


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