Hoerbar_haare

Heute war mein erster Tag bei den AF. Bei den anonymen Fernsehmoderatoren. Ich gehöre damit zu einer Gruppe von Menschen, die über Jahre ihre Fresse in die Kamera gehalten haben – ich werde das weiterhin tun -, aber dennoch weitestgehend unbekannt sind.

Ich möchte betonen, dass ich wider Erwarten einiger Mitmenschen damit nicht hadere, da ich nie große Erwartungen gehegt habe. Doch mich interessierte, wie so ein Treffen abläuft, und ob ich wirklich niemanden erkennen würde. Und ich überlegte, ob ich dem ein oder anderen die Freude mache und sagen würde:

„Hey, dich kenne ich ja aus dem Fernsehen!“

Er könnte sich die Treffen dann sparen, da seine Anonymität aufgehoben wäre. Aber machte ich ihm oder ihr wirklich eine Freude damit? Ist es nicht insgeheim so, dass eher ich darauf warte, zumindest im Kreise der anonymen Fernsehmoderatoren erkannt zu werden?

Doch vorab fahre ich zu meiner alten Wirkungsstätte, um den Laden auszuräumen. Mitnehmen, was noch da ist.

Halt! Der ein oder andere wird es von mir nicht erwarten, aber ich pflege so etwas wie eine Moral. Werte und Moral können helfen, sie stehen einem nicht im Wege, sie ermöglichen erst die richtigen Entscheidungen. Gut, ich habe schon dramatische Fehlentscheidungen getroffen im Leben, die jedoch hatten mit meinen Prinzipien nichts zu tun.

So blieb mir nur, das mitzunehmen, was mir ohnehin schon gehörte. Mein Gehstock, den ich als Moderationsunterstützung brauchte, was rational keinen Sinn ergibt, aber ich habe eben gerne etwas in der Hand. Und ich dachte mir, da ich bis gestern Abend am Stock ging, passte das doch ganz gut.

Wie ist das dann so, wenn man sich durch die heiligen Hallen des größten Regionalsenders aller Welten und Zeiten bewegt, nachdem das Licht ausgeschaltet worden ist? Dunkel. Und es ist voller Wehmut, doch begreifen tut man es nicht. Die Regale sind schon leerer geworden und man erkennt, wie ein Studio-Set aussehen kann, wenn man es regelmäßig aufräumt. Doch das war eben unser Set; es gehörte dazu, dass wir nach und nach unseren Kram anschleppten, denn wir haben ja auch viel Cait dort verbracht.

Ich treffe auf einen anonymen Fernsehmoderator, der mich fragt:

„Die Parkplatzsuche ist für dich jetzt kein Problem mehr, oder?“

„Nein, um 16 Uhr kriegste in Oberbilk immer was! Das ist toll! Ich fahre oft nur sinnlos ’ne Runde, um dann die Qual der Wahl zwischen Parkplätzen haben zu können!“, sage ich und erkenne, dass jedem Ende etwas Neues inne ist, wobei ich bei dem Spruch nach wie vor brechen mag, denn dieses Ende habe ich gar nicht gewollt.

Doch es gibt auch die erfrischende Gelegenheit, mit anderen Dingen aufzuräumen. Man bekommt Lust auf einen gänzlich neuen Lebensabschnitt. Als erstes entsorge ich meine Mitbewohnerin. Sie verdient mir einfach zu viel.

Und dann klicke ich auch bei anderen Dingen auf „Abbrechen“ oder zumindest „Einstellungen“, um hier und da zu justieren, um mich fit für die nächsten zehn Jahre zu machen. Ich habe die Muße, mein Sportprogramm weiter auszubauen, um in das Geschäft der „Käfig-Kämpfe“ einzusteigen, oder um optisch einfach meine Mitbewohnerin und Lara zu beeindrucken.

Etwas anderes betrifft das seppolog. Das wird ausgebaut zu einer multimedialen Entertainment-Plattform mit „Adult-Zone“ oder auch einfach nur pekuniär ausgeschlachtet. Jederzeit bin ich auch – Moral hin, Moral her – bereit, meine Seele zu verkaufen. Der Preis muss stimmen. Ich habe sie 36 oder 37 Jahre lang geformt und von anderen (de-)formieren lassen, die ist in einem unfassbar kostbaren Zustand.

Ich nehme mir vor, diesen Satz später in meine Vorstellung bei den AF einzubauen.

„Hallo, ich bin Sebastian, besser unbekannt als ‚Seppo‘ und habe 36 oder 37 Jahre lang meine Seele geformt und (de-)formieren lassen. Montags bis freitags war ich drei Stunden live ‚on air‘ und dennoch hält meine Nachbarin, die mir morgens die ‚FAZ‘ vor die Tür legt, für einen Werbe-Kreativen, weil sie mich mit meiner Mitbewohnerin verwechselt.“

Alle dann im Chor: „Hallooooo, Sebastian.“

Ich dann gönnerhaft: „Ach wisst ihr, sagt doch einfach ‚Seppo‘. Freunde nennen mich so.“

Alle dann im Chor: „Hallooooo, Sebastian.“

Ich muss mir die Dinge aufschreiben. Auf Moderationskarten am besten. Wobei, hab‘ ich nie gehabt. Hätten mir vielleicht aber schwer geholfen. Doch verstand ich es immer als meine „Kunst“, alles aus der Lameng zu tun, weil das doch viel anspruchsvoller ist.

Und auch in die Hose gehen kann. Aber das ist für den Zuschauer doch eh das schönste, wenn etwas nicht funktioniert. Und davon hatten wir reichlich zu bieten.

Ich bin mitnichten über alle Maße wehmütig, sondern fasse Optimismus, erlaube mir dennoch, auf eine fantastische Zeit zurückzublicken. Und einige Kollegen treffe ich ja wieder, bei den AF.

Da wäre zum Beispiel Loptobert. Er geht seit drei Tagen zu den Treffen und muss demnächst seine erste Aufgabe meistern: Er muss seiner Freundin gestehen, dass er seit Jahren im Fernsehen moderiert. Er kommt nicht darauf klar, dass sie ihn nicht erkennt, obwohl sie sich das von ihm moderierte Format regelmäßig anschauen. Das ist bitter für Menschen, die meinen, sie hätten ein Recht darauf, ihr Gesicht der Öffentlichkeit preiszugeben. Ich glaube nicht, ein Anrecht darauf zu haben. Ich nehme es mir einfach.