2016-05-17 09.29.22

Hoerbar_haare

Ich schrieb jüngst über unsere neue Mikrowelle, die nach Beendigung des Mikrowellierens meint, viermal piepen  zu müssen. Öffnet man das Gerät dann nicht, piept sie im Abstand von zwei Minuten jeweils einmal. Und zwar solange, bis man entnervt das Erhitzte herausholt. Das ist natürlich irgendwo praktisch, denn oft genug habe ich früher die alte Mikrowelle geöffnet, nur um festzustellen, dass vom Vortag noch etwas darin stand. Das kann nun nicht mehr passieren, dennoch nervt es, von einem Küchengerät bevormundet zu werden. Wir werden zu Sklaven von Maschinen.

Über Pfingsten war ich bei meinen Eltern in Münster gern gesehener Gast. Auch dort piepte unentwegt irgend etwas. Es war ihre neue Waschmaschine von „Bosch“. Sie piept nach dem finalen Schleudervorgang. Bis man sie öffnet. Und sie piept laut. Als wüsste sie, dass sie im Keller steht und nur durch diesen unüberhörbaren Fiep-Ton wahrgenommen werden kann. Die Maschine wirkt dadurch aggressiv. Sie sieht sogar aggressiv aus, etwa so wie moderne Autos, deren Scheinwerfer mitunter äußerst aggressiv anmuten, wenn sie meinen kleinen Toyota von der linken Spur auf der Autobahn wegblinken. Das sind diese Audis, die man nicht sieht, wenn man auf die linke Spur wechselt, die dann aber plötzlich da sind, kaum dass man ausgeschert ist.

Meine Eltern gehen auf die 70 zu und gelegentlich ist Thema, wie man fit bleibt. Die Waschmaschine hilft dabei. Es beginnt bei der Diskussion darüber, wer sie nun öffnet: mein Vater oder meine Mutter. Zunächst überhören beide mit Absicht den Signalton und tun so, als seien sie beschäftigt. Mein Vater tarnt sich stets mit dem Lösen des Rätsels „Um die Ecke gedacht“ aus dem „Zeit Magazin“, das wirklich nicht einfach ist. Seit er Pensionär ist, knackt er jedoch wöchentlich dieses unmenschliche Rätsel. Meine Mutter hingegen greift sich den „Schaumstoff“-Besen, sobald die Maschine piept, um die Haare des Hundes wegzufegen.

„Dieser dämliche Hund.“

Doch mit jedem Piepen wird sie lauter. Auch meine Mutter. Einer muss sich also erbarmen, die 13 Stufen in den Keller zu nehmen, um sie zu öffnen, die Maschine. Als Kind war für mich immer völlig unverständlich, warum es in den Keller nur 13 Stufen, ins Obergeschoss aber 15 Stufen sind.

„Josef, die Waschmaschine piept!“, meine Mutter.

„Senkrecht: Luftige Antwort aus dem Reich des Womöglichen, sechs Buchstaben …“

Irgendwann gibt sich dann einer geschlagen und rennt in den Keller. Sie rennen in den Keller. Das hält fit. Treppensteigen. Irgendwann segeln sie die Stufen unkontrolliert hinunter.

Selbes beobachte ich, wenn ihr Telefon klingelt. Ruft man bei meinen Eltern an, muss man viel Geduld mitbringen. Denn auch das diskutieren sie aus, also wer ans Telefon geht. Wenn sie es denn finden. Auch so eine Sache, kennt man ja. Nie weiß man, wo man das Telefon zuletzt abgelegt hat. Greift mein Vater zum Hörer, betrachtet er zunächst die angezeigte Nummer:

„‚0211‘ – was ist denn das für eine Vorwahl? Köln? Wer kann das sein?“, ratlos mein Vater.

„Köln ist ‚0221‘. Das ist Düsseldorf, das ist Sebastian“, meine Mutter.

„Das kann nicht sein, ich bin ja hier“, kläre ich auf, „Warum speichert ihr die Nummern nicht ein?“

Mein Vater reicht den Hörer dann an meine Mutter weiter.

„Ich kann nicht telefonieren, ich muss jetzt die Wäsche aufhängen. Die Maschine piept seit heute Morgen.“

Und irgendwann hat der Anrufer es aufgegeben. Es hätte meine Mitbewohnerin gewesen sein können.

Ich bin leider nicht oft in der Heimat, vielleicht auch deshalb, weil dort immer verschiedene Aufgaben auf mich warten. Beispielsweise das Entfernen diverser Viren vom Rechner meiner Eltern. Oder das Ordnen von Fotos, die ich in einem langen Telefonat unter Zuhilfenahme von „TeamViewer“ von der Kamera meines Vaters auf deren Rechner transferiert habe. In irgendeinen Ordner.

„Das ordnen wir dann alles mal, wenn du mal wieder hier bist!“, sagt mein Vater dann immer.

Und nun war es wieder soweit. Fotos ordnen. „Urlaub Mosel 2005“ ist dabei wieder aufgetaucht. Elf Jahre lang hat mein Vater diese Fotos gesucht! Sie lagen in „C:\Eigene Dokumente“, wo sie wirklich nicht hingehören.

Ein anderes Problem ist immer der Fernseher. Das hat nichts mit technischen Unzulänglichkeiten meiner Eltern zu tun, das hat etwas mit ihrem seltsamen „Philips“-Fernseher zu tun. Das Gerät überspringt regelmäßig die Programmplätze acht und neun. Auf neun wäre der „WDR“, was auf acht ist, weiß niemand mehr, da man acht nicht mehr anwählen kann. Ich setze auf „Arte“, denn Arte fand ich sonst nicht. Auf 37 ist „NRW.TV“.

„Ihr habt meinen Sender soweit hinten eingespeichert?!“

„Ihr sendet ja nicht mehr. Kannst du eigentlich löschen.“, mein Vater.

Recht hat er.

Ich bin in großer Sorge ob des Abschaltens des analogen Fernsehens. Meinen Eltern sind die Konsequenzen daraus für sie noch nicht völlig klar. Ich sehe mich schon nach Münster fahren, nur um ihnen weiteren TV-Genuss für ihren Lebensabend zu ermöglichen. Das Ordnen der Sender ist bei diesem Gerät eine Herkules-Aufgabe, der Leser macht sich keine Vorstellungen.

Denkt man an die Endlichkeit der eigenen Eltern, so ahnt man, dass man diese Dinge einmal vermissen wird. Wie zum Beispiel diesen Spruch meiner Mutter beim Essen, wenn sie wieder einmal versucht, mir einen Salat anzudrehen:

„Aber den hast du doch immer gegessen!“

„Nein! Habe ich nie! Ich habe nie Gurkensalat gegessen!“, protestiere ich unermüdlich.

„Aber den Blumenkohl! Den hast du doch immer so gerne gegessen!“

„Nein! Ich habe Blumenkohl immer gehasst und werde ihn weiterhin hassen!“

„Probier‘ ihn doch wenigstens mal!“, sagt sie dann.

„Ich habe ihn jedes Mal probiert, nur um ihn dann nicht zu mögen!“

Das nervt, doch man wird es vermissen.


Ebenfalls eine große Tradition, wenn ich die Heimat besuche: Die Innenraum-Reinigung des Autos. Später des Tages hier, im seppolog als zweiten Teil der „Heimat-Trilogie“!