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Hoerbar_haare

Ich stehe vor einer großen Periode des Strohwitwer-Daseins, was mich ausnahmsweise mal nicht erfreut, da sich dieser Zeitraum über einen recht langen Zeitraum erstreckt, wobei beide Zeiträume kongruent sind, der Sachverhalt folgt da der Logik, auch wenn meine Mitbewohnerin in ihrer Rolle als Frau, wobei Frausein ja mehr als nur eine Rolle ist, dabei eine große Rolle spielt. Nun habe ich vergessen, was ich eigentlich schreiben wollte.

Ich werde diese Strohwitwer-Phase auch für einen kleinen Heimat-Aufenthalt in Münster nutzen, wo ich bereits vergangenes Wochenende von einer Musikkapelle empfangen wurde. Das sind so die Privilegien, die mir aus meiner Zeit als Grandeur des deutschen Fernsehens geblieben sind.

Dass ich großer Freund meiner Heimatstadt bin, ist im seppolog Legion, doch stelle ich nach acht Jahren Düsseldorf fest, dass Münster, sagen wir mal, etwas übersichtlicher ist. Zähneknirschend gebe ich zu, dass Münster im Vergleich zu dieser selbstverliebten Landeshauptstadt eher klein anmutet, was aber auch ihren Reiz ausmacht. Jedoch gerade als passionierter Läufer, der ich nun einmal bin, stößt man schnell an Münsters Grenzen, was die Auswahl der Strecken angeht: Innerhalb von vier Jahren etwa bin ich durch jede Straße Münsters mindestens einmal gelaufen. Hier in Düsseldorf brauchte es ein paar mehr Jährchen, bis auch entlegene Winkel wie das „Rotthäuser Bachtal“ von mir in Laufschuhen betreten worden war. Für Läufer gibt Düsseldorf mehr her.

Ich hänge sehr an Orten. An „Stellen“. Kaum ein Ort in Münster, den ich nicht doch irgendwie mit einem bestimmten Lauf verbinde. Vergangene Woche lief ich meine „Wasserwerk-Runde“, die an einem Wasserwerk – wer hätte es gedacht?! – vorbeiführt.

 

In solchen Momenten ergreift mich eine mit unerträglicher Melancholie gepaarte Nostalgie. Wenn man zurückkommt an den Ort, den man schon in der ersten Klasse besucht hat („So wird unser Trinkwasser geklärt!“ – Hier hatte ich gelernt, dass wir Wasser nicht ver-, sondern gebrauchen. Bis heute hängen geblieben!), den man dann nach unsportlichen zwanzig weiteren Jahren plötzlich regelmäßig joggend aufgesucht hat.

Heimat ist etwas, das bleibt. Und ich meine die Ur-Heimat. Bin ich in Münster, empfinde ich es als ein Zurücksetzen, als ein Innehalten. Das ist etwas, das einem niemand nehmen kann, der nicht gerade mit Atombomben die Stadt dem Erdboden gleichmacht, denn es sind nicht die geographischen Koordinaten, die Heimat ausmachen, sondern ihre Orte und die damit verbundenen Erinnerungen.

In unserer Nachbarschaft, also in der meiner Kindheit und Jugend, sind erschreckend viele meines Alters, mit denen ich früher auf der Straße gespielt hatte, was man zu „unserer Zeit“ noch tat, inzwischen verstorben. Autounfall. Lungenembolien (gleich drei Mal). Krebs.

Mich beschleicht der Gedanke, diese Nachbarschaft ist verflucht, ich sollte sie nicht sooft aufsuchen … Da sind deren Eltern, die inzwischen Großeltern sind, von denen man gar nicht wahrnimmt, dass sie inzwischen wirklich mal alt geworden sind.

Was auch für die eigenen Eltern zutrifft. Mit Schrecken stellte ich kürzlich fest, dass mein Vater demnächst die achte Dekade in Angriff nehmen wird. Dass sein weniges Haar inzwischen grau ist, nehme ich eigentlich gar nicht wahr. Die Endlichkeit der Eltern ist etwas, was ich nicht eingeplant habe, obwohl es so klar ist.

Was bleiben wird, ist das Elternhaus. Da muss ich ein Auge auf die Testamente werfen, das Haus muss unbedingt in Familienbesitz bleiben, am besten in meinem, mein Bruder hat genug Häuser. Was für ein kurioses Gefühl, halte ich mich in meinem alten „Kinderzimmer“ auf, das inzwischen natürlich völlig anders aussieht, aber auch keine richtige Funktion mehr hat. Da ist dieser altmodische Heizkörper, gegen den ich mal versehentlich meinen Kopf gerammt habe. Und der Ausblick aus dem Fenster darüber! Dadurch sah ich mal mit einem Teleskop bei unseren gegenüber liegenden Nachbarn ins Schlafzimmer und sah Dinge, die nachhaltiges Interesse bei mir geweckt hatten, die ich nun selber praktiziere. Da stank die Betrachtung des Mondes kolossal gegen ab.

Man kommt wieder nach Hause und ist wieder Sohn. Dass ich selber inzwischen so alt bin, wie meine Mutter auch mal war – aus unerfindlichen Gründen erinnere ich sehr gut ihren 36. oder 37. Geburtstag -, rückt in den Hintergrund. Die Mutter-Sohn-Beziehung scheint unverändert dieselbe zu sein wir vor 20 Jahren.

 

Ich erahne, wie allein man sich fühlen wird, gehen einmal die Eltern. Nicht einkaufen, sondern im endgültigen Sinne des Gehens. Es fällt dann eine Basis weg, ein Fundament, das durch nichts ersetzt werden kann. Der glänzende Humor meines Vaters, den meine Mutter nach so vielen Ehejahren nur noch als albern empfindet, wird fehlen. Sogar seine Anrufe, wenn sein Rechner mit einer Fehlermeldung aufwartet, die bislang noch kein anderer „User“ auf dieser Erde provoziert hat und ich dann stets sage: „Anwenderfehler“, um ihn zu ärgern.

Nun gut, 70 ist ja das neue 65, also da geht noch was. Für Trauer ist es noch zu früh.

Komme ich in die Heimat, ins Elternhaus, ist das einer der seltenen Momente, wo alles andere drumherum keine Rolle mehr spielt. Schwierig sind nur immer die Gespräche mit meiner Mutter, die mir mitteilt, wer wieder alles ins Gras gebissen hat. Manch Dahingeschiedenen kenne ich nicht mal, bei anderen bin ich hingegen schockiert.

Ich werde eine komplette Münster-Woche mir in Balde gönnen, in der ich alte Laufstrecken ablaufe. Mit der richtigen Musik auf dem Ohr währenddessen wird das schwerst melancholisch, da ich leider einen Hang dazu habe. Wenn ich dann realisiere: „Hier bist du das letzte Mal vor zehn Jahren hergelaufen“, da war ich 26 oder 27. In meinen noch jungen Jahren ist das eine ganze andere Ära, was aber auch zeigt, wie schnell dann doch die Jahre ins Land ziehen. Da passt es, dass ich nicht ansatzweise mit dem „Altern“ hadere, da ich mir einrede, innerlich kein Stück zu altern.


Zu Teil 1 und 2.


Meinen Alterungsprozess im Detail dokumentiert die Chronik meiner Facebook-Seite. Folgt mir gerne bis ins hohe Alter!