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Hoerbar_haare
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Meine Mitbewohnerin, die ich nicht hoch genug schätzen kann, weilt zur Zeit am anderen Ende der Welt. Zu ihrem Unglück, wie sie findet, in Äquatornähe, was einen lächerlich frühen Sonnenuntergang um etwa 18 Uhr bedingt.

Dort sind es stets sechs Stunden später als hier. Diese Zeitverschiebung wird dadurch kompensiert, dass unsere Facebook-Konversationen ebenfalls unter einer erheblichen Zeitverzögerung leiden; allerdings überkompensiert, da unsere Nachrichten jeweils zwölf Stunden benötigen, um den anderen zu erreichen. Das bedingt das schlecht ausgebaute Netz in Deutschland Hjrzky, dem Hauptort der Insel Hanef, auf der sie gerade Urlaub macht und von den Einheimischen ausgebeutet wird.

Nur haben wir erst nach etwa drei Tagen festgestellt, dass es da eine nicht unerhebliche Verzögerung gibt, wodurch direkt einige Missverständnisse ausgeräumt werden konnten, nachdem da Antworten auf zwölf Stunden alte Fragen gekommen waren, die in der Kombination mit einer aktuellen Frage, die sie aber noch gar nicht empfangen hatte, in ihrer Bedeutung schwer pervertiert wurden – vom Empfänger, also von mir. Was sich auf der anderen Seite des Globus äquivalent verhielt.

Dieses ist im Übrigen die Stelle, an der sich der Titel dieses Beitrages praktisch diesem selbst aufgezwungen hat.

Nachdem zwei dieser Missverständnisse also zu zwei Trennungen geführt hatten, die dann aber annulliert wurden, konnten wir herzhaft darüber lachen. Auch wenn ich erst zwölf Stunden später als sie wusste, warum sie lachte.

Gestern, beziehungsweise zwölf Stunden vorher, minus die sechs Stunden, die sie mir voraus ist, erreichte mich die Ankündigung, sie habe mir ein Foto geschickt, ganz speziell für mich. Ich schrieb:

„Noch nichts da.“

Dann fiel mir die Zwölf-Stunden-Regel ein und ich wartete geduldig voller Ungeduld auf jenes Foto. Und hier bitte ich sehr um Einschränkung der Fantasie des Lesers aus Respekt vor meiner Mitbewohnerin, die ein eindrucksvolles Niveau zu pflegen pflegt.

Heute Morgen dann erreichte mich jenes groß angekündigte Foto. Und ja, nach elf Tagen ihrer Abwesenheit wurde mir klar, auf wen ich mich da freue, wenn sie wiederkommt. Was für eine Frau!, erlaubte ich mir zu denken beim Anblick jener Fotografie und dankte meinem Schicksal, dass es neben einigen Herausforderungen mir so etwas als Belohnung zuteil werden lässt.

Ich habe ihr dann ebenfalls ein Foto zugesandt, das sie in diesen Stunden erreichen dürfte. Ich schickte ihr eine Ablichtung unserer leeren Obstschale mit der Bemerkung:

„Obst fehlt, wenn Du fehlst.“

Wenn unsere Obst-Etagere von „Ikea“ leer ist, kann das nur bedeuten, dass der einzige Obst-Konsument in dieser Wohnung länger außer Haus ist. Und isst. Dort, wo sie nun ist und isst, isst man das Obst direkt vom Baum. Oder vom Busch. Und sie erzählt den Einheimischen vermutlich in diesem Moment, dass man in Deutschland das Obst aus Etageren schwedischer Produktion esse, nur ihr Mitbewohner nicht, der esse Obst weder direkt vom Baum, noch mittelbar einer Etagere.

Mein Tagwerk bestand heute unter anderem darin, jemanden in die Welt der sozialen Medien einzuführen. Heute gab ich Lektion 1, Modul A: „Facebook“. Wer mit Facebook herangewachsen ist und mit seinen Funktionen, dem kommt gar nicht in den Sinn, dass Facebook über eine eher wenig intuitive Benutzeroberfläche verfügt. Bei entscheidenden Fragen, die an mich gerichtet wurden, wurde mir klar, dass es tatsächlich ein verworrenes Netzwerk ist.

„Wer sieht was wann, wo und wann dessen Freundesfreunde auf welchem Profil, in welcher Chronik, auf welcher Seite und warum sind die Neuigkeiten nicht die Chronik und warum ist ein Profil keine Seite, obwohl im Netz doch alles Seiten sind?“

Die Frage ist gut. Kann man sie beantworten, hat man im Grunde bereits den Quellcode Facebooks offengelegt. Ich konnte sie beantworten. Und beim dritten Mal sogar so, dass es verstanden wurde. Doch nostalgisch dachte ich an „studiVZ“ zurück, das noch so simpel war. Mein Profil gibt es dort noch immer. Wieder so ein Fall, wo ein Totgesagter einfach nicht abgeschaltet wird …

Ich nutze Facebook jeden Tag, ich möchte fast sagen, ich benutze es mehr als es mich benutzt und habe auf die Weise schon sehr viel über Facebooks Nutzungsverhalten gelernt. Facebook gibt mir also unfreiwillig seine Daten, darum erlaube ich Facebook auch, mich kostenlos zu nutzen. Aber ich lasse es mir eben auch nicht nehmen, Facebook auszuwerten und nur noch das zu posten, was Facebook von meinen Postings bislang am meisten interessiert hat. Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess, sodass Facebook demnächst von mir nur noch das lesen wird, was es lesen möchte. Um das abzukürzen: Auf diese Weise stirbt unser Pluralismus und damit unsere hart erkämpfte und von den Alliierten uns auferlegte Demokratie. Aber auf der anderen Seite haben die sozialen Medien ja auch den arabischen Frühling ermöglicht, dessen Verlauf eine allerdings etwas ungünstige Richtung eingeschlagen hat.

Obwohl ich mir im Grunde überall Frieden wünsche, werde ich dort erst einmal nicht intervenieren, zumal ich auch sagenhaft müde bin. Vielleicht interessiert den ein oder anderen Leser, dass ich diesen Artikel unter Zwang verfasse. Da ich bereits seit halb sechs wach bin – und das nach einer eher kurzen Nacht -, liegt mein Kopf, während ich dieses schreibe, in meinem Schoß, die Augen geschlossen. Doch ich hatte diese alberne Idee mit der Zeitverzögerung. Nur weil ich Freundin Sophie schrieb (ah, wieder nur in einem Nebensatz, Sophie!), dass zwischen meiner Mitbewohnerin und mir zwölf Stunden Verzögerung herrschten, um dann hinterherzuschieben:

„Verdammt, das ist einen Artikel wert!“

Dann aber zu zögern:

„Ich bin zu müde. Mein Kinn hängt schon an meiner Brust.“

Dann begann ich mit den ersten Zeilen, um es direkt wieder zu lassen. Doch es lässt einem keine Ruhe, es ist mitunter eine Qual und man will es hinter sich bringen.

Meine Mitbewohnerin wird gleich aufstehen, am anderen Ende der Welt. Sie wird die Nachricht empfangen

„Ich habe auch ein Foto für Dich!“

und dann zwölf Stunden warten müssen, nur um dann die leere Obstschale sehen zu dürfen. Mich plagt nun ein schlechtes Gewissen, aber wenn sie ehrlich ist, sollte ihr klar sein, dass sie von mir nichts anderes erwarten darf.


Viel mehr erwartet den Leser auf meiner Facebook-Seite, der ein wenig „traffic“ gut anstehen würde!