wörter

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Worte sind das Gesprochene, Wörter das Geschriebene. Was ich bedaure, da „Wörter“ in meinen Ohren eher technisch klingt, dem nicht gerecht wird, was sie letztlich leisten. Aber schließlich ist „Wörter“ auch nur ein Wort.

Wörter konnten ursprünglich mehr Menschen erreichen, als es Worte konnten. Heute erreichen Worte ihr Publikum über Radio, Fernsehen und auch das Internet. Luther hat durch Wörter mehr bewegt, als er durch Worte vermochte, da er die althebräischen Wörter ins Deutsche übersetzt hat, ins Frühneuhochdeutsche, und sie als gedruckten Blog verbreitet hat. lutherlog. Heute könnte er sich des Mittels des Podcasts bedienen: soundcloud.com/lutherlog.

Ich selber bin eher Freund der Wörter. Denn Wörter sind überlegter. Überlegener vielleicht sogar. Worte sind die Improvisation der Wörter. So wie Musik improvisiert sein kann, geschieht es natürlich ganz alltäglich auch mit Worten. Doch Wörter kommen der Komposition in der Musik nahe. Man schreibt sie nieder, liest sie und korrigiert sie gegebenenfalls, bis sie eine Einheit bilden, in der das einzelne Wort nicht ohne die anderen funktioniert, mit den anderen ein Gesamtwerk bilden.

Manche dieser Kompositionen überdauern Jahrhunderte, werden dem neuen Sprachgebrauch angepasst oder manipulierend sinnentstellt, um sie zu missbrauchen. Viele dieser Werke bedürfen einer Interpretation seitens des Rezipienten, was leider ebenfalls Tür und Tor zum Missbrauch öffnet. Wörter sind scheinbar nie eindeutig, Sprache entzieht sich in ihrer Semantik der Mathematik, die, einmal verstanden, eindeutig ist.

Die lateinische Grammatik hat viel Logisches. Ich war als Schüler ein Gott der Latein-Grammatik, konnte jeden Genus mit all seinen Ausnahmen deklinieren, jedes Verb konjugieren und jeden Ablativus Absolutus innerhalb eines Satzes dingfest machen. Doch wenn es dann darum ging, wirklich mal einen lateinischen Satz ins Deutsche zu übersetzen, kamen die seltsamsten Dinge dabei heraus, die selbst mit viel gutem Willen sich jedem Sinn entzogen. Wer in der Mathematik addieren kann, für den ist „5+5“ klar, wer in der Sprache deklinieren und konjugieren kann, der kann noch lange nicht Sprache verstehen.

Ich habe das Große Latinum mit einem „Befriedigend“ dankend angenommen, ich trage es heute noch in meinem Portemonnaie bei mir. Ein liebloser handschriftlicher Zettel meines damaligen Lateinlehrers, Herrn Wiechers‘, auf dem schlicht „befriedigend“ steht. Als er ihn mir gab, sah ich in seinen Augen:

Verdient hast du es nicht.“

Latein habe ich also nie so richtig beherrscht, dafür half es im Umgang mit Wörtern und Satzkonstruktionen im Deutschen. Es kann auch gar keinen anderen Grund geben, diese Sprache zu erlernen, wenn man nicht gerade eine Historiker-Karriere anstrebt. Übrigens habe ich formal auch Geschichte studiert. Ein Umstand, den ich selber immer wieder vergesse. Und ein Historiker sollte nicht vergessen.

Und darum gibt es Wörter. Gegen das Vergessen.

Ich behaupte ungeprüft, dass nie so viele Wörter (nicht Worte!) produziert wurden, wie es in unseren Zeiten der Fall ist. Ich selber steuere rund 1.000 pro Tag dazu bei. Weil inzwischen jeder öffentlich schreiben kann, liest man auch sehr viel Scheiße. Das beziehe ich nicht einmal auf den Inhalt (AfD-Parteiprogramm), sondern auf die Form. Sprache wird vielfach vergewaltigt. Ein schönes Beispiel ist das Laufband von „N-TV“ oder wahlweise auch das „N24“. Ich bin derart pedantisch, dass ich heute Morgen kurz davor war, bei „N-TV“ anzurufen, um ihnen mitzuteilen, dass es nicht „STRAßENSCHLACHT“, sondern „STRASSENSCHLACHT“ heißen muss. Ich schaltete dann aber um auf „N24“, das bald nur noch „Welt“ heißen wird, um die Zugehörigkeit zur Dachmarke „Die Welt“ zu verdeutlichen, aber auch deren Laufband hatte offenbar ein Praktikant bestückt. Ich konnte nur noch erahnen, dass es sich um die deutsche Sprache gehandelt haben soll. Ich schaltete letztlich weiter auf „Tagesschau24“, wo das Beherrschen der Muttersprache noch Einstellungskriterium zu sein scheint. Ich bin und bleibe Spießer. Aber es hat einen Grund, warum man sich irgendwann einmal auf eine einheitliche Schreibung geeinigt hat.

Das Niederschreiben von Wörtern hat etwas ungemein Beruhigendes, manchmal allerdings, wenn man denkt, ein Meisterwerk verfasst zu haben, etwas sehr Erregendes. Wenn einen so etwas nachts um ein Uhr ereilt, ist das eher störend, doch man kann sich nicht dagegen wehren. Das Schreiben erfordert eine ungemeine Konzentration, die sich sofort einstellt, alsbald man damit begonnen hat. Für mich stelle ich fest, dass mich ein piependes Handy nicht mehr interessiert, die im Hinterhof schief singende Nachbarin mich ebenfalls kalt lässt, auch wenn ich gerade darüber schmunzeln muss, dass sie bereits von zwei weiteren Nachbarn relativ höflich zum Einstellen des Gesangs aufgefordert worden ist. Man nimmt es noch wahr, aber es dringt nicht durch, als blicke man gebannt mit einem Tunnelblick auf den Monitor des Laptops, auf dem ein Buchstabe nach dem anderen aufploppt.

Handschrift kann ich auch. Wird in Schweden beispielsweise den Grundschülern demnächst nicht mehr gelehrt, sie lernen direkt auf der Tastatur. Weil Teile meiner Handschrift nicht mehr Schreib-, sondern Druckschrift geworden sind, bin ich handschriftlich bedauerlicherweise langsamer unterwegs als mittels Tastatur. Doch wäre es auch eine Zumutung, das seppolog in Handschrift zu verfassen. Die Kosten der Logistik wären nicht tragbar für mich und mein Schriftbild nicht für den Leser. So gesehen hat diese Form der Niederschrift von Wörtern schon ihre Berechtigung.

Warum schreibe ich eigentlich? Diese Frage stellte ich mir heute Abend, als ich in eine melancholische Stimmung abrutschte. Ich konnte sie mir nicht beantworten, die Frage. Es muss aber etwas zu tun haben mit dem Akt des – es ist so hochtrabend, wie es klingt – Komponierens. Jeder Text hat sein ganz eigenes Wesen. Der vorige ist ein völlig anderer als dieser, obwohl er sich der gleichen Wörter bedient. Die Reihenfolge der Wörter bestimmt sein Wesen, die Länge der Sätze transportiert seine Grundstimmung. Das kann Mathematik nicht leisten. Eine Kurvendiskussion hat immer dieselbe Stimmung, ob x gleich fünf oder x gleich sieben. Der Tenor ist derselbe. Sprache vermag da mehr zu leisten.


Kurze, abgehackte Sätze gibt es auf meiner Facebook-Seite.