schmelztiegel

Hoerbar_haare
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Im Bett sitzend, das nur zum Teil frisch und überhaupt bezogen ist,

Das muss ich erklären. Ich bin Bettbezugsnazi. Im Grunde muss mein Bett immer frisch bezogen sein. Also nahm ich mich auch gestern dieser nervtötenden Arbeit an, allerdings in Etappen, da ich das Beziehen des Bettes ebenso wie den Nationalsozialismus ablehne. Anders als um den Nationalsozialismus führt aber am frischen Bettbezug kein Weg vorbei. Also in Etappen. Zwischen Etappe zwei (Matratze) und Etappe drei (Kissen) gab ich mich meiner „Biegehantel“ hin, bei der es gilt, einen Widerstand von 60 Kilogramm zu durchbrechen. Nach etwa drei Durchgängen färbte sich mein linker Oberarm bedenklich blau, was ich so noch nicht bei mir gesehen hatte. Zudem spürte ich im Grunde beide Arme auch nicht mehr, sie hingen schlaff herunter und fällten ein Lot zum Boden. Ich hatte es also offenbar übertrieben, meine Muskeln stellten den Betrieb ein. Nach 20 Minuten etwa konnte ich sie wieder anheben, die Arme, jedoch – und nun komme ich zum Punkt – war ich nicht mehr in der Lage, das Bett abschließend zu beziehen.

pflege ich morgens noch ein paar Stunden zu lesen. Nicht selten lese ich in der Hoffnung, auf irgend etwas zu stoßen, das wiederum mich zum Schreiben animiert. Um es vorweg zu nehmen: Die heutige Ausbeute ist nicht unbedingt befriedigend, der Samstagspresse-Journalismus hat als Zulieferer für das seppolog versagt.

Jedoch stieß ich auf ein Interview mit dem Schriftsteller Richard Ford, der in derselben Stadt wie Stephen King lebt. Ford will Trump nicht als Präsidenten und gibt einen tollen Satz von sich, mit dem er sich auf den Schreibprozess bezieht:

„In dem heißen Schmelztiegel, dessen du dich bedienst, während du schreibst, entstehen Dinge, die das Denken allein nie hervorholen könnte.“

Da ist was dran, freilich ohne mich auf eine Stufe mit ihm stellen zu wollen. Denn ihm gelingt mit einem Satz das auszudrücken, wofür ich etwas weiter ausholen musste.

Dieser Mann, der eine Lese-Rechtschreibschwäche hat und trotzdem Bücher verfasst, die ihren Absatz finden,

Absatz schätzt sein inneres Alter auf 19, was sein tatsächliches um 53 Jahre verfehlt. Ich habe noch nie von einem Menschen gehört, der sein äußeres Alter auch mit seinem inneren gleichsetzt. Wir fühlen uns also grundsätzlich innerlich jünger als wir sind. Da drängt sich für mich die Frage auf, ob wir da nicht etwas als „alt“ bezeichnen, was es gar nicht ist. Der Mann ist 72, fühle sich aber jung. Vielleicht ist 72 somit gar nicht alt, aber irgendwie reden wir uns das immer wieder ein, sodass wir stets auf unser zweites, meist jugendliches inneres Alter verweisen.

Frage man seine Frau, sei er im Übrigen neun. Das wäre mir persönlich für ein inneres Alter dann doch schon wieder zu jung, aber fragt man meine Mitbewohnerin nach meinem inneren Alter, würde ich sie höflich, aber bestimmt um ein Verweigern der Antwort bitten.

Ich habe, was Bücher angeht, ein entscheidendes Problem, was mir auch in komplexen Fernsehserien immer wieder zum Verhängnis wird. Ich kann mir einfach nicht die Namen der Handelnden merken. Ich sehe derzeit „The Killing“ bei „Netflix“ in der vierten Staffel. Ich weiß nach wie vor nicht, wie der Kollege der Protagonistin heißt. Und die wiederum heißt, glaube ich, Lindoln.

Haha, ich hab’s gegoogelt, sie heißt „Linden“. Diese Problematik führt dazu, dass wenn sich zwei Handelnde, die ich sehe über eine Person unterhalten, die ich nicht sehe, sie also nur ihren Namen nennen, weiß ich im Grunde nicht, über wen sie gerade sprechen. Das macht es nicht gerade leicht, der Handlung zu folgen. Dieses Defizit, für das es vermutlich einen Namen gibt (den ich mir dann nicht merken könnte), führt jedoch dazu, dass mein Gehirn auf andere Aspekte zurückgreift, um der Handlung folgen zu können. Fällt ein Sinn aus, kommt ein anderer ins Spiel.

Ich habe die Bücher zu „Game of Thrones“ gelesen. Weil ich glaubte, ich würde die Serie dann besser kapieren. Trugschluss. Es wurde nur noch schlimmer. Zu viele Namen. Ich habe vor einigen Jahren „Krieg und Frieden“ gelesen. Rund 1.500 Seiten, klein bedruckt wie das Gotteslob. Schon auf Seite 20 war ich raus, habe mich aber durchgekämpft und anschließend mir zwei Verfilmungen reingezogen.

Wenn man ein Buch schreibt, steht man vor demselben Problem. Es empfiehlt sich, eine Art Stammbaum über die handelnden Personen, die man sich erdenkt, anzulegen, jede mit ihrer ganz eigenen Biographie. Sonst geschieht es, dass in Kapitel 24 jemand zur Tür herein kommt, der an sich bereits im Prolog von einer Schiffsschraube erfasst worden war. Mir ist das passiert. Man hat dann drei Möglichkeiten: 

Man wirft den Laptop aus dem Fenster und fängt sein Leben noch einmal ganz von vorn an. Oder: Man fügt ein weiteres Kapitel ein, das das vorangegangene zum Rückblick deklariert. Ich aber entschied mich dafür, dass eine weitere Person, ein überraschend auftretender Onkel, ruft: „Du lebst?! Um Himmels Willen, er lebt!“ Und dann macht man jenen Onkel einfach zum Kapitän des Schiffes, dessen Schraube ihn eigentlich verhackstückt hatte. Und so setzt das eigene Vergessen darüber, was man eigentlich geschrieben hatte, ganz neue Ideen frei. Die Idee, dass jener Onkel der tot geglaubte Goebbels ist, verwarf ich allerdings, um die Logik nicht überzustrapazieren. Ich zog jedoch in Betracht, Rudolf Heß ein Kapitel zuzubilligen. Heß flog irgendwann, ich glaube 1941, aufgrund eines günstiges Horoskopes (was kein Scherz meinerseits ist) nach Großbritannien, um über einen Frieden zu verhandeln. Er sprang mit dem Fallschirm ab und geriet in Gefangenschaft. Vielleicht nicht zu Unrecht wurde er danach für geisteskrank erklärt, was jedoch für jeden Nazi gilt. In einem kleinen Exkurs hatte ich für Heß vorgesehen, dass er nie abgesprungen sei, sondern noch immer in seiner Messerschmitt sitze und schlicht den Weg nach Schottland verfehlt habe. Diese Vorstellung gefällt mir. Er fliegt da oben seit 75 Jahren und ahnt überdies nicht, dass der Krieg schon vorüber ist und ein aus seiner Sicht ungünstiges Ende genommen hat. Oder aber, alternativer Handlungsstrang, er hört über Funk, dass ein gewisser Kennedy sich zum Berliner ausruft und traut sich nicht mehr zu landen, zumal er von den Vorgängen in Nürnberg gehört hatte. Also sitzt er da oben mit sorgenvollem Blick auf die Tankanzeige und überlegt sich eine gute Geschichte, die sein Handeln rechtfertigt.

Verdammt, das gefällt mir jetzt dermaßen gut, dass mich die fortgeschrittene Nummer mit der Schiffsschraube nicht mehr ansatzweise reizt. Ich werde in mich gehen müssen.


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