brot


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Legion, dass Vollbartträger eine gewisse Übung darin brauchen, saucenlastige Speisen zu sich zu nehmen. Rein technisch geht das, der Bart, richtig gepflegt, versperrt ja nicht den Mund; und selbst wenn, auch wäre er nicht sichtbar, es ist ja wie Fahrradfahren, man vergisst nicht, wo im Gesicht er sich befindet und das Öffnen dessen funktioniert ja ganz unabhängig von diesem Wissen.

Gerade heute habe ich eine halbe Stunde damit verbracht, ihn in Form zu bringen, den Bart. Und klar, natürlich findet man im Geäst noch Speisereste. Ich fand ein Würstchen vom Grillen am vergangenen Wochenende bei Kollegin Sophie. Sonderlich überrascht bin ich nicht mehr darüber. Doch beim Frühstück bei jener hochgeschätzten Kollegin, die zusammen mit ihrem Mann eine äußerst angenehme Gastgeber-Konstellation bildet, wurde wieder offenbar, was ganz typisch für meine Art der Nahrungsaufnahme ist, ganz unabhängig von Bartwuchs.

Sophie musste nach dem Frühstück den Staubsauger bemühen. Tiefe Scham ist es, die ich empfinde.

Schon in den vergangenen 36 oder 37 Jahren habe ich oft festgestellt, dass meine Teller, von denen ich beispielsweise Brötchen esse, immer frei von Krümeln sind. Zunächst hatte mich das stolz gemacht, dachte, wow! ich kann ja super anständig essen! Ich sollte Kurse geben! Doch irgendwann erreicht man dann ja ein Alter, in dem man über den eigenen Tellerrand hinaus schaut. Und ich sah Übles. Denn:

Da waren sie, die Krümel. Sie lagen in einem Radius von, sagen wir mal, 50 Zentimetern um den Teller herum verteilt. Kreisförmig. Ich kann nicht ordentlich essen.

Man achtet in der Folge solcher Offenbarungen dann natürlich mehr auf sein Tun am Tisch und zumindest habe ich es mir angewöhnt, die Krümel nach dem Speisen beiläufig in Tellernähe zu schieben. Dazu ist es unabdingbar, die Mitessenden (nicht: Mitesser!) abzulenken.

„Seht mal! Ein Elefant! Was macht der denn hier?!“

Das funktioniert ein, vielleicht zwei Mal, bei meinem Neffen, noch jung, nach wie vor immer wieder (selbst er isst gesitteter als ich), doch irgendwann fallen die Aufräumarbeiten auf.

Warum schaffe ich es nicht, nicht zu krümeln?! Und wenn ich schon krümele, warum fallen die Brotlaibe nicht auf, sondern ins Umfeld der Frühstücksunterlage?! Es ist ja mitnichten so, dass ich einen Meter entfernt vom Tisch säße. Ich beiße sogar lotgerecht oberhalb des Tellers ab. Beiße ich? Oder reiße ich wie ein Tier meine Brötchen?! Ist es testosteronbedingt? Adrenalinbedingt?

Am vergangenen Samstag aß ich also wieder. Baguette und Brötchen. Irgendwann vernahm ich ein heiteres Gelächter in der Runde. Hatte ich einen Scherz gemacht?! Und nicht gemerkt?! Nein, jemand hatte den Haufen unter meinem Stuhl entdeckt. Ich war unangenehm überrascht, denn da war wirklich ein Haufen aus Krümeln. Der Teller: blank. Aber unter mir? Ganze Brotwaren. Mein Image war in Gefahr. Mein Image des Saubermannes! Also schob ich in völliger Verzweifelung mit dem Fuß den Haufen zu meinem Sitznachbarn herüber, der Gastgeber war. Leider fiel das sofort auf, was zu weiterem Gelächter führte, was mir zumindest die Chance gab, meine Verschleierungstaktik als Witz zu verkaufen, der ja auch ganz gut ankam. Zu dem Preis, dass Sophie den Sauger schwingen musste.

Peinlich berührt verließen meine Mitbewohnerin und ich das Verließ, eine sensationelle Wohnung übrigens mit angeschlossenem Stadtteil Kölns, und fuhren Richtung Düsseldorf mit angeschlossener Wohnung, in der wir leben. Und krümeln. Komisch, nach unseren ausgiebigen Sonntagsfrühstücken/-s sauge ich auch immer. Hab‘ irgendwie immer geglaubt, es seien die Krümel meiner Mitbewohnerin … Im Auto:

Sie: „Ich hole morgen Brötchen!“

Ich: „Oh, cool. Ausgiebiges Frühstück?“

„Ja. Und nein. Eher ’ne Übung.“

„Übung? Wofür?“

„Wir bringen dir Essen bei. Du isst zum einen unordentlich, zum anderen nicht sehr effizient.“

„Nicht effizient?“, hake ich nach, weil ich auch sowas wie Journalist bin. Hier will ich die volle Wahrheit aufdecken!

„Ja, denn mehr als durch deine Speiseröhre rutscht das Essen an dir vorbei. Und auch am Teller vorbei. Sogar am Tisch vorbei! Sie renovieren gerade die Wohnung, weil du in ein Brötchen gebissen hast! Dich muss man hausratversichern!“

„Hm. Ja. Also ich war tatsächlich etwas unordentlich. Wie macht ihr das, ich meine, wie beißt ihr denn anders in ein Brötchen als ich? Schneller? Entschiedener? Dass es erst gar nicht zu Krümel-Bildung kommt?“

„Wir essen wie Menschen, Seppo. Und das bringen wir dir bei. Vertrau‘ mir.“

Sonntagmorgen, ich sitze nervös am Frühstückstisch, während meine Mitbewohnerin die Brötchen serviert. Es sind extra knusprige Brötchen und ich bemerke, wie das eine, das mit Sesam, was ich so gerne esse, plötzlich krümelt, nur weil ich es ansehe! Ich zeige auf das Brötchen, blicke meine Mitbewohnerin an und sage:

„Da. Hast du das gesehen? Es krümelt. Es krümelt von allein. Kraft meines Starrens. Ich starre. Brötchen zerfällt zu Staub! Bin ich etwas Besonderes?“

„Nein. Also ja. Nein, was weiß ich. Sieh eben nicht so hin. Und vor allem: Starre unter diesen Umständen nie mich an! Nimmst du gerade Seppoide ™?! Lass‘ die Finger von diesem Zeug!“

Seppoide ™ sind ’ne interessante Sache. Eine Entwicklung des Raketenforschungszentrums Krefeld. Muss ich mal drüber berichten. Man geht so dermaßen ab. Ohne Kater. Sensationell. Aber es gibt eben Nebenwirkungen …

Meine Mitbewohnerin reicht mir ein Brötchen. Ich möge es doch bitte mal in zwei Hälften schneiden. Schnittig, wie ich bin, schneide ich – und das sogar freihändig. Seppoide (tm) halt. Und meiner Mitbewohnerin entgleiten mehrere ihrer ansehnlichen Gesichtszüge. Ich blicke in eine Fratze des Grauens.

„Was tust du?“, fragt sie entgeistert.

„Ich schneide! Schau‘!“

„Du krümelst ja jetzt schon alles voll! Es ist vielleicht nur das Schneiden die Ursache des post Frühstückssaugens! Du schneidest grobschlächtig! Wo ist sie hin, deine Sensibilität, die ich von dir kenne?“

„Warum zwinkerst du bei dem Wort ‚Sensibilität‘?!“

„Ein nervöses Zucken. … Schneid‘ mal dieses!“

Sie reicht mir ein weiteres Brötchen und nun versuche ich es auf sensibel.

„Ich finde als Mann sollte man auch ein Brötchen als so etwas wie eine Beute betrachten. Ich bin kein Chirurg, ich will essen!“

„Sei für mich ein bisschen mehr Chirurg. Am Tisch. Nur am Tisch, bitte.“

Heute morgen stand ich auf dem Sofa, während mir eine Motte zwischen die nackten Zehen kroch. Dieser Vorfall hat meine Männlichkeit schwer in Mitleidenschaft gezogen, denn vor lauter Schreck fiel ich vom Sofa und knickte auch noch ungünstig um. Wegen einer Motte!

Eine halbe Stunde später krachte mir ein Bücherregal zusammen, ich wurde unter mehreren dicken Sachbüchern begraben. Das geballte Wissen der Menschheit drohte mich zu erschlagen.

Das Aufschneiden (Aufschneiden beherrsche ich an sich, aber nicht das der Brötchen) wurde innerhalb der nächsten zehn Brötchen deutlich galanter und unfallfreier; ich bekam die Erlaubnis, nun zu essen.

„Es ist mir durchaus nicht angenehm, wenn du mich dabei so anstarrst, wenn ich jetzt in das Brötchen beiße!“, moniere ich.

„Ich bin deine Lehrerin. Ich muss gucken.“

Langsam und besonders sensibel öffne ich meinen Mund, führe das Brötchen an diesen heran und beiße langsam, aber doch bestimmt zu. Aus den Augenwinkeln sehe ich umherfliegende Krümel. Meine Mitbewohnerin schlägt die Hände vor ihr Gesicht, ich höre ein Schluchzen.

„Grundgütiger! So schlimm?!“, frage ich. Und versuche abzulenken: „Guck‘ mal, ein Elefant! Was macht der denn da?“

Sie rennt weinend aus der Küche.

 

Jetzt, eine halbe Woche später, habe ich beschlossen, an einem Benimm-Kurs teilzunehmen, bei dem man insbesondere das Verhalten am Tisch von Grund auf neu erlernt. Und ich wäre nicht ich, würde ich nicht auch darüber in Balde berichten!


Und ich wäre noch weniger ich, wiese ich nicht auf meine Facebook-Seite hin, zumal es da nun täglich humorige Bilderrätsel gibt.