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Undurchsichtig.

Was ist echt, was ist Show? Was ist Ernst, was ist Ironie?

Sebastian Flotho – wirklich so verschlossen? Ein Team aus internationalen Gewässern, nein, Wissenschaftlern, hat sich des Mannes hinter dem Mann angenommen und ihn einen Tag lang beobachtet. Der Proband SF wusste davon nichts, was ein beeindruckend dreister Eingriff in seine Privatsphäre ist, die ihm doch so heilig ist. Auftraggeberin: seine Mitbewohnerin. Sie wollte wissen:

Was treibt diesen Mann an, der soviel und doch so wenig von sich preisgibt?

Jemand, der seine Privatsphäre zumindest dem Anschein nach so penetrant nach außen trägt, wird vermutlich immer hoffen, gerade Gegenstand von öffentlicher Beobachtung zu sein. Und tatsächlich: Sebastian Flotho gibt im Nachhinein freudig erregt sein Einverständnis für die Veröffentlichung des folgenden Protokolls, das Ergebnis der Auswertung verschiedener in seinem Habitat befindlicher Kameras ist. Nicht er suchte die Kameras, sie suchten ihn.

 

06.40 Uhr

Proband SF erwacht offenbar, die Mikrofone übermitteln ein nicht klar zu definierendes Geräusch. Ein Schmatzen? Ein Grunzen? Ein Sortieren von Schleim? Zunächst öffnet sich nur ein Auge, das linke bleibt verschlossen. SF scheint sich nur vorsichtig an den Tag heran zu wagen und blickt unter die Bettdecke. Er grinst. Freut sich. Worüber? Dass alles noch da ist? Nicht zu klären. Sein Blick wandert nach rechts. Er erschrickt. Worüber? Über die Tatsache, dass dort jemand liegt? Er weckt diejenige.

„Du hast verschlafen“, sagt SF.

„Ach, ich bin auf meinem Handy eingeschlafen, konnte den Wecker gar nicht hören“, sagt seine Mitbewohnerin.

„Was, wenn du mal auf mir einschläfst? Würdest du meine Hilferufe dann überhaupt hören?“

„Ich würde sie überhören. Als wäre ich ein Walross, das dich unter sich begräbt?!“, sie empört.

Proband SF blickt zerknirscht drein, sofern das mit nur einem Auge möglich ist, was auch seine Mitbewohnerin bemerkt:

„Warum siehst du mich so irr mit nur einem Auge an?!“

„Ich bin wie eine Ente. Die eine Gehirnhälfte schläft, die andere passt auf“, erklärt der Proband. Hier droht ein Abbruch des Experiments, da SF scheinbar über Nacht seines Verstandes verlustig gegangen ist. Die Mehrheit des Wissenschaftler-Teams spricht sich jedoch für ein Weiterlaufen aus.

Mitbewohnerin steht zügig auf, scheint über einen anpassungsfähigen Kreislauf zu verfügen, da sie nicht vor dem Bett zusammenbricht. SF hingegen wendet sich seinem Handy zu. Schreibt offenbar etwas, legt sich zufrieden wieder zurück, wobei er sich den Kopf am Kopfende des Bettes stößt.

„Verdammich!“, ruft er aus. Blickt zum Handy, dann neben das Bett, wo Reste der Sonntagszeitung liegen. Er greift den Mantelteil. Dort geht es um den „Brexit“.

„Das nervt mich. Die ganze Zeitung ist voll von Brexit. Es ist mir zu monothematisch. Ich kann es nicht mehr hören. Lasst sie doch ziehen, die Briten“, murmelt SF.

Man sieht ihm an, dass er um sein Halbwissen weiß. Er liest nun, offenbar nachhaltig wach durch den Kopfstoß durch das Bett, weiter und betrachtet ein Bild von Margaret Thatcher, die sich für die Zugehörigkeit zur EWG ausgesprochen hatte und dieses mit einem flaggenfrohen Kleid zur Schau stellte. Nicht das erste Referendum der Briten also, das Klarheit über Großbritanniens Rolle in einer europäischen Gemeinschaft klären sollte, scheint Proband SF zu denken, was hier wissenschaftlich nicht endgültig geklärt werden kann.

„Sollen sie doch endlich gehen! Ist mir völlig egal, ob sie bleiben oder nicht. Mir geht es derzeit zu gut, um mich mit den Problemen von Inselvölkern zu befassen. Nicht die EU zerbricht, UK zerbricht“, sagt er, was er aber aus der „Zeit“ geklaut hat. Es fällt auf, dass er spricht, obwohl außer ihm niemand im Raume anwesend ist, der ihm zuhören würde.

Er sieht nun von der Zeitung auf und sieht sich im am Kleiderschrank befindlichen Spiegel. Fährt sich durch sein Haar. Wieder grinst er ekelhaft selbstzufrieden:

„Mir scheint aber dermaßen die Sonne aus dem Arsch, dass ich den Eindruck habe, dass es privat ganz gut läuft.“

 

07.30 Uhr

SF greift zum „EM“-Sonderteil der Zeitung.

„Wir haben Italien in so einem Turnier noch nie besiegt!“, weiß er offenbar, was erstaunlich ist, da er über keinerlei Fußballkenntnisse verfügt. Proband SF blickt in eine versteckte Kamera und sagt:

„Das hat mir gestern jemand erzählt.“

Aufregung im Team der Wissenschaftler. Riecht er den Braten? Kann man Kameras vor ihm überhaupt verstecken? Ein Abbruch des Experimentes steht im Raum. Ein Bild-Techniker schreitet ein, glaubt zu erkennen, dass SF leicht an der Kamera vorbeischaue. Das Experiment wird somit fortgesetzt.

SF blättert das Zeitungsbuch kurz durch, seine Aufmerksamkeit ist offenbar woanders.

„Ach, EM! Selten hat mich eine EM so wenig interessiert wie jetzt. Warum eigentlich? Achja, natürlich. Hehe.“

SF erhebt sich überraschend galant aus dem Bett. Er trägt eine Boxershort. Unerwartete Handlung: Er entfernt den Bezug der Bettdecke von – der Bettdecke.

„Was war denn heute Nacht hier los?!“, fragt er – wieder – laut.

Und grinst. Er scheint Spaß am Beziehen des Bettes zu haben.

 

09.00 Uhr

SF bewegt sich in den „Medienraum“, der wohl nichts anderes als ein Wohnzimmer ist. Er hebt einen Couchtisch vom Boden, wuchtet ihn auf das Sofa, breitet eine Sportmatte aus und vergeht sich testosterontriefend an drei Hanteln. Erstaunlich leichtgewichtig hantiert er mit diesen, als seien es lediglich die Federn eines Vogels.

Er grinst dabei.

Auf einem Schreibtisch liegt ein Taschenkalender. Er blickt hinein. Dort steht: „09.10 Uhr: bei Bedarf klagen“. Er scheint nachzudenken.

„Nein, ich klage nicht. Mir könnte jetzt die Gastherme explodieren, es würde mich einigermaßen unbehelligt lassen. Und wenn, stürbe ich mit einem Grinsen im Gesicht. Das mir natürlich in Fetzen gerissen würde.“

Er denkt, das sieht man ihm an, an den Begriff „der zarte Zerstörer“. Und grinst erneut.

Vor seinen Augen erscheint das Bild eines Blumentopfes.

„Ich habe mehr als einen Blumentopf gewonnen. Obwohl ich den ja nicht mal gewonnen habe.“

 

10.00 Uhr

SF ist praktisch nackt. Sein Sport trieb Früchte des Schweißes, die nun verdunsten. Er reißt ein Fenster auf und zieht sich nun um. Also an. Dann um. Vor dem Umziehen stet stehts das Anziehen.

SF befestigt sich an Laufschuhen und verlässt mit dröhnender Musik im Ohr die Wohnung. Wir sehen ihn im Treppenhaus. Was er nicht sieht: Hinter ihm bewegt sich eine Nachbarin, Frau Fahrgescheit. Er nimmt sie erst wahr, als sie ihn laut anspricht. Er zuckt nicht nur zusammen, er springt fast hoch und reißt die Augen auf, endlich auch das zweite, und gibt ein

„Woaaaaah!“

von sich, und erklärt:

„Schockschwerenot, habe Musik auf den Ohren, hab‘ Sie erst gar nicht gehört. Puha.“

SF unterhält sich mit der Nachbarin über das Wetter.

„Ja, heute nicht so schwül“, sagt er.

Man wünscht sich einen schönen Tag. Er grinst. Er grinst ein Grinsen, das eine Zufriedenheit ausstrahlt, die man am liebsten aus ihm rausprügeln wollen würde.

 

10.05 Uhr

SF realisiert, dass es wider Erwarten schwül ist. Dennoch legt er ein erstaunliches Lauftempo an den Tag, das ihn selber überrascht. Er wählt eine Laufstrecke, auf der er im September 2013 seinen letzten Rekord erreicht hat. Danach ging es mit der Strecken-Zeit bergab, die Strecke ist verflucht. Seit Juli 2015 läuft er sie nun das erste Mal und merkt, dass heute der Tag sein könnte, an dem er sie bezwingt.

„Was treibt mich an?“, ruft er hinaus in die Wildnis. Ein Wolf kommt des Weges und sagt:

„Dein breites Grinsen, das kann ich dir aber mal ganz ungefragt aus dem Gesicht entfernen!“

„Ich komme darauf zurück!“, ruft SF im Weiterlaufen.

 

11.00 Uhr

SF kehrt heim. Er trifft Frau Fahrgescheit abermals.

„Ist doch schwül“, informiert er sie. Sie reagiert nicht, hat offenbar Musik auf den Ohren. SF stellt fest, dass er auch ohne Ohrstöpsel ununterbrochen Musik wahrnimmt.

„Dafür, dass ich selten Musik höre, höre ich aber oft Musik.“

Er betritt seine Wohnung, wobei er seine Schuhe vor der Tür abstreift, da er den frisch gewischten Boden nicht schänden will. Kaum ist die Türe hinter ihm verschlossen, bricht er in einen verstörenden Jubel aus.

„Fantastisch. Streckenrekord nach fast drei Jahren! Ich habe die Strecke gedemütigt. Eine Rechnung beglichen! Ich habe sie gefickt!“, ruft er aus und merkt nicht, dass er den frisch gewischten Boden mit Schweiß volltropft.

Er entledigt sich seiner zwei Schichten Laufbekleidung, die völlig durchnässt ist. Am Shirt der Marke „Underground“, die den Großen wie „Nike“ und „Adidas“ zum Problem wird, bleibt er hängen. Sein Kopf ist für die Kameras nicht mehr sichtbar. Sein rechter Arm reißt am linken Ärmel herum, der arme Irre realisiert nicht, dass das Shirt unter seinem mächtigen Kapuzenmuskel hängengeblieben ist.

„Diese verdammte Fickkacke! Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Dinger so zu konstruieren, dass man da auch wieder raus kommt!“, flucht er. Im selben Moment flutscht das Shirt von ihm ab.


In welchen Sphären bewege ich mich derzeit? Es muss ziemlich weit oben sein. Was die Gefahr des tiefen Sturzes birgt. Da ich schon sooft gestürzt bin, weiß ich um diese Gefahr und habe daher beschlossen, die Dinge besonnen anzugehen. Ich weiß gar nicht, ob Besonnenheit nicht sogar mein zweiter Vorname ist, den ich gar nicht habe. Nun aber wird er es, denn manches ist so wertvoll, dass Besonnenheit zweitoberste Priorität sein sollte. Das Protokoll wird fortgesetzt.


seppolog-Klassiker neu vertont – WANN MÄNNER ZUHÖREN


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