matte

Letztlich kann die Frage nach meinem Körpergeruch nur derjenige beantworten, der einen tiefen Zug von mir nimmt. In Frage kommt da im Grunde nur meine Mitbewohnerin, die sich nach vielen Jahren wohl auch schon an ihn gewöhnt haben dürfte. An diesen unverwechselbar männlichen Duft von mir, an den frau sich hoffentlich nicht gewöhnen muss im Sinne von „tolerieren“. Doch nimmt sie ihn überhaupt noch wahr? Ich frage sie mal eben spontan via Facebook.

„Nimmst du meinen Körpergeruch noch wahr?“

Geben wir ihr etwas Zeit zum Antworten. Für Neuleser: Meine Mitbewohnerin ist die mit Abstand einzige Frau, mit der ich auch schlafe.

Ich mache täglichen Kraftsport. Habe jüngst das Inventar an Sportgeräten aufgerüstet und stelle fest, dass wenn ich so auf dem Rücken liege und zwei Hanteln nach oben stemme, ich diese auf keinen Fall in einem Anfall von Schwäche loslassen dürfte, da sie mir auf den Kopf fallen und mich sehr wahrscheinlich im Zuge dessen töten würden. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Und noch etwas anderes wird mir gewahr, wenn ich so bei diesen Temperaturen auf meiner Sportmatte (die als Yoga-Matte verkauft wurde) liege oder sitze:

Ich stinke. Wenn ich viel Sport mache, zieht mir ein beißender, wirklich widerlicher Duft in die Nase.

„Alter, was stinkt hier so?! Stinke ich etwa so?! Das ist doch nicht normal!“, hörte ich mich gestern also sagen, da Selbstgespräche bei mir nicht ungewöhnlich sind.

Schon seit Wochen nehme ich diesen Geruch wahr, der selbst für mich nicht mehr feierlich ist, der über bloßen Schweißgeruch hinaus geht, zumal frischer Schweiß ja erst einmal nicht riecht. Gestern ging ich dann auf Tuchfühlung und roch jeden Quadratzentimeter von mir ab, den ich mit meiner Nase erreichen konnte. Hinterkopf war schwer. Nur durch Verbiegen konnte ich eine Nase meines Hinterkopfes nehmen. Der riecht okay.

„Gut, also hier im Schritt nicht unbedingt sooo frisch. Aber ansonsten bin ich nicht die Ursache dieses Gestanks!“, bilanzierte ich nach meiner Dufttour. Und dann wurde mir klar, was so stinkt:

„Die Matte! Es ist diese verdammte Yoga-Matte!“

Die seit rund fünf Jahren tagtäglich meinen Schweiß in sich aufnimmt. Es lag so nahe, denn sie liegt so nahe! Diese Matte ist nach so vielen Jahren schlicht konterminiert! Eine neue muss her!

Oder aber: Ich wasche sie ab. Was nicht so einfach ist, da es sich nicht um eine Gummi-Matte handelt, die man mal eben so abwischen könnte. Es sei denn …

„Mitbewohnerin, wo ist der Teppichschaum?“

„Welcher Teppichschaum?“

„Mit dem ich den Teppich geschrubbt habe. Ich will die Matte dekontaminieren!“

„Wir haben Teppichschaum?!“, sie erstaunt.

Gut, sie ist keine Hilfe, ich suche und finde also selber. Schnappe mir die Matte, breite sie aus und besprühe sie zunächst mit Wasser, wobei mir wieder dieser Brechreiz auslösende Duft in die Nase steigt. So also riechen fünf Jahre Seppo komprimiert in einen Atemzug. Kein schöner Anblick für die Nase.

Dann der Teppichschaum. Hier gilt: Viel hilft viel. Das in Tschernobyl explodierte Atomkraftwerk begnügt sich ja auch nicht mit einem Sarkophag. Zwei bringen mehr. Also zwei Schichten Teppichschaums. Der übrigens sensationell duftet. Ich wünschte, mein Körper würde ähnlich duften.

An künstlichen Düften kommt bei mir nur Bartöl zum Einsatz. Parfum kann jeder. Doch ein Bartöl riecht deutlich individueller als jedes Parfum, die im Grunde ja alle gleich riechen. Mal süß, mal weniger süß, mal weniger aufdringlich, mal penetrant. Aber Bartöl (nicht nur im Bart!) ist noch nicht so weit verbreitet, sodass es eher Aufmerksamkeit und Frauen erregt.

Nach einer vierstündigen Einwirkzeit nehme ich die Bürste, mit der in diesem Haushalt schon so ziemlich alles geschrubbt worden ist. Nach wie vor bürsten wir unseren seit vier Jahren toten Hund mit dieser Bürste, damit er nicht zu riechen anfängt. Jetzt also: die Yoga-Matte, auf der noch nie jemand Yoga veranstaltet hat.

Meine Mitbewohnerin kommt ins Zimmer: „Großer Gott, was tust du da?! Was stinkt hier so?!“

„Äh, ja also das dürfte der Teppichschaum sein. Die Matte! Ich reinige die Matte!“

„Mit Teppichschaum?!“

„Ja, fand das ’ne ziemlich gute Idee!“

„Mit Teppichschaum?!“

„Was für einen Teppich gut ist, kann für meine Yoga-Matte ja wohl nicht schlecht sein!“, erkläre ich ihr, während ich die ersten Fasern der Matte mit der harten Bürste aufreiße.

„Uh, verdammt. Scheint ein aggressiver Teppichschaum zu sein!“, stelle ich fest.

„Du putzt permanent die Dinge kaputt! Sei ein wenig sanfter!“, fordert sie.

„Ja, aber dafür wird sie sauber. Für die nächsten fünf Jahre!“, sage ich nicht ohne Stolz, während ich realisiere, dass der „Reebok“-Aufdruck von dem Teppichreiniger weggeätzt wird. Und das finde ich gut. Denn: Wenn selbst dieser Kunststoff-Aufdruck keine Chance gegen den Teppichreiniger hat, wird auch mein Schweiß sich ihm ergeben.

„Das ist nicht der Teppichschaum, der da ätzt, es ist dieses andere Zeug!“

„Ah, du meinst deinen Nagellack-Entferner?!“, frage ich.

„Ja, was zur Hölle machst du mit meinem Nagellack-Entferner?!“

„Ich desinfiziere die Matte. Habe das Sagrotan nicht gefunden. Oder den Sagrotan? Nein, das. Heißt es eigentlich der oder das Nutella?“

Die Nutella.“

„Unsinn! Das!“

„Du hast eine komplette Flasche Nagellackentferner für diese kack Matte gebraucht?“

„Viel hilft viel. Beim Atomkraftwerk in Tschernobyl …“

„Das ist eine Yoga-Matte und kein GAU!“

„Du hast nicht an ihr gerochen. Diese Matte ist schlimmer als Tschernobyl!“

Gut, das war angesichts der vielen leider nicht anerkannten Opfer des Super-GAUs sicher nicht korrekt, aber viel trennt diese beiden Katastrophen nicht. Und jetzt, da die Matte seit einem Tag trocknet – und noch immer durchnässt ist – stelle ich immerhin fest, dass sie nicht mehr riecht. Also, zumindest nicht nach mir. Dafür allerdings brennt sich der Geruch des Nagellack-Entferners spürbar in Nasenschleimhaut und Bronchien ein. Das aber ist sicher nur ein vorübergehendes Phänomen wie bei unserer Kaffeemaschine. Wenn ich die gereinigt habe, schmeckt der Kaffee etwa eine Woche lang nach Spülmittel. Aber Spülmittel ist ja in dem Sinne nicht ungesund, lediglich der Kaffee-Geschmack fehlt einem etwas. Ab Montag etwa wird der Kaffee wieder normal schmecken. Und dann wird auch die Matte wieder duftneutral sein. Allerdings kaufe ich dennoch eine neue, weil die vielen eingeätzten Löcher sich doch als Problem erweisen.

Ginge es nach der bloßen Dramaturgie dieses Artikels, würde ich nun die noch fehlende Antwort meiner Mitbewohnerin nachliefern auf meine obige Frage, ob sie denn noch meinen Körpergeruch wahrnehme. Doch ich erspare mir hier künstlerische Freiheit und lüge nicht. Denn sie antwortet nicht. Sie ist offline. Doch ich abstrahiere ihre mögliche Antwort von meinen Erfahrungen: Ich nehme ihren weiblichen, sanften Duft durchaus noch wahr. Nach elfeinhalb Jahren bleibt mir dieses Vergnügen nach wie vor vergönnt.


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Sollte sie noch antworten, liefere ich ihre Replik gerne auf meiner Facebook-Seite nach!