knan

Es dürfte bekannt sein, dass ich vor geraumer Zeit meinen Job verloren habe. Während die einen davon sprechen, mein Arbeitgeber sei insolvent gewesen, munkeln andere wiederum, ich sei schlicht zu teuer als Moderator. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen: Mein enormer Marktwert würde vermutlich so ziemlich jeden potenziellen Arbeitgeber in die Knie zwingen. So heißt es auf den Fluren dieser Welt, auf der Personaler auf und ab wandern, mitunter auch abwandern:

„Bloß nicht diesen Seppo einstellen. Das ist der Anfang vom Ende des Unternehmens!“

Nun, wie hält man sich als unbezahlbarer Moderator über Wasser, über das ich auch zu gehen vermag? Man analysiert seine Talente und bringt sie an den Mann. Eines meiner Talente ist wohl das Schreiben. Das sage nicht ich, das sagt zum Beispiel Reginald Rubis, der dem hochgebildeten Leser ein Begriff sein dürfte. Rubis ist ein Schriftsteller des 15. Jahrhunderts, dessen hohe Auflagen wohl auch das Ergebnis des damals aufkeimenden Buchdrucks waren. Denn was war zuerst da? Der Buchdruck oder das Buch? Historiker beantworten diese Frage inzwischen einhellig: der Buchdruck. Die ersten Drucksysteme mit beweglichen Lettern waren da, doch es gab anfangs nichts zu drucken.

Bis Reginald Rubis die Bühne betrat. Und dann verließ. Denn der erfolglose Bühnenschauspieler fasste den Plan, Dinge schriftlich festzuhalten, was bis zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit – ich erzähle da wahrlich nichts Neues – noch nie zuvor geschehen war. Ein Alphabet war relativ schnell zusammengestellt. Eine erste Variante verfügte über elf Buchstaben. Auf diese Weise war es Rubis möglich, seinen eigenen Namen zu schreiben – und zu drucken.

Nach und nach entwickelte er weitere Buchstaben, bis er sein erstes Buch veröffentlichen konnte: „Der Knan“. „Der Knan“ ist die Geschichte über einen Vater, der dieses und jenes erlebt. Aus heutiger Sicht ein gnadenlos langweiliges Werk; wer die ersten „teutschen“ Romane mal gelesen hat, wird das nachempfinden können. Ich selber las dereinst „Der Abentheuerliche Simplicissimus“, ein Werk, das den Dreißigjährigen Krieg in ein Licht rückt und schwere Kost ist. „Der Knan“ stand dem in Nichts nach.

Jeder, der schreibt, wird wissen, man hat Phasen, in denen es läuft und Phasen, in denen es nicht läuft. Reginald Rubis hat seinen Rubikon bereits überschritten. Alles, was nach „Der Knan“ kam, verkaufte sich sehr schlecht, nur als Ghostwriter von „Mein Kampf“ feierte Rubis noch späte Erfolge, allerdings eher zweifelhafte. Heute würde er dieses nicht mehr schreiben, beteuert der Antiantisemit.

Meine Mitbewohnerin und ich wohnen in einem Mehr-Parteien-Haus mit hoher Fluktuation. Unter uns beispielsweise wohnt plötzlich ein Pärchen mit Kindern. Das haben wir gar nicht mitbekommen, was nicht einmal an etwaiger Ignoranz unsererseits liegt. Es geht hier immer sehr schnell; schon kommende Woche könnten die wieder weg sein. Ganz oben, unter dem Dach, da wohnte bislang der Geschäftsführer eines Möbelhauses. Ihn nahmen wir wahr, weil gelegentlich die Polizei bei ihm war. Und die kommt gerne so gegen 22 Uhr, weil sie dann davon ausgehen kann, dass sie den Gesuchten auch antrifft. Und die Polizei kann laut sein, wenn sie mit einer Hundertschaft das Treppenhaus stürmt. Jener Nachbar ist nun nicht mehr da. Die Hundertschaft hatte ihn mitgenommen. Eine interessante Form der kalten Entmietung.

Und Glück für Reginald Rubis, der dort nun lebt. Unter einem Dach, durch das es hineinregnet. Und es regnet viel in diesem Sommer. Rubis wurde aufmerksam auf mich, als ich eine Heidelberger Druckmaschine für ihn vom DHL-Boten in Empfang nahm. Gegen Abend klingelte es bei uns.

Meine Mitbewohnerin: „Ist das wieder die Polizei?“

Ich: „Möglich. Es ist 22 Uhr. Was haben wir denn in den vergangenen Tagen verbrochen?“

„Es wird unser Kiosk-Überfall sein. Du hast einen Fehler gemacht, als du rein gingst und sagtest ‚Mein Name ist Flotho, ich überfalle Sie im Folgenden‘.“

„Ich wollte höflich sein. Ich mag unseren Kiosk-Mann.“

Ich öffnete die Tür, zog mir dann schnell etwas an, um mich abführen zu lassen, doch es war mitnichten die Staatsgewalt, die dort vor der Wohnung stand, sondern ein älterer Herr mit so einem Regenschirm am Kopf, mit diesem Ding, das man sich hutgleich an den Kopf schnallen kann.

„Guten Abend. Verzeihen Sie die Störung. Rubis mein Name, ich wohne ganz oben. Unter dem Dach.“

„Ah, wo es reinregnet!“

„Genau. Sie haben ein Paket für mich angenommen?“

„Ja. Es steht gleich hier“, sage ich und beschreibe damit das Offensichtliche. Denn eine Heidelberger Druckmaschine, ist sie noch so raffiniert verpackt, ist nicht zu übersehen. Ich überreiche ihm das Paket und verberge meine Neugierde nicht:

„Eine Druckmaschine, hm?“

„Ja. Ich bin Schriftsteller des 15. Jahrhunderts und verlege meine Werke inzwischen selber. Macht man ja heute so. Man umgeht Vertriebswege und ruiniert damit die Wirtschaft. ‚Uber‘ oder ‚Airbnb‘ sind da gute Beispiele.“

„Rubis … Rubis. Ja, da klingelt was. ‚Der Knan‘? Sie haben den ‚Knan‘ geschrieben!“

Reginald Rubis guckt etwas verlegen, aber irgendwie auch entnervt. Vielleicht, weil er reagiert wie jeder Künstler, der an seine frühen Erfolge nicht anzuknüpfen vermag, und ständig nur seine ersten Hits zum Besten geben soll. Doch das übernehme ich und zitiere eine Zeile aus dem „Knan“:

„Hier begint der Knan einna reda umbe diu tier uuaz siu gesliho bezehinen.“

Rubis schmunzelt. Denn diesen Satz kennt wohl heute noch jeder Germanistik-Student. Ein Paradebeispiel des Althochdeutschen aus dem allerdings elften Jahrhundert. Rubis schrieb bereits für die Verhältnisse des 15. Jahrhunderts eher konservativ, was jedoch seinen Erfolg zur damaligen Cait ausgemacht hat.

Und Rubis wird nachdenklich: „Ja, das versteht heute niemand mehr. Ich bin des Neuhochdeutschen nicht mächtig. Vielleicht der Grund für den Misserfolg meiner neuesten Werke. Wissen Sie, der Erfolg bleibt aus, die Leser ebenso. Zunächst dachte ich, die Fußball-Europameisterschaft sei schuld, doch auch mit ihrem Ende hat sich kaum etwas verändert.“

„Ach!“, hört er mich sagen, „Sommerloch! Das ist das Sommerloch! Das wird wieder anders!“

„Das ist sehr nett von Ihnen, doch mein Sommerloch dauert bereits seit dem 16. Jahrhundert an. Ich habe schlicht eine Schreibblockade.“

„Und ich keinen Job! Vielleicht könnten wir so zusammen kommen. Äh, nein, zusammenkommen! Ich schreibe Ihre Bücher! Ich weiß, wonach es dem Leser heutzutage gelüstet! Alltagsgeschichten! Geschichten über Mann-Frau-Beziehungen, in denen der Mann immer als Idiot zurückbleibt. Als liebenswerter Tollpatsch garniert mit einer Prise Selbstüberschätzung, niemals frei von Selbstironie! Gerade Frauen steigen da voll drauf ein, da sie es mögen, wenn der Mann immer etwas tölpelhaft geschildert wird! Sie haben ja keine Ahnung, wie schwer man damit seinen eigenen Ruf ruinieren kann! Aber es kommt an!“

„Das heißt, Sie würden unter meinem Namen schreiben?“, Rubis erstaunt.

„Ja. Gegen ein Entgelt. Ein hohes Entgelt.“

„Abgemacht. Kommen Sie morgen bei mir vorbei. Wir klären die Einzelheiten. Dann kann die Druckmaschine auch direkt hier bleiben. Sie ist viel zu groß für meine Wohnung. Ich lagere dort Atombomben. Ich bin Sammler.“

„Jaaa, die verrückten Sammler. So hat jeder seinen Spleen. Ich sammle beispielsweise Sammlungen. Zeige ich Ihnen gerne mal bei Gelegenheit. Ich komme morgen einfach mal hoch!“


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Und so soll es geschehen. „Der Ghostwriter“ – eine weitere Serie im seppolog, die hoffentlich schon bald ihre Fortsetzung findet. Ich informiere gerne über den neuesten Stand auf meiner Facebook-Seite, die sich der Hibiskussaft-Thematik verschrieben hat.