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Meine Mitbewohnerin und ich schlafen miteinander, was von Natur und Gesellschaft so vorgesehen ist. Wir beugen uns dem gerne. Hin und dann empfangen wir aber auch Gäste, was sich jetzt irgendwie nach Dreier oder Vierer anhört. Dem ist nicht so. Bislang zumindest kam das noch nicht vor, wir sind da relativ konventionell, was das angeht. Und darum soll es hier auch gar nicht gehen, vielmehr wollte ich dem Neuleser das Verhältnis zwischen meiner Mitbewohnerin und mir näher bringen.

Heute Abend empfangen wir zwei Gäste, die in dem Moment des Betretens unserer Wohnung genau das werden: Gäste.

So lange kennt man sich noch nicht. Es nahm den Anfang mit gemeinsamem Betrachten diverser Fußball-EM-Spiele mit deutscher Beteiligung. Es handelt sich bei dem heutigen Abend um so etwas wie den Gegenbesuch.

Ich versuche gerne, ein guter Gastgeber zu sein, was mit einem dreitägigen Wohnungsputz seinen Anfang nahm. Ich habe den Ruf eines Saubermannes im Wortsinne zu verlieren und überdies „Febreze“ für mich entdeckt, das zur Zeit nur in der Variante „Aprilfrisch“ zu haben ist. Nachdem ich eineinhalb Flaschen dieses Bindemittels in unser Sofa investiert habe, duftet es nun in der kompletten Wohnung nach April, was so dermaßen störend ist, dass ich vor wenigen Stunden mit einem Raumerfrischer dagegen anging.

Auf die Couch werden wir uns heute allerdings nicht setzen können, da sie vielleicht auch wegen des schwülen Wetters noch nicht getrocknet ist. Mein Motto „Viel hilft viel“ hat sich hier als kontraproduktiv erwiesen. Zwar duftet das Sofa nun sehr frisch, benutzen können wir es bis vermutlich Mitte kommender Woche nicht mehr. Was schade ist, da ich extra in zwölf neue Sofa-Kissen investiert hatte.

Für heute Abend habe ich ein kleines Programm zusammengestellt. Zunächst einmal wird, so macht man das, gemeinsam gekocht. Wir haben uns auf den Klassiker einer selbstgemachten Pizza geeinigt, da da sogar ich etwas zu beitragen kann. Ich werde die Zutaten verkleinern. Also „schnibbeln“. Die anderen drei, von denen nur zwei Gäste sind, können sich um den Teig kümmern, der zwei Mal wird gehen müssen. Streng genommen bietet eine Pizza zu wenig Arbeit für vier Menschen, doch für ein Umdenken ist es nun zu spät.

Machen meine Mitbewohnerin und ich zusammen Pizza, werden es stets zwei Blech Pizza, da wird orgienhaft gegessen. Das verbietet sich heute, da ich Platz für Rum-Cola lassen will, sodass wir trotz doppelter Menschenanzahl, wir sprechen ab drei Menschen von einer „Menschenmenge“, nur ein Blech mit Pizza verzieren werden. Es geht auch weniger um das Essen als um das Irgendetwastun.

Des Weiteren werde ich eine Einführung in die Welt der „Pokémon“ erfahren. Denn ich muss dieses Spiel aus beruflichen Gründen, man mag es kaum glauben, tatsächlich spielen. Nur leider ist mir der Hype um diese „Taschenmonster“ vor Jahren schon entgangen, sodass eine entsprechende Expertin (laut Eigenaussage) mich in diesem Zusammenhang heute Abend schulen wird. Ich weiß nicht einmal, was der „Pokédex“ ist. Oder das Pokédex. Keine Ahnung. Ich werde heute Abend klüger sein.

Wie auch im Bereich der Phonetik. Denn wir sprechen das „k“ im Deutschen nicht wie „k“, sondern wie „kh“ aus. Mir ist der Unterschied nicht klar, da mein Vorstellungsvermögen wohl nicht ausgeprägt genug ist. Daher wird mich das auch heute gelehrt. Von einem Germanisten. Das wird hier heute ein Treffen von vier Akademikern, von denen ich vermutlich der Klügste bin. Weil eben auch der Älteste. Was ich an Lücken im Allgemeinwissen habe, fülle ich mit Weisheiten aus 37 oder 38 Lebensjahren. Denn die können sie auf ihren Wahrheitsgehalt nicht überprüfen, die Gäste, denn sie sind alle jünger. Und Jünger wollte ich schon immer haben.

Noch heute Morgen war ich für die Zutaten der Pizza einkaufen. Leider habe ich den Broccoli vergessen, der wie so vieles im Deutschen auf zweierlei Weise geschrieben werden kann. Mit „k“, wobei ich nicht weiß, ob es wie „kh“ gesprochen wird, oder mit „c“, meiner favorisierte Schreibweise, weil ich bis eben nicht wusste, dass es auch mit „k“ geht. Schreibt man es mit „c“, bleibt einem wenigstens die Frage erspart, ob man es  „kh“ oder „k“ ausspricht. Denn „ch“ ist ja wiederum anders besetzt. „Ch“ oder eben weich, „ch“.

Ich habe viel Mühe darauf verwendet oder verwandt, die korrekten Wein-Sorten für unsere Gäste zu kaufen. Ich bin gescheitert. Denn statt des Burgunders aus Hessen gab der „Aldi“ lediglich den Burgunder aus Baden her. Beides trockene Weißweine, von denen ich nicht weißwein, ob sie sich geschmacklich unterscheiden, da ich, obwohl Weißweintrinker, kein Wein-Kenner bin. Ich habe die eine Sorte, die mir schmeckt, und es handelt sich dabei nach Aussagen unseres weiblichen Gastes um einen „Mädchen“-Wein. Es ist ein lieblicher Müller-Thurgau, der bei mir immer geht.

Zu meiner großen Freude fallen Gesellschaftsspiele heute Abend als Programmpunkt weg. Als ich bei unseren Gästen zu Gast war, konnte ich bei ihnen zuhause keine Gesellschaftsspiele finden. Nicht, dass ich groß gesucht hätte, aber offenbar wurden mir dort keine. Das ist hier bei meiner Mitbewohnerin und mir anders: Wir haben eine nicht gerade kleine Sammlung, was erstaunlich ist, da ich Gesellschaftsspiele wie auch Gesellschaft eher ablehne. Die Spiele hasse ich gar. Sie werden mir oft zu kompliziert, sodass ich schon bei der Regel-Erklärung gar nicht hinhöre. Dieser Umstand könnte allerdings der Grund dafür sein, dass ich sie als kompliziert empfinde.

Anfangs findet es jeder der Mitspieler noch lustig, wenn ich das Spiel leicht sabotiere. Doch irgendwann merken sie, dass ich das nicht aus Spaß tue, sondern aus bloßer Lust an Sabotage. Wenn ich dann noch verliere, ist der Abend im Grunde ebenso verloren.

Unsere Gäste sehen das ähnlich. Es sind Gewinnertypen, die sich auf mögliches Verlieren schon im Vorfeld nicht einlassen, sodass wir heute nur im äußersten Notfall, wenn die Stimmung nicht so recht aufkommt, was allein wegen meiner Anwesenheit schon unwahrscheinlich ist, eines unserer Spiele hervorkramen. Meine Mitbewohnerin, die kommt aus einer Familie, in der gerne gespielt wurde und wird. Ich hingegen komme aus einer Familie, in der das hin und wieder pro forma geschehen ist. Man stelle sich also eine achtarmige Familie vor, die am Wohnzimmertisch sitzt und spielt, obwohl keiner es will. Jeder ist froh, wenn es zuende ist.

Achja, unsere Klingel. Die ist nach wir vor kaputt. Sie klingt so:

Der Klang an sich wäre nicht das Problem. Sie ist nur sehr leise. Oft genug kam es vor, dass wir einen Teil diverser Gäste schon bei uns hatten, während der noch fehlende draußen vor der Tür stand und vergeblich klingelte, da wir eine derart leise Klingel unmöglich wahrnehmen können, wenn die bereits vorhandenen Gäste meinen, laut reden zu müssen.

Aus mir unerfindlichen Gründen erkundigte sich einer der heutigen Gäste, wie denn unsere Klingel nun klinge. So kam es zu obiger Audio-Aufnahme, die ich vielleicht einmal unserem Vermieter zuschicken sollte. Denn er fragte uns mal, warum wir ihn nie rein ließen. Ich könnte ihm sagen, weil wir die Klingel nicht hörten. Tatsächlich aber liegt es daran, dass wir vertragswidrig hier einen Hund halten. Der ist zwar seit vier Jahren schon tot, liegt aber eben noch im Schlafzimmer, weil wir uns schlecht von Dingen trennen können. Und juristisch sind Hunde eben Dinge. Tote vielleicht sowieso.

Bei meinem ersten Besuch bei unseren heutigen Gästen war ich ohne Mitbewohnerin. Und meine größte Sorge war, an ein Serienkiller-Paar zu geraten, das mich ab einem gewissen Pegel abschlachten würde. Das ist nicht passiert. Nun haben aber die beiden Angst, dass meine Mitbewohnerin und ich ein Psycho-Pärchen sind, das sie heute in irgendeiner Form um ihr Leben bringt. Ihre Sorge ist berechtigt, denn wir tun diese Dinge immer dann, wenn keine Stimmung aufkommt.

Abschließend stelle ich mir gerade vor, unsere heutigen Gäste wären auch Blogger. Würden sie dann auch über diesen Abend schreiben? Ich werde sie fragen. Allerdings finde ich Blogger-Treffen albern.


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Fotos von den abgeschlachteten Gästen wird es auf meiner Facebook-Seite geben!