wasgeht

„Ich verstehe ja auch, dass sie sind, wie sie sind. Aber sie halten das Gegenteil von sich nicht für denkbar.“ – ein ziemlich kluger Mann, der sich reflektiert

Meine Mitbewohnerin geht ungefähr zehn Mal pro Woche „zum Sport“. Montags wird ihr gezeigt, wie sie sich als Konzept Frau selbst verteidigt, wenn ein Mensch (meist wird ja unterstellt, es wäre ein Mann) sie angreift. Aus kleinen Demonstrationen ihrerseits an mir weiß ich, dass sie das sehr effektiv beherrscht. Sie kann machen, dass ich ohnmächtig werde.

Dienstags boxt sie kick oder kickt sie box und gestern fürchtete sie das „Sparing-Training“, bei dem sie immer ordentlich auf die Fresse bekommt, aber ebenso austeilt. Höhepunkt war im vergangenen Jahr, als sie mit einem tiefblauen Auge wieder nach Hause kam. Mir war sofort klar, dass dieses auf mich zurückfallen würde. Aber der Profi-Schläger schlüge ja so, dass niemand es ohne Weiteres sofort erkennen würde. Also beispielsweise in den Unterleib.

„Heute nicht bauchfrei, okay?“

Der Leser, insbesondere die Leserin, ist an dieser Stelle vom Autor zurecht angewidert. Denn Scherze darüber verbieten sich. Das geht nicht.

Bei Facebook fand ich mich gestern in einem Experten-Gespräch wieder, wobei ich der Experte war, während das Gegenüber Muskubar Amberbaum hieß. Ich teilte ihm mit, dass meine Mitbewohnerin sich gerade zusammenschlagen lasse – und das organisiert in einem Sportverein für einen stattlichen Monatsbeitrag. Würde hingegen ich sie ganz frei von jeglichen Kosten schlagen oder beispielsweise die Treppe runterstoßen, fände sie das nicht gut. Dieses abstruse Gedankenspiel Muskubar mitteilend, konstatierte ich:

„Das muss ich verbloggen!“

„Hmm. Habe kurz überlegt. Fand es erst lustig. Aber es bietet sich vielleicht nicht an als Gag. Man könnte aber problemlos darüber schreiben, wie eine Frau einen Mann schlägt. Das führte zu weniger Aufruhr.“

Muskubar hatte völlig Recht. Natürlich darf man darüber nicht scherzen, da diese Dinge überall geschehen, öfter womöglich, als wir alle so annehmen. Frauen werden von Arschlochmännern geschlagen; es verbietet sich jeder Scherz. Und auch in dem zweiten Punkt liegt Muskubar nicht falsch. Zu beschreiben, wie meine Mitbewohnerin mich die Treppe runterstößt, würde vermutlich für einigen Applaus bei Leserinnen sorgen, obwohl man lediglich für Kranke sorgen kann.

„Jetzt kriegt das Großmaul von seiner Mitbewohnerin endlich mal richtig auf die Fresse!“

Ich erinnere die Erregungskulturellen an dieser Stelle noch einmal daran, dass ich von solchen Scherzen natürlich absehe. Denn das ist etwas, was eben nicht geht.

Oft kommen mir nur kurze Phrasen in den Sinn, die ich dann umgehend „verbloggen“ möchte. Es genügt manchmal ein bloßes Wort. Wie zum Beispiel das, das mir seit vergangener Woche nicht mehr aus dem Kopf geht:

Der Innenhinrichter.

Denn wenn es Inneneinrichter gibt, liegt der Innenhinrichter doch gar nicht so fern. Darüber wollte ich schreiben und überlegte mir, was ich an diesen Aufhänger noch dranhänge. Eine Idee dabei war, dass ich – fiktiv – einen meiner Leser hinrichte. Oder Merugin, vielen bekannt aus „Merugins erotischen Abenteuern“ im pornolog, dem kommerziellen Ableger des seppologs. Hintergrund meiner Hinrichtungsidee war die Ignoranz einiger Leser, meine Meisterwerke nicht hinreichend zu würdigen. Ich sagte damals zu Muskubar:

„Ich richte sie einfach hin. Könnte ich eigentlich verbloggen!“

Doch dann kam der Putschversuch in der Türkei. Muskubar warnte mich:

„Wenn das Tote gibt, ist eine Innenhinrichtung vielleicht nicht mehr lustig.“

„Innenhinrichtungen sind per se nicht lustig. Aber ja, du hast Recht, kein guter Zeitpunkt. Gibt es in der Türkei eigentlich die Todesstrafe? Nein, oder? Als möglicher EU-Anwärter vielleicht kein gutes Bewerbungskriterium.“

Nun, die Türkei hat nicht die Todesstrafe. Allerdings ist das für die Zukunft, vorsichtig ausgedrückt, nicht unbedingt auszuschließen. Und somit verbieten sich nicht nur Hinrichtungen im seppolog als solche, sondern auch in der Variante der Innenhinrichtungen.

„Wenn’s zum Inneneinrichter nicht reicht, werde ich eben Innenhinrichter“, wäre vielleicht so ein Satz aus dem vereitelten Artikel gewesen.

Die eigentliche Gefahr, dass der Leser irritiert sein könnte, wenn ich ihn hinrichte, war übrigens für mich zu cainem Caitpunkt ein Ausschlusskriterium. Dennoch wird es diesen Beitrag hier im seppolog wohl nie geben. Denn auch das ist etwas, was eben nicht geht.

Diese Frage, was geht und was geht nicht?, die stelle ich mir nahezu jeden Tag. Nach mehr als einem Jahr und 386 Beiträgen habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wofür man mich gerne hinrichten würde, schriebe ich es. Das führt zu einem Phänomen, mit dem sich auch unser Journalismus mitunter schmückt, von dem ich dennoch großer Fan bin. Ich gehöre nicht zu den idiotischen „Lügenpresse!“-Schreihälsen, die vermutlich noch nie eine ordentliche Zeitung in der Hand gehabt haben, was aber natürlich ebenso nur ein Vorurteil ist. Aber eines, das stimmt. Denn es kommt von mir. Jenes Phänomen ist das der vorauseilenden Vorsicht, wie ich vor wenigen Sekunden auch Muskubar via Facebook-Chat mitteilte. Wobei mir auffiel, dass Vorsicht immer vorauseilend ist, es ist ihr Wesen. Ich wies Muskubar darauf hin, dass ich diese Erkenntnis ebenfalls „verbloggen“ würde. Hiermit geschehen.

Über Hinrichtungen in Innenräumen kann also nicht geschrieben werden, egal wie fiktiv und abstrus man es gestaltet, wenn gerade in einem Staat die Einführung der Todesstrafe diskutiert wird. Wäre das nicht der Fall, der Putsch, der keiner wurde, nie geschehen, ginge es schon eher. Ich sah bereits meine Nachbarin Lara irgendwo baumeln.

Doch zurecht werden einige wenige Leser darauf hinweisen, dass jeden Tag auf der Welt irgendwo mehrere Menschen hingerichtet werden. Alle zu Unrecht, da kein Mensch das Recht hat, einen anderen hinzurichten. Lex Seppo. Lex Vernunft. Lex Moral. Interessiert nur etwa 25 Staaten auf der Welt nicht, die 2015 1.634 Todesurteile vollstreckt haben, darf man Wikipedia Glauben schenken. Damit hat die Zahl der Hinrichtungen einen temporären Höchststand erreicht. Soll heißen: Streng genommen verbieten sich Scherze über Hinrichtungen grundsätzlich.

Zwei Ideen eines „Autors“, der sich selber nie so nennen würde, die aus gutem Grund nie verwirklicht werden.

Und was soll das mit „Hosenbund Deutscher Mädel“ auf den Notizzetteln, die ich mitunter für mich beschriften lasse, wenn ich plötzlich eine Idee habe?! Offenbar kam mir irgendwann, weinselig, dieses leicht alberne Wortspiel in den Sinn. Warum muss es denn gleich der BDM sein? Warum nicht der „Bund deutscher Deutsche“? Okay, der klingt irgendwie nach Nazi-Verein, ist aber lediglich ein loser Bund Deutscher. Das ist das Problem von uns; einige haben Angst vor der eigenen Flagge, andere schon vor dem bloßen Wort „deutsch“. Das wiederum ist dann eine politische Korrektheit, die mich würgen lässt, mitunter kommt auch Land mit. „Hosenbund Deutscher Mädel“ reicht ohnehin lediglich für einen kurzen Schmunzler bei mir. Obwohl ich herzhaft gelacht hatte, als es mir einfiel. Vielleicht war es auch Muskubars Idee, ich weiß es nicht mehr. Der Wein. Der viele Wein.

Völlig unverfänglich ist hingegen die Tatsache, dass ich im zarten Alter von neun Jahren bei der ersten Kommunion durchgefallen war. Meine Eltern waren damals schockiert, als Pastor Schneidewind (und der Name ist nicht einmal ausgedacht) bei uns anrief, um uns mitzuteilen:

„Liebe Frau Flotho, der Sebastian ist leider bei der Erstkommunion durchgefallen. Er ist damit der erste Katholik weltweit, der das hinbekommen hat.“

Was er nicht sagte: „Leider müssen wir ihn innenhinrichten.“

Denn das tat nicht not. Ich bestand ein Jahr später die Zweitkommunion.

Das beispielsweise, das geht. So etwas kann man schreiben. Es tut niemandem weh, es verletzt keine Gefühle. Doch Humor, der darf auch verletzend sein, mitunter muss er es. Denn Humor ist ja nicht nur dafür da, Menschen zu erheitern, was auch toll ist, sondern auch, um auf Missstände hinzuweisen. Aber deswegen fiktiv die Mitbewohnerin die Treppe runterschmeißen?! Ich ahne, dass sie mich noch heute Abend aufgrund dieses Gedankenspieles – die Treppe runterstößt.

Unnötig und doch nötig zu erwähnen, dass meine Mitbewohnerin die Anwendung von Gewalt nicht praktiziert. Ich kann behaupten, dass sie der friedfertigste und liebste Mensch in meinem ohnehin schon sehr friedfertigen Umfeld ist.


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