Menschen, die „Ikea“ hassen, finden auch Weihnachten doof. Das geht beides in Ordnung. Allerdings geht es weniger in Ordnung, wenn Weihnachtshasser schon ab Oktober, wenn im Puff die ersten Lebkuchen gereicht werden (stets in Kombination mit einer käuflichen Dame), jedem erzählen, wie sehr sie Weihnachten hassen und den Trubel drumherum. Mit ihrem Hass verursachen sie mindestens genau soviel Trubel wie Jesus‘ Geburtstag selbst. Dieselben Menschen sind dann auch die, die, sobald man erwähnt, man sei bei Ikea gewesen, eine Hasstirade auf den deutsch-polnischen Konzern niederprasseln lassen. Ich würde ja jetzt schreiben, „Jedem das Seine“, allerdings musste ich vor einiger Zeit lernen, dass „Jedem das Seine“ ein Nazi-Spruch gewesen sei und am Tor des Konzentrationslagers Buchenwald verinschriftet ist. Man darf ihn also nicht mehr nutzen. Es sei denn …

Es sei denn, man weist auf den ursprünglichen Urspung (semantischer Doppelsprung) hin. Das würde jedoch den Rahmen hier sprengen (semantischer Sprengsatz (schwierig in den derzeit unruhigen Zeiten (semantische Doppelzeit))), sodass ich auf den Spruch einfach verzichte.

Meine Mitbewohnerin und ich waren am Samstag bei Ikea. Ja, ich weiß, wie kann man nur! An einem Samstag! An einem schwülheißen Samstag! So viele Menschen!

Doch Ikea ist klimatisiert, es gibt also im Grunde kein besseres Wetter für Ikea. Zudem wird ein Großteil der Menschen im Kinderparadies zwischengelagert und auch ich habe dort drei Stunden gewartet, bis man meine Mitbewohnerin ausgerufen hatte.

„So, ich habe fertig gespielt. Es kann losgehen“, sage ich ihr und wie immer stehen wir zu Beginn vor der Frage, ob man direkt eine dieser übertrieben großen Ikea-Plastiktaschen mitnehmen sollte. Also frage ich sie:

„Muss man die direkt am Anfang mitnehmen oder kommen da noch weitere Gelegenheiten?“

„Wie war das denn sonst immer?“

„Wir nehmen sie besser mit. Man kann sie ja unterwegs noch ablegen.“

Bei den Sofas setze ich mich später unauffällig auf ein Ausstellungsstück, lege die Tasche ab, drücke interessiert auf die Polster und sage, „Ja, ein Meter 70, kommt hin“, und stehe ohne Tasche wieder auf, mich zügig entfernend. Denn nach 20 Minuten war jene Tasche noch immer unbefüllt, da man ja erst nur gucken kann im Ikea, bevor man dann ganz am Ende, und vor allem ganz im Keller, in die „Markthölle“ kommt. Wo sich die überdimensionierten Tüten als viel zu klein herausstellen sollten.

Ein Sofa wollen wir mitnichten erwerben, uns ging es um Deko. Pure Deko. Das hat mehrere Gründe.

Unser Wohnzimmer besteht aus im Wesentlichen vier Wänden, von denen jede tragend ist. Eine Wand habe ich gegen den Willen meiner Mitbewohnerin mit meiner Atlanten-Sammlung verziert. Die Atlanten standen jeweils auf einem (Ikea!-)Regalbrett, das meine Mitbewohnerin großzügigerweise in die Wand gearturfischert hatte, weil ich ja zu doof dazu bin, was ich hier ganz offen einmal zum Besten gebe. Meine Qualitäten liegen (zahlreich) woanders.

Atlanten sind schwer. Zu schwer für Ikea-Bretter, die nach und nach nachgaben. Das ist zweifach ungünstig: Zum einen krachen die Atlanten plötzlich von der Wand und mit ihnen 198 Staaten. Viel schlimmer ist jedoch der Umstand, dass meine Mitbewohnerin und ich unter den Atlanten sitzen, wenn wir denn mal im Wohnzimmer sitzen, das auf die Weise zur Todesfalle wird, denn der „Times Atlas“ wiegt (Angaben meiner Personenwaage zufolge) 5,1 Kilogramm, die ungebremst auf meinen Kopf fielen, während meine Mitbewohnerin Opfer des „DuMont Atlas der Welt“ mit knapp sechs Kilogramm würde. Das hat mit unserer unflexiblen Sitzordnung zu tun, jeder hier hat seinen Stammplatz.

Wir wurden nicht erschlagen, denn es war der „Große Atlas der Welt“ aus dem Hause „Kunth“, der mit seinen vier Kilogramm als erster von der Wand krachte. Unter dem sitzen nur Gäste und meine Nachbarin Lara ist wieder obenauf, sie hatte ein leichtes Hirntrauma davon getragen, was bei ihr gar nicht auffällt.

Das also als Warnschuss verstanden, war uns klar geworden, dass die Wand einer Umgestaltung bedarf. Und weil ich ja offenbar gespickt, nein, bereichert bin durch einige weibliche Seiten (wie mir gerade Frauen oft an den Kopf werfen, denn sie meinen es stets verächtlich!), bin ich bei uns zuhause zuständig für die optische Aufwertung der „gemütlichen Immobilie“ mit viel Entfaltungspotenzial für den Mieter. Und so entwarf ich schnell ein Deko-Konzept, welches ich bei meiner Freundin Sabrina USA, die da zufällig auch lebt, abguckte. Denn auch sie ist Opfer eines permanenten Dekorierungswahnes; soviel darf ich hier hoffentlich verraten. Denn sie liest gelegentlich mit.

Sabrina erwirbt auch das ein oder andere bei Ikea, sodass es mir ein Leichtes war, ihre Deko-Idee vollumfänglich zu plagiieren. Problematisch ist lediglich das Rad einer Kutsche, welches ihre amerikanische Wand schmückt. Da wir hierzulande wider das amerikanische Klischee keine Kutschen fahren, wo wir ein Rad hätten stehlen können, was ich Sabrina aber auch nicht unterstellen möchte, ersetzen wir das Kutschenrad in unserer europäischen Interpretation ihres Deko-Konzeptes durch eine Uhr, die wir also ab sofort im Wohnzimmer in unserem Rücken haben, sodass wir sie nie werden ablesen. So entschieden wir uns, Sabrina zu Ehren, dazu, dass diese Uhr Sabrinas Zeitzonenzeit anzeigt. Kleiner Gag. Ein Deko-Gag, eine Reminiszenz an Sabrina USA, die sechs Stunden zurück lebt.

In aller Regel ist der Ikea-Besuch zwecks Deko-Kaufes zwischen meiner Mitbewohnerin und mir durch einen Kampf charakterisiert. Ich schmeiße erst einmal alles, was ich so finde, in den Wagen (denn auch in der Markthalle braucht es keine dieser Ikea-Tüten, dort braucht es Containerschiffe, wenn ich einkaufe). Natürlich gucke auch ich auf Preise, jedoch spielen sie bei einer Kauf-Entscheidung keine Rolle, da ich geblendet und manipuliert einkaufe, wie es anständige Männer, die etwas auf sich halten, eben so tun. Kollabieren kann mann an der Kasse immer noch.

Eines der Ikea-Prinzipien ist ja die Anordnung der Gänge, die eigentlich nur ein Gang sind. Wenn einem unten in der Markthalle kurz vor dem Möbel-SB einfällt, dass man ja noch nach einem neuen Schuhschrank für den Flur gucken wollte, ist das ein nicht ganz unerhebliches Problem. Also teilt man sich auf, denn einer muss ja beim Wagen bleiben, den man ja nicht mit in die Ausstellungshalle nehmen darf. Wir aber sind schlau 2.0 und platzieren den Wagen unauffällig im Mittelgang, damit wir ihn wieder finden können, wenn wir von Rundgang Nummer zwei durch den Ikea zurück kommen.

Inzwischen bin ich derart in die Ikea-Welt eingetaucht, dass ich nicht mitbekomme, dass draußen ein Unwetter herrscht, worüber ich bei Facebook von einer Freundin informiert werde. Ikea hat ein offenes W-Lan, das mein Handy jedoch blockiert, weil es dieses als unsicher identifiziert. Immer dann, wenn ich meine Mitbewohnerin verloren habe, versuche ich mich neu einzuwählen und verzweifele daran. Ich sehe sie bei den „TV-Bänken“ stehen und frage mich, was die mit Schuhschränken zu tun haben. Ich wette, sie bastelt in ihrem Kopf gerade eine TV-Bank zum Schuhschrank um. Ich bin ja eher jemand, der die Dinge ihrem vorgesehen Nutzen entsprechend nutzt, während sie Dinge noch umbaut. Sie hat einmal – und ich lüge nicht – Teile einer alten Waschmaschine verwendet, um ihr Fahrrad wieder zum Laufen zu bringen. Das ist eine andere Geschichte. Sie hat es halt drauf.

Ich betrete ein Kinderzimmer. Und erwische mich dabei, wie ich respektvoll den Ausstellungsraum betrete. Als würden mir Gastgeber gerade ihre Wohnung zeigen. Für wenige Sekunden erliegt mein Hirn komplett der Illusion, mich wirklich in einer Wohnung zu befinden. Und Ikea weiß auch, warum es – und ich scherze auch hier nicht! – die Klodeckel der ausgestellten Modell-Toiletten versiegelt! Irgendwo in einem Ikea auf dieser Welt ist vermutlich ein Kunde mit Harn- oder Darmdrang einmal der Ikea-Verkaufsillusion erlegen und hat sein Geschäft in einer Ausstellungs-Toilette verrichtet!

Einen Schuhschrank haben wir nicht gefunden. Und würde meine Mitbewohnerin mich fragen, was sie nicht tut, würde ich sagen, es liege wohl daran, dass kein Schrank dieser Welt der Masse ihrer Schuhe gerecht werden kann, wobei – weibliche Seite? – ich mehr Paar Schuhe habe als sie, die so viele Klischees über Frauen zum Glück nicht erfüllt.

Unser zweiter Rundgang durch den Rundgang ist also erfolglos, sodass wir zügig den Weg fortsetzen, an „Pokémon Go“-Spielern im Ikea vorbei, wieder runter in die Markthalle, wo wir dann verzweifelt unseren Wagen suchen.


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Doch dazu später einmal mehr. Bis dahin bitte folgen auf meiner Facebook-Seite!