weinkisten

„Shoppen“ ist das möglicherweise grauenhafteste Wort, das wir Deutsche importiert haben. Neben all den anderen grauenschwangeren Anglizismen, mit denen wir unser offenbar fehlendes Bewusstsein für die Muttersprache kompens- oder ruinieren.

Nun, ich war gestern also einkaufen und das erstmals nicht in Begleitung meiner Mitbewohnerin, sondern in der von … nennen wir sie einfach KM, da uns beiden gerade nichts besseres einfällt.

Über das Einkaufen mit meiner Mitbewohnerin habe ich hinlänglich geschrieben, nun wollte ich es einmal mit einer anderen Frau versuchen und ihr zeigen, wie effizient Männer so einkaufen. Und da ich mich noch im Deko-Wahn befinde („Die Ikea-Chroniken I und II„), standen Weinkisten ohne Wein und andere fakultative Deko-Artikel neben „Hemden“ auf meiner imaginären Einkaufsliste.

Bei den Weinkisten hat mein sicherer Einkaufsinstinkt bereits versagt. Was ich bei „Nanu Nana“ in den Düsseldorfer „Arcaden“ für bloßes Mobiliar zur Ausstellung der eigentlichen Waren halte und damit für unverkäuflich, identifiziert KM relativ zügig als eben doch verkäufliche frei von Wein seiende Weinkisten.

„Woher weißt du das?“, frage ich sie erstaunt.

„Da hängen Preisschilder dran“, sie nüchtern.

„Achso. Ja. Das ist natürlich ein sicherer Indikator.“

„Nanu Nana“ ist so ein Laden, in dem es jedes Mal mindestens einmal klirrt, während man sich dort zwischen zwei Aufstellern festgesetzt hat, da irgendwo ein Kunde beim Versuch, sich aus ähnlicher Klemme zu befreien, irgend welche Glaskaraffen umwirft.

„Die muss man nicht ersetzen!“, weiß KM aus Erfahrung zu berichten, während ich zwischen einem Regal mit „lustigen“ Tassen und einem Ständer mit seltsamen Tüchern festhänge, weil ein belangloser silberner Kerzenständer mein Interesse geweckt hatte, der nur 50 Zentimeter von mir entfernt stand, an den ich aber nicht herankam, da mein Korb im Duftkerzen-Regal hängen geblieben ist. Ich opfere den noch leeren Korb und greife zum Kerzenständer, den ich in die Weinkisten legen will, die KM freundlicherweise trägt, die ich aber plötzlich verloren habe.

Ich finde sie in Kassennähe wieder; ihr Haar ist zerzaust.

„Ich blieb mit meinen 56 Zentimeter langen Haaren an den Holzelefanten hängen. Ich glaube, da hat sich einer in meinem Haar verfangen“, klagt sie.

„Den nehmen wir einfach mit. Den müsste man ja jetzt sonst rausschneiden.“

Nachdem wir die ersten Einkäufe im Auto verstaut haben, kündige ich ihr an, dass wir zwecks Erwerbs meiner Hemden (Ich plane bereits die Herbst-Saison, die aber nun „autumn season“ heißt.) jeden Laden betreten werden müssen, aber dennoch nicht lange dafür brauchen werden, da ich einen einzigartigen Blick dafür habe, ob das jeweilige Sortiment etwas für ich bereit hält oder an mir vorbei designt wurde.

Und das funktioniert. „Olymp & Hades“, von dem wir beide nicht genau wissen, ob sie sich deutsch oder englisch aussprechen, ist noch auf Sommer eingestellt. „S. Oliver“ betreten wir erst gar nicht, da ich schon von außen sehe, dass ich dort nicht willkommen bin. Auch „Esprit“ erledigt sich schnell und ohnehin ist mir klar, dass „Jack and Jones“ auf jeden Fall etwas für mich haben wird, nachdem wir im „New Yorker“ festgestellt haben, dass sie dort überwiegend Schlampen-Bekleidung verkaufen und wöchentlich ihr Ladenlokal komplett umgestalten, was mich jedes Mal wieder aufs Neue verwirrt.

Vor „Jack and Jones“ habe ich grundsätzlich Angst. Denn dort tummelt sich stets Personal, das seine Arbeit sehr ernst nimmt und nicht mehr von der Seite des Kunden weicht. Ich habe Verständnis, es ist vermutlich dazu angehalten, den potenziellen Käufer penetrant zu belästigen mit Fragen wie:

„Willst du noch ein paar Basics dazu?“

„Basics?!“

„Ja, Socken zum Beispiel.“

„Achso, Basics. Nein. Dann hätte ich ja Socken gesucht.“

Und seit wann duzt er mich?!

Gestern komme ich erstmals in den Genuss weiblichen Personals bei „Jack and Jones“. Was die Sache nicht besser macht. Denn bei Frauen fällt mir ein ruppiges „Ich seh‘ mich nur um, danke!“ schwerer als bei Typen.

Sie überfällt mich, als ich kurz bei den Hosen stehenbleibe. Das war ein Fehler. Als Kunde, der in Ruhe gelassen werden möchte, sollte man stets in Bewegung bleiben, um im Ernstfall schnell flüchten zu können. Doch als ich sehe, dass es keine Hemden für mich gibt, weckt eine Hose mit dem Namen „Tim“ mein Interesse. Kaum ist meine Hand hinlangend im Regal, kommt sie von hinten und fragt, was ja sehr nett ist:

„Darf ich dir deine Größe raussuchen?“

Und ich ergebe mich sofort, vielleicht auch, um vor KM möglichst gut dazustehen.

„Ja, 32 34 brauche ich. Dann vielleicht noch 32 33 und 32 32. Für alle Fälle alles noch mal mit 31.“

Die Verkäuferin, die mich offenbar lange kennt, da sie mich duzt, lächelt überheblich süffisant. Ich frage also:

„Warum lachen Sie?“

„33 gibt es nicht.“

„Nicht? Bei Modell ‚Tim‘ nicht?“

„Generell gibt es die Länge 33 nicht.“

Ja, der dumme Mann weiß nicht, dass es 33 nicht gibt. Dabei wäre es doch logisch. Es gibt 32, es gibt 34, was zur Hölle spricht gegen 33?! Also investigativiere ich nach:

„Und wenn meine Beine nun eine Länge von 33 hätten?“

„Dann würde ich dir die 34 empfehlen, die du dann ja unten umschlagen könntest.“

„Das heißt also, alle, die ihre Hosen unten umschlagen, folgen gar keinem Trend, sondern haben im Grunde eine 34er-Hose an, obwohl sie eine 33er bräuchten?!“

Die Verkäuferin, die ich penetrant sieze, weil sie mich penetrant duzt, lacht wieder überheblich.

Gut, sie hält mich also für dumm, weil sie sich im Metier von Hosenlängen bestens auskennt und da offenbar wieder ein hilfloser Mann vor ihr steht. Ist ihr eigentlich bewusst, dass ihr exklusives Wissen über die Länge von Hosenbeinen nichts, aber auch gar nichts zur Ermittlung der Weltformel beiträgt?!

Während ich nun Modell „Tim“ in der Umkleide anprobiere, fragt KM mich, ob mir das öfter passieren würde.

„Was öfter passieren?“

„Na, dass du von Verkäuferinnen für blöd gehalten wirst?“

„Naja, es ist ja im Trend, Männer immer etwas tölpelhaft dastehen zu lassen.“

Und das stimmt, ich beobachte es oft. Es hat etwas mit Fallhöhe zu tun. Dinge sind immer dann lustig, wenn sie eine gewisse Fallhöhe ausnutzen. Ein Beispiel: Wenn jemandem, der sehr überheblich durchs Leben geht, ein Missgeschick passiert, ist das besonders lustig, weil er tief fällt. John Cleese hat das in „Fawlty Towers“ sehr deutlich gemacht, aber auch „Frasier“ baut auf dieses Prinzip. Meine waghalsige Theorie ist nun die, dass wenn das vermeintlich (!) starke Geschlecht einmal schwach dasteht, sich manch einer die Hand an der anderen reibt. So werde ich auch häufig Zeuge davon, wie sich Frauen untereinander über ihre eigenen Partner unterhalten und selten ein gutes Haar an ihm lassen. Männer tun das übrigens nicht. Und ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, hätte meine Mitbewohnerin mir das nicht einmal bestätigt, was sie selber nicht praktiziert. Denn man könnte ja die Frage stellen:

„Warum bist du mit dem Typen zusammen, wenn du ihn für einen Idioten hältst?! Bist dann nicht du die Idiotin?“

Die Antwort ist klar, sie hält ihn fürwahr gar nicht für einen Idioten. Aber sie stellt ihn gerne so dar.

Ich selber saß schon als Hahn im Korb in Runden, wo die Frauen plötzlich über ihre Männer herzogen. Was ist da los?! Frust?! Was ist das? Warum tut Ihr das (freilich nicht alle!)?! Auf die Idee käme ich erst gar nicht. Vermutlich wollten einige nach außen tragen, sie hätten die Hosen an. In Wahrheit haben sie das wohl nicht.

Ich selber bin so ein großer Idiot, dass ich schon beim nächsten Hosenkauf vergessen werde haben, dass es 33 in der Länge nicht gibt. Männer können das nämlich: selektieren.

Ich klage hier im Übrigen nicht, denn es ist mir egal, warum Männer gerne als Trottel dargestellt werden. Wer das mit mir tut, bekommt eine entsprechende Antwort und ich verweise auf die Kunst, sich für einen guten Witz selbstironisch zum Deppen zu machen, was mir gestern KM gegenüber mehrfach gelang, als ich versuchte, mich während der Einnahme eines Kaffees in rechtwinklige Sitzecken zu setzen. Es ist nicht möglich, birgt aber lorioteskes Potenzial.

Wie auch die Massage-Sessel, die einen für lächerliche zwei Euro zehn Minuten lang massieren. Während KM weniger begeistert von der Intensität der Massage war, saß ich erotisch, aber schmerzbedingt stöhnend neben ihr, als sich der Sessel meinen unteren Rücken vornimmt, der es wirklich nötig hat. Ein älteres Pärchen kommt auf uns zu. Offenbar hat es ebenfalls Interesse an einer Massage. Argwöhnisch betrachtet uns der Mann:

„Sitzen Sie nur so da?“

Er hat nicht Unrecht, denn viele sitzen einfach nur so auf diesen Sesseln, ohne ihre Funktion zu nutzen. Meist Männer, die ihre Frauen bei „Tally Weijl“ verloren haben.

„Nein, wir sitzen nicht nur so da. Wir nutzen die Funktion“, erkläre ich.

„Wie lange noch?“, will der Herr wissen, den ich am liebsten zu „Jack and Jones“ schicken würde.

„Noch drei Minuten“, informiert ihn KM, wohl in der Hoffnung, dass das Ehepaar diese drei Restminuten nicht noch geduldig wartend vor uns stehend verbringen wird. Und zum Glück, es zieht weiter.

Und so verbringen wir noch einige Stunden auf den Massage-Sesseln, nun aber ohne Funktion. Als der Morgen dämmert, öffnet man uns die Türen und wir verlassen die architektonisch an ein DDR-Regierungsgebäude erinnernden „Düsseldorf Arcaden“.

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