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„Warum werde ich denn jetzt auch noch so mit der Nase darauf gestoßen? Schickt mich doch einfach in die Hölle!“, ich leicht erbost.

„Uns ist es wichtig, dass ihr wisst, was euch entgeht. Darum gewähren wir dir einen Einblick, bevor es dann ohne weiteren Umweg in die Hölle geht“, erklärt mir geduldig der „Pförtner aller Pförtner“, wie er sich nennt. Er habe schon vielen Pförtnern die Himmelspforte geöffnet. Überhaupt seien Pförtner geradezu prädestiniert, in den Himmel zu kommen, da sie mitunter ein Leben lang Menschen die Tür aufhalten, die durchaus selber in der Lage dazu wären.

„Ich habe oft Frauen die Türen aufgehalten!“, protestiere ich.

„Den meisten davon, einer ausgenommen, werde ich übrigens die Pforte zum Himmel öffnen, dir jedoch nicht.“

Es war elf Uhr am Vormittag, als ich mich mit dem Gewicht meiner Langhantel verschätzt hatte. An jeder Seite 15 Kilogramm. Die kann man durchaus heben, so ist es nicht. Nur kommt es auf die Zahl der Wiederholungen an; 50 habe ich angestrebt, bei der 49. hätte ich absetzen sollen. Doch wer bin ich, so kurz vor dem Ziel aufzugeben?! Also drücke ich mit letzter Kraft das Gerät nach oben, während ich auf dem Boden liege, die Beine angewinkelt, aber bereits schon in die Höhe gestreckt, was der Anstrengung geschuldet war. Die 50. Ausführung hatte mit Schönheit und korrekter Körperhaltung nichts mehr zu tun. Erst recht nicht, als ich feststellte, dass mein wie immer schwächerer linker Arm nachgab.

„Scheiße“, konstatierte ich, als auch der rechte Arm ins Schlawingern geriet. Für einen Sekundenbruchteil war mir klar, dass nun das geschah, was ich immer befürchtet hatte: dass ich in Ermangelung einer Hantelbank, auf der ich die Langhantel hätte ablegen können, von eben dieser erschlagen werde. Und so geschah es. Mein letzter Gedanke war:

„Das will ich nicht überleben.“

Denn die Hantel krachte auf meinen Kopf, deformierte ihn zunächst und ließ ihn dann an der linken Seite aufplatzen.

Ich habe das zum Glück nicht überlebt, stelle ich befriedigt fest, als ich über meinem Leichnam schwebe. Es könnte mir ja egal sein, aber irgendwie stört es mich dann doch, dass mein Blut an meinen weißen Schreibtisch gespritzt ist. Ich hatte vor wenigen Stunden noch geputzt, da meine Mitbewohnerin und ich am Wochenende Besuch erwarten. Aber das hat sich weitestgehend erledigt, obwohl ich es auch posthum meiner Mitbewohnerin nicht übel nähme, empfänge sie die Gäste dennoch. Nur einkaufen für das Raclette-Essen, das muss sie nun alleine. Das wird sie ärgern.

Ich stelle fest, dass man ohne Körper sich als bloße Seele relativ frei fühlt, als ich beobachte, wie mein Gehirn an meinem Gesicht herunter läuft und nur vom Bart gestoppt wird. Etwas tiefer entleert sich mein Darm. Mir war schon während des Sports so, als könnte ich durchaus noch zur Toilette gehen. Hätte ich das mal getan, es hätte dem ersten, der die Wohnung betritt einen schöneren Anblick geboten. Aber ich kann wohl auf Verständnis hoffen.

Ich schwebe hinüber zum Rechner, wo noch mehrere Facebook-Konversationen geöffnet sind. Die erste fragt bereits, wo ich sei, warum ich nicht antworte. Mein Kollege Christopher schreibt mir, dass er „Resident Evil“ nur mit bestehender Internet-Verbindung spielen könne, was ihn sehr nerve. Ob „Steam“ sich auch im Offline-Modus starten ließe, will er wissen. Ja, lässt es sich. Aber ich kann es ihm nicht mehr schreiben. Jetzt hält er mich für unhöflich, weil ich nicht antworte. Und nun bereue ich, dass ich bei Facebook keinen „Nachlass-Kontakt“ hinterlassen habe. Aber ich bin ja noch eingeloggt, ich hoffe, meine Mitbewohnerin löscht mein Konto einfach.

Bloggen wollte ich heute an sich auch noch. Bis Ende August wird niemand merken, dass ich nichts mehr veröffentliche. Sommerloch. Wie ärgerlich! Warum muss ich ausgerechnet im Sommerloch von einer Hantel erschlagen werden?! Kriegt doch keiner mit!

Dampfbloque wird es publik machen müssen. Oder whereanna. Ich lache laut auf bei dem letzten Gedanken, stelle aber fest, dass mein Lachen irgendwie nicht zu hören ist. Und dann ist da dieser Sog. Irgend etwas zieht mich nach oben. Und plötzlich sehe ich Frau Fahrgescheit, die über uns wohnt, wie sie etwas schreibt. Ich bin in ihrer Wohnung. Der Sog.

Sie schreibt ihr Testament! Wie schlau sie ist! Ich hingegen hinterlasse ein bescheidenes Vermögen, von dem ich nun keine Ahnung habe, wer es bekommt. Meine Eltern vermutlich. Was machen sie mit den Hantelscheiben, an denen Teile meines Gehirns hängen? Da hat man 37 oder 38 Jahre lang sein Gehirn geprägt, mit Wissen angereichert und mit Erfahrungen bereichert und jetzt ist es mit einem Schlag hinüber. Wie zerbrechlich doch alles ist …

Es zieht mich weiter nach oben. Mit einer Kraft, der ich mich nicht widersetzen kann. Eine Wohnung über Fahrgescheits wohnt meine Nachbarin Lara. Sie liegt auf ihrem Sofa und ahnt nicht, dass ich mich gerade mit meiner Langhantel umgebracht habe. Ich weiß, was sie sagen würde:

„Deine Eitelkeit hat dir nichts gebracht, Seppo. Da trainierst du wie ein Irrer, um dich zu stählen, doch jetzt bist du Brei.“

Aber sie denkt gerade an etwas anderes. Vermutlich durchaus an mich, denn ganz offensichtlich befriedigt sie sich gerade. Da muss ich erst sterben, um das sehen zu dürfen …

Doch der Sog ist erbarmungslos.

„Lasst mir doch dieses Schauspiel wenigstens!“, rufe ich und realisiere, dass es zumindest gen Himmel geht und die Hölle mir erspart bleibt.

Der Sog nimmt zu, ich sehe eine Ruinenstadt unter mir, es ist meine Wahlheimat Düsseldorf. Erste Wolken verdecken meine Sicht, ich rase durch ein Flugzeug, in dem gerade ein Unbefugter den Steuerknüppel übernimmt und Kurs auf den Landtag …

„Bin ich im Himmel?!“, frage ich einen Mann, der so etwas wie eine Pagen-Uniform trägt.

„Sind Sie Page?“

„Ich bin der Pförtner aller Pförtner.“

„Ah, ich komme wirklich in den Himmel?“

„Wohl kaum.“


Wir müssen an diesen Ereignissen unbedingt dran bleiben. Ich will ja selber wissen, wohin es mich verschlägt. Bis dahin besucht gerne meine Facebook-Seite!