400

„Ja, er ist hinüber.“
(L. Ungern, 2. August 2016)

Mit tiefer Bestürzung nahm ich an einem arktisch-schwülen Dienstagmorgen um 14.21 Uhr die Nachricht des Ablebens eines der größten Literaten der virtuellen Gegenwart entgegen. Seinem Treiben auf diesem Erdenrund wurde durch seine eventuell größte Schwäche ein jähes Ende bereitet: Frauen in Kombination mit seinem Unvermögen, Langhanteln überall sonst außer auf seinem eigenen Gesicht zu platzieren. Die 50. Wiederholung beim Bankdrücken ohne Bank soll also die letzte gewesen sein. Ich nahm es zum Anlass, ihn im Gebet anzurufen:

„50 Wiederholungen?!“

„Das bleibt bei dir hängen! Aber nicht mein Tod!“

Dass er trotz seines Todes antwortete, sieht ihm ähnlich. Ein Mythos, um den sich Legenden ranken. Wen traf er nicht schon alles? Gott, den Tod, das Schicksal, Lara. Nicht, weil er es wollte. Nein. Sie kamen zu ihm. Auch deshalb hängen seit über einem Jahr Männer und Frauen gleichermaßen an jedem einzelnen Wort, das die Feder des Genius verlässt. Die Frauen wollen ihn, die Männer auch oder zumindest so sein wie er. Nicht tot, sondern bärtig. Offen und doch unnahbar. Nachdenklich und ironisch. Prominent. „Der Star aus Deinem Fernseher“.

Auf dem Sprung ins Jenseits ließ mir Seppo die Bitte zukommen, einige Fragen an ihn zu formulieren. Der 400. Beitrag stünde an und ihm sei danach, Fragen zu beantworten, zumal ihm schon längere Zeit keine Nominierung für den „Liebster Award“ zuteil wurde. Angesichts der unvereinbaren Dimensionen, innerhalb derer wir uns jeweils aufhielten, stimmte ich zu, wohl wissend, dass ich mir die Arbeit würde sparen können. Zwar irritiert dadurch, dass mich ein Verblichener kontaktierte, hielt ich es dennoch für ausgeschlossen, das dieser noch in der Lage wäre, Fragen zu beantworten. Nur wenig später musste ich lernen, dass man sich auch vor Pflichten den Toten gegenüber nicht drücken kann. Denn auch ich starb eines wohl unnatürlichen Todes. Das erfährt man dann durch einen Beitrag im seppolog. Hätte ich ihn nicht gelesen, ich würde noch immer – nicht um meinen Tod wissend – quicklebendig umherwandeln. So soll es nicht sein. Pech. Ich muss mir also Fragen ausdenken. Es führt mir die Rangordnung innerhalb der Blogosphäre vor Augen. Wer bin ich, mich ihr zu widersetzen, mich ihm zu widersetzen? Ihm, dem Jubilar, dem Verblichenen.

Mögen die Fragen ihn erfreuen, die er an den malerischen Ufern des schwefeligen Styx sitzend ihrer Beantwortung zuführt.

Manuel Höttges, Dampfbloque

 

Es ist dieses also der 400. Beitrag und ich gebe zu, dass ich ein bisschen stolz bin auf diese Anzahl, sodass ich meine mir sonst so eigene Bescheidenheit anlässlich dieses seppoläums gegen innere Widerstände einmal ablegen werden darf, Sie werden es mir verzeihen. Ich danke Manuel für diese „Festschrift“ und dafür, dass er meiner Bitte, mir Fragen zukommen zu lassen, nachgekommen ist; ich fürchte, da war auch viel Höflichkeit, die ja nur für ihn spricht, mit im Spiel. Er hat ja keine Ahnung, was zu meinem 500. Beitrag auf ihn zukommt, der in greifbare Nähe gerückt ist, womit ich zum Start des seppologs am 2. Mai 2015 wohl nicht gerechnet hatte.

Es ist zwölf Uhr am Sonntagmittag, ich sitze entspannt im Bett neben meiner Sonntagszeitung, dem Laptop vor mir und bin gespannt, welche Fragen da so kommen. Denn Blogger beantworten gerne Fragen und nicht wenige wissen, um etwas über mich zu erfahren, muss man eben fragen, denn Selbstdarstellung liegt mir absolut fern.

400 Beiträge. Hätte man sich da nicht auch kürzer fassen können?

„Kürzer“?! Ich habe in den zurückliegenden 463 Tagen des seppologs nicht einmal einen ganzen Artikel pro Tag geschrieben, sondern lediglich 0,86, was auch noch großzügig gerundet ist. Ich war somit nicht mal in der Lage, Artikel zu Ende zu bringen. Daraus ergibt sich doch vielmehr die Pflicht, ab sofort häufiger zu schreiben. Diese 0,86 nagt an mir, soll mir eine Mahnung für die glänzende Zukunft des seppologs sein. Der Leser hat ein Recht auf einen Artikel pro Tag.

Und natürlich verhält es sich ja so, dass ich wider besseres Wissen zuviel schreibe. Denn natürlich ist ein Abnutzungseffekt nicht von der Hand zu weisen: Wer diesen Blog besucht, weiß inzwischen sehr genau, was ihn erwartet. Vieles war schon einmal da und das x-te Gespräch mit Gott oder dem Tod reißt natürlich auch niemandem mehr vom Hocker.

Blicke ich auf die Abrufstatistiken, sehe ich, dass ich viele Stammleser im Laufe der Zeit verloren habe, weil weniger manchmal wohl etwas mehr wäre. Umso freudiger stelle ich seit einigen Wochen fest, neue Leser zu gewinnen, die auch jeden Tag wiederkommen. Es ist wohl ein Kommen und Gehen.

Doch ich zelebriere geradezu, dass mir solche Dinge völlig egal sind, dass ich sie eher noch befeuere. Denn so wichtig mir eine gewisse Leserschaft ist, so unwichtig ist mir auch Klickoptimierung. „SEO“ am Arsch, es interessiert mich nicht, denn ich will vor allem eines: dann schreiben, wenn mir danach ist. Wohl wissend, dass man im Buhlen um möglichst hohe Abrufzahlen besser am Vormittag „publiziert“, tue ich es unabhängig von der Uhrzeit. Denn diesen Blog habe ich dereinst gestartet, um einfach mal das zu tun, wonach mir ist, ohne mir reinreden zu lassen, von Leuten, die ernsthaft glauben, Ahnung zu haben, wobei sie das Wesentliche letztlich aus den Augen verlieren: den Spaß an der Sache. Dieses ist kein professioneller Blog, dieses ist für mich ein Ventil, gewisse Dinge rauszulassen, aber auch eine Möglichkeit, den ein oder anderen hier und da zum Lachen, zumindest doch zum Schmunzeln zu bringen. Gerne provoziere ich auch. Zuletzt habe ich noch versucht, Frauen zu beleidigen. Ich will endlich einen Shitstorm! Noch hat es nicht funktioniert, was wohl daran liegt, dass Frauen im Allgemein nicht die klügsten Wesen sind.

Haha, gut. Also da lache auch ich. Sitze im Bett und feiere mich für diese Provokation, die mir schwer fällt, da ich absoluter Frauen-Fan bin. Mit mir haben Frauen leichtes Spiel. Denken sie.

Woher nimmst du die Ideen?

Das größte Kompliment, dass mir Leser machen können, ist genau diese Frage zu stellen. Durchaus wissend, dass ich auch viel Schrott schreibe, sind manchmal Dinge dabei, wo ich mich – es tut mir leid, es verhält sich genau so – selber feiere und denke: „Wie grandios sensationell!“. Das macht aber eben auch den Spaß aus, sich Dinge einfach auszudenken und dann aufzuschreiben. Ob das der eigene Kopf in einem Paket ist oder völliger Schwachsinn wie die „Richtigstellungen„. Je abstruser, desto besser, das reizt mich ungemein. Und ich kann mir immer sicher sein: Egal wie skurril, es gibt immer mindestens einen Leser, der es für bare Münze nimmt.

Die meisten Ideen kommen natürlich aus dem Alltag. Die eigene Beziehung zur Mitbewohnerin ist im Gros bereits ausgeschlachtet, aber jedes gemeinsame „Shoppen“ gibt immer wieder genug her, um hier Niederschlag zu finden. Aber oft genug sitze ich am Küchentisch, wo ich die meisten Artikel verfasse, und verzweifele an Ideenmangel, sodass ich auch gerne mal eine größere Pause vom Bloggen in Angriff nehmen werde.

Viele Ideen kommen mir derzeit, das wirst Du kennen, Manuel, im Gespräch mit Dir. Immer dann, wenn wir über sinnlose Dinge uns austauschen, driften wir irgendwann in Abstrusitäten ab, bei denen dann einer von uns aufschreit: „Verbloggen!“ Eine Idee war dabei die Hinrichtung einen meiner Leser. Ich nehme aber Abstand davon, das könnte man missverstehen. Alternativ habe ich dafür zuletzt mich selber ins Jenseits befördert. Es ist der Tod, der mich wahnsinnig reizt. Anfangs hatte ich noch Respekt davor, über ihn zu scherzen. Inzwischen sind da alle Dämme gebrochen, da ich mir sage, dass er ja ohnehin kommt. Ob man ihn nun ins Lächerliche zieht oder nicht. Auf der einen Seite habe ich wahnsinnige Angst vor dem Tod, auf der anderen Seite spiele ich mit ihm. Ich sehe ihn nicht als Teil des Lebens, was ja auch wirklich Unsinn ist, denn er ist nun einmal das absolute Gegenteil vom Leben und ich erwarte auch nicht, dass da auf der anderen Seite etwas ist. Dass ich mich an das Jahr 1977 nicht erinnern kann, liegt daran, dass es mich damals noch nicht gab. Ich war nichts. So wird es nach meinem Ableben dann wieder sein. So schwer ist es gar nicht, sich das vorzustellen. Ein bisschen arrogant von uns, dass wir uns das eigene Ende, das Nicht-Sein, nicht vorstellen wollen. So wichtig sind wir nicht.

Die Ideen beruhen auf allem. Es gibt im Grunde nichts, was ich hier ausklammere, aber ich sehe, es kommt ja gegen Ende noch eine Frage zur Selbstdarstellung. Wenn Du nichts dagegen hast, ziehe ich sie vor. Ist ja mein Blog.

 

Gnadenlose Selbstdarstellung: Was hältst du für deine größte Stärke?

Ich hasse Fragen nach den eigenen „Stärken“. Ich kann fantastisch meine Schwächen breittreten und Du wirst am Ende ja noch nach ihnen fragen.

Der Punkt der Selbstdarstellung reizt mich in Deiner Frage mehr, was niemanden überraschen dürfte, da ich mich hier natürlich gnadenlos selber darstelle. Ich hoffe, der Leser fällt bei dieser Offenbarung nicht aus allen Wolken, weil er es noch nicht bemerkt hat. Aber er möge einmal nachzählen, wie oft die inzwischen eingetragene Marke „Seppo“ allein auf der Startseite des seppologs zu finden ist. Da wird mir selber schwindelig, muss jedoch feststellen, dass ich zumindest nicht so tue, als ginge es hier nicht um mich. Man sollte es nur nicht mit Egoismus verwechseln, es hat mehr mit Egozentrik zu tun, die aber im Privatleben weniger stattfindet. Ich betrete oft Räume mit Menschen, die mich nicht wahrnehmen, selbst dann, wenn ich „Hallo“ rufe. Ein Phänomen, über das ich inzwischen schmunzeln kann.

Der Leser, der mich in der Regel nicht kennt, ist ja leider im großen Nachteil, dass er die private Variante von mir nicht kennt. Müßig zu erwähnen, dass diese sich am Gegenteil dieser Darstellung hier orientiert und nun braucht es auch cainen Psychologen, um diese Ambivalenz zu erklären. Sie ist eine ganz klassische, die sich geradezu aufdrängt. Und Du schreibst ja im obigen Vorwort selbst „offen und doch unnahbar“, ein bisschen was ist wohl dran und ich fahre damit sehr gut. Denn so offen es hier im seppolog zugeht, was auch in tiefsinnigen Artikeln wie „Abschied.“ oder diesem anklingt, so sehr kontrolliere ich natürlich, was ich preisgebe und was nicht.

Aber Du hast ja nun nach eventuellen Stärken gefragt. Das bringe ich schnell hinter mich. Ich spreche mir eine gewisse Fähigkeit der Empathie nicht ab, glaube, relativ zügig erkennen zu können, ob ein Mensch gut oder schlecht für mich ist, wobei ich da auch schon mal deftig daneben lag, und glaube inzwischen ein wenig, mit Wörtern umgehen zu können, was einem im Alltag, und das meine ich trotz aller verschachtelten Nebensätze, auch diese Apposition ist ja einer, ungemein helfen kann. Wir wissen ja nun, dass Schönheit, die optische, ein gutes Aussehen, Erfolgsgarant im Leben sein kann. Dasselbe gilt für die Fähigkeit, Sprache zu benutzen. Und zwar in alle Richtungen: Manch einer nutzt sie, um zu blenden und für den nächsten ist sie ein Werkzeug für Propaganda. Da ich bei Blendern kotzen muss und Propaganda für Teufelswerk halte, nutze ich Sprache dazu, um Frauen zu beeindrucken, was ziemlich gut klappt (Ich erlaube mir ein Lachen), vor allem aber, um Dinge ins Humorige zu rücken, was allein durch Sprache niemand besser konnte als Loriot, den ich immer wieder feiere, ohne freilich an ihn auch nur ansatzweise heranzureichen. Ich bin eben doch bescheiden.

Letztlich ist es aber auch eine Geschmacksfrage. Denn es besteht ja durchaus die Möglichkeit, dass ich überhaupt nicht mit Sprache umgehen kann, aber unter einem schiefen Selbstbild leide. Vor Kurzem las ich über den Schriftsteller Eduard Engel, der in seiner „Deutschen Stilkunst“ einiges über den guten Gebrauch von Sprache zu sagen hat: Demnach fände er all das, was ich hier schreibe, ziemlich beschissen, da ich exakt so schreibe, wie er es ablehnt. Er fordert, dass der Schreibende vor dem Satz nachdenkt. Das lehne ich beispielsweise ab. Daraus ergibt sich eine Schreibe, die sich am parallelen Denken orientiert, was wiederum die Verschachtelungen erklärt. Der Leser könne, so Engel, durchaus erwarten, dass der Autor sich bitte vorher ordnet und dann erst schreibt. Das, so ich, kann er hier vergessen. Und Füllwörter! Auf die gelte es, gänzlich zu verzichten. Da ich aber Sprache als so etwas wie Musik betrachte, steht „Seppos großes Füllwörter-Lexikon“ stets neben meinem Laptop, wenn ich hier schreibe.

Es sind noch einige Fragen offen, die nun Grundlage sein sollen für die Vorfreude auf den zweiten Teil, auf den 401. Beitrag!


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