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Hoerbar_haare
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Es sind oftmals ältere Herren, die nicht mehr unbedingt zügig zu Fuße breite Straßen abseits der Lichtsignalanlagen überqueren, um dann umgefahren zu werden.

Senioren kann man umfahren oder umfahren. Die Betonung macht da einen erheblichen Unterschied, insbesondere für den älteren Herren. Herr Kitzler, ein dementer Nachbar von uns, erzählt immer noch voller Stolz, wie er in seinem Sommerurlaub 1996 mit seiner Frau die A5 bei Heidelberg zu Fuß überquert hat. Herr Kitzler ist seit nunmehr 20 Jahren Witwer, was er aufgrund seiner Demenz vergessen hat. Wie auch die Tatsache, dass seine Frau hinter ihm rief: „Da kommt ein Ell-Ka -!“

Andere Geschichte.

Seit rund zwei Wochen schmerzt meine Ferse, vergangene Woche brach ich deshalb einen Lauf ab. seppolog berichtete. Diese Woche setzte ich trotz anhaltendem Schmerz auf das Prinzip „Ich laufe ihn weg, den Schmerz“, was übrigens in manchen Fällen sehr gut funktioniert. Möglicherweise sind durch den Sport ausgeschüttete Hormone dafür verantwortlich, dass man den Schmerz einfach nicht mehr spürt. Jetzt, wieder zuhause, spüre ich ihn umso mehr und habe mir einen Kühlakku unter die Ferse gekettet, wodurch nun deutlich wird, was das Beitragsbild dem Betrachter sagen möchte.

Mir ist völlig klar, dass die Fersen-Problematik nicht unbedingt besser wird, wenn ich weiter darauf rumlaufe. Doch zwei Dinge sind hier entscheidend: Erstens gehe ich erst dann zum Arzt, wenn es wirklich notwendig ist, denn die meisten Malaisen erübrigen sich von selbst. Zweitens: Mann oder Memme?! Drittens, gerade frisch eingetroffen, da ich nur zwei Dinge angekündigt hatte: Ich habe ein Jahresziel. Am Ende des Jahres müssen 205 Läufe absolviert sein. Nicht 204, nicht 206. Exakt 205. Diese Zahl ist nicht durch Zufall entstanden. Sondern sie erlaubt mir jedes Jahr eine fünfwöchige Laufpause, maximal zwei Erkältungen bzw. Grippen, einen zweiwöchigen Urlaub (inklusive Laufpause) und unvorhergesehene Ereignisse wie zum Beispiel Leistenbrüche oder Hörstürze. Am Ende stehen immer 205 Läufe. Diese erreiche ich aber nur dann, wenn ich nicht ‚rummemme. Soll heißen: Es gibt in der Regel keinen Grund, nicht zu laufen. Das übrigens unterscheidet den Jogger vom Läufer. Dem Jogger ist es mal zu kalt, mal zu nass, mal zu heiß oder mal zu stürmisch zum „Joggen“. Doch das sind immer Ausreden, denn es gibt kein Wetter, bei dem man nicht laufen kann. Und wenn dann mal etwas wehtut, bleibt man nicht direkt zuhause. Denn man hat ja ein Ziel.

Zum Vierten, justamente mir eingefallen, umtreibt mich gerade die Sorge, dass wir derzeit die letzten Sommertage erleben. Vielleicht verbrachte ich auch daher den gestrigen Tage im hiesigen Volksgarten, wobei ich mir gepflegt das Gesicht verbrannt habe, während ich mit meinem Glied in einem Maulwurfshügel … naja, das ist eine gänzlich andere Geschichte, die auch albern ist und wirklich mit der Realität also so gar nichts … nun gut. Also nicht, dass jetzt hier der Eindruck entstünde, ich würde mich an Maulwurfshügeln vergehen. Aber der Gedanke kam mir gestern, als ich umlagert von Gänsekot auf einer Decke lag, die von einer schwarzen Banane geziert war. Egal. Also, das Wetter. Das muss ich ausnutzen und darf somit keinen Tag zuhause bleiben und darf nicht nicht laufen. Und dass mir jetzt nach dem Lauf die Ferse explodiert, war mir vorher klar, doch nur auf diese Weise konnte ich heute meinen 133. Lauf vollenden.

Etwas erschrocken hatte ich mich durchaus, als ich eben meine Ferse gar nicht mehr gespürt hatte. Das jedoch klärte sich schnell auf, denn zunächst lag der oder das Kühlpad direkt an der Haut an, sodass offenbar dortige Nervenenden eingefroren oder sogar abgestorben waren und ich eben nichts mehr fühlen konnte. Hatte den Eindruck, das gesamte Knochenkonstrukt meines Fußes sei kollabiert. War es nicht, nur eingefroren.

Die Ferse sollte gar nicht das Thema sein. Sondern etwas, das mir zunehmend Spaß macht. Ich laufe nicht immer unbedingt gerne in einsamen Gegenden. Die Phasen habe ich auch, zuletzt, als es das Schicksal etwas ungünstiger mit mir meinte. Dann suche ich eher die Abgeschiedenheit und die Stille. Da sich das Blatt wendet, suche ich wieder eher das Leben und laufe sehr gerne mitten durch die Stadt. Dabei fiel mir zu Düsseldorf etwas auf:

Nicht-Münsteraner wollen mir gelegentlich weismachen, Münster sei sehr spießig. Das Gegenteil ist der Fall, kann ich als absoluter Spießer glaubhaft hier mitteilen. Viel spießiger ist der Düsseldorfer. Und was noch viel schlimmer ist: Der Düsseldorfer hat einen Minderwertigkeitskomplex. Anders ist mir nicht zu erklären, warum er sich permanent mit einer deutlich größeren und vielseitigeren Stadt – Köln – misst und dabei immer wieder den Kürzeren zieht. 

Das sind so Gedanken, die man beim Laufen einfach so hat. Die einem kommen, wenn man sich durch die Menschen bewegt, denn gerade an der Rheinufer-Promenade ist es derzeit sehr voll, was aber exakt das Reizvolle an einem Lauf wird: das permanente Ausweichen, das Umrennen von Menschen. Nicht das Umrennen, aber das Umrennen!

Noch habe ich dabei niemanden umgerannt, denn es ist ja durchaus möglich, dass ich mich einmal verkalkuliere und die zu umrennende Person plötzlich genau dann einen Schritt nach rechts macht, wenn ich gerade rechts überholen will. Ich bilde mir aber ein, schnell genug zu sein. Und mir ist völlig klar, dass sich Menschen, die ich auf diese Weise urplötzlich von hinten überhole, erschrecken. Das jedoch ist nicht zu verhindern. Oft rufe ich vorher

„Vorsicht! Nicht erschrecken!“

, doch exakt das erschrickt gerade ältere Menschen, sodass ich mir das inzwischen schenke und es mit einem Räuspern versuche oder mit dem Klimpern meines Schlüsselbundes. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es mir auch schlicht egal. Vermutlich werde ich oft verflucht, während ich weiterrenne, doch ob der Musik auf meinen Ohren bekomme ich das nicht mit.

Das Überqueren von beampelten Kreuzungen habe ich durch das „Untergrund-Verfahren“ jüngst beschleunigen können. Düsseldorf hat neue U-Bahnhöfe zu diesem Zwecke installiert, sodass ich vor der Ampel in den Untergrund verschwinde und auf der anderen Seite wieder emporsteige. Auch so etwas bringt Abwechslung in einen Lauf, auch wenn es vermutlich recht albern aussieht, wenn ich durch einen U-Bahnhof renne. So etwas muss dem Läufer jedoch lungo sein. Schwierig wird es nur, wenn ich mich auf einer Rolltreppe wiederfinde – ja, es gibt hier einen U-Bahnhof, der ausschließlich via Rolltreppe zu erreichen ist – und zwei betagte Damen vor mir stehen. Das Prinzip „rechts stehen, links gehen“ ist in Deutschland ja nicht unbedingt verbreitet. Find‘ ich auch nicht so schlimm. Ich kann mich ja bemerkbar machen. Nur diese Damen waren dermaßen gebrechlich und schwerhörig, dass ich sie nicht unvermittelt auf der Rolltreppe anschreien wollte, nur weil ich meine, die Rolltreppe laufend nehmen zu müssen. Also stehe ich geduldig hinter den Damen und ahne, dass gerade meine Rekordzeit flöten geht, bis wir unten angekommen sind, wo ich sie überhole, sanft und zärtlich, damit sie nicht erschrecken.

Auf der anderen Seite geht es dann wieder unterhalb der Kreuzung nach oben. Letztlich wäre das Warten an der Ampel vielleicht doch die schnellere Lösung gewesen.

Hier in Düsseldorf an der „Kö“, eine seltsam runtergekommene Einkaufsmeile, gibt es eine Brücke, auf der sich, so lese ich oft, hunderte „Pokemón Go“-Spieler treffen, da ausgerechnet auf jener Brücke sich „Pokestops“ befinden. Ich sehe im Netz Bilder von diesem Spektakel, was ich übrigens gar nicht so übel finde (die Stadt allerdings, spießig wie sie ist, will die „Pokestops“ entfernen lassen), da es eben mal ein außergewöhnliches Phänomen ist, das auch von alleine wieder abflaut. Aber immer dann, wenn ich dort vorbeilaufe, finde ich nur leere Brücken vor. Wie ist das möglich?! Verarscht mich die „Rheinische Post“?!

Derzeit warte ich beim Laufen darauf, dass ich mich bei einem Überhol- oder Ausweich-Manöver mal so richtig auf die Fresse lege. Das wird vermutlich geschehen und ich bin sicher, auch der eine oder andere Leser wünscht mir das gerade. In meiner Lauf-Karriere ist mir das bislang, sofern ich mich entsinne, erst einmal passiert. Man staunt, wie viel Schaden man davontragen kann. Derzeit dürfte die schmerzende Ferse die Ursache des nächsten Sturzes werden. Denn ich laufe in leichter Schonhaltung, was ja eh immer ungünstig ist. Ich laufe wie immer auf dem Vorfuß, allerdings nun mehr auf der Außenseite. Ein durchaus empfehlenswerter Laufstil, der aber dazu einlädt, dass man schnell umknickt, da man ja bereits mit leichtem Knick im Fuße läuft. Heute knickte ich zweimal um. Sieht vermutlich so lustig aus wie bei „Germany’s next Topmodel“, wenn die Zahnstocher brechen. Das macht ja Schadenfreude aus: Da will jemand perfekt agieren und erreicht das absolute Gegenteil. Fantastisch. Nicht anders wird es heute bei mir gewesen sein, als ich einen jüngeren Herrn überholte, der allerdings, weil die wenigsten Fußgänger wirklich immer geradeaus gehen, plötzlich seine Spur verließ. Kein Problem für Seppo, der auf den Blumenkübel auswich. Das macht wirklich Spaß und erinnert an jene Parcours-Läufer, die ja nichts anderes nur eben in Perfektion tun. Das könnte mir gefallen, ich denke ernsthaft darüber nach.

Auf den Blumenkübel zu gelangen, war kein Problem. Ich kam mir ziemlich geil vor. Aber, Hochmut kommt vor dem Fall. Ich fiel hochmütig. Runter vom Kübel, seitlich mit dem Fuß aufgefangen, der dann natürlich wegknickte. Doch als geübter Läufer reißen bei mir nicht sofort die Bänder. Naja, vermutlich hab‘ ich bislang immer nur Glück gehabt. Ich konnte mich fangen und lief weiter. Ich lief aber nur deshalb weiter, weil mir die Schmach zu groß war, einen Typen artistisch hochrangig zu überholen, um dann zu stürzen. Also biss ich die Zähne zusammen und lief schmerzerfüllt davon.

Auf dem hiesigen Burgplatz, wie er heißt, obwohl dort keine Burg steht, kam es zu einem Zusammenstoß mit einem Arm. Wetterbedingt war es dort heute sehr voll und für mich ein wirklicher Hindernislauf, der aber, wie gesagt, Spaß macht. Und ich verhalte mich auch als Läufer deutlich rücksichtsvoller als die meisten Fußgänger. Hatte da einen vor mir, von dem ich glaubte, der würde seine Spur halten, ich ihn also überholen können. Er hielt die Spur. Nur seinen Arm nicht still. Exakt in dem Moment, als ich ihn überhole, streckt er unvermittelt und ohne erkennbare Funktion seinen linken Arm zur Seite. Einfach so. Wie ein Autofahrer, der plötzlich die Tür aufreißt. Also bekam ich einen Arm in mein Gesicht.

„Alter!“

War alles, was ich sagte. Ich bin meist eher besonnen und freundlich. Beim Sport kann sich das ändern. Vielleicht adrenalinbedingt. Ich beschimpfe beispielsweise gerne Autofahrer, die mich bei Rot nahezu überfahren. Oder mir entgegenkommende Fußgänger, die stur nicht ausweichen, weil sie unbedingt zu zehnt nebeneinander über den Bürgersteig flanieren müssen. Aber letztlich ist ein mir ins Gesicht ragender Fremd-Arm kein Grund, groß Aufhebens zu erwirken, sodass ich dann einfach weiterlaufe.

Ich weise darauf hin, dass ich mitnichten rücksichtslos Leute umrenne. Gerade bei älteren Herrschaften stoppe ich, allein schon, weil ich Sorge habe, ihnen versehentlich den Gehstock wegzutreten, sodass sie seitlich auf den Asphalt krachen. Denn mir ist klar, in einigen Jahrzehnten werde ich derjenige sein, der mit seinem Stock auf rücksichtslose Jogger losgeht.


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