knilch

Hoerbar_haare
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Prolog: Eine Unterhaltung bei Facebook.

Ich: „könnte was schreiben. sitze bereit am tisch. ohne thema“

Ein anderer: „das wetter. leichter wind, etwas kühl. gute schreibbedingungen.“

„immer diese stürme. tornadofritz weiß, warum er so heißt“

„ein verrückter knilch“

„damit habe ich ein thema. irgendwas mit knilch. bedankt.

nein, wird geschoben. schlafende mitbewohnerin.

vielleicht sollte ich es einfach lassen.“

Wenn sie so da liegt. Auf dem Sofa. Ihre Mimik schwächer wird. Ihr Körper eben noch in einem rechten Winkel mit Blick auf die sensationelle Serie „The Strain“ bei Amazon nach und nach übergehend in einen stumpfen Winkel. Immer tiefer sackend im Einklang mit ihren Augenlidern. Dann der Moment, wo sie ihre Brille abnimmt, der mir sagt, jetzt schläft sie.

Für mich bedeutet das, für Stille zu sorgen. Damit sie schlafen kann. Denn: Meine Mitbewohnerin zu wecken, kann üble Folgen für den Weckenden haben. Sie ist zweifellos der liebste Mensch, den ich kenne, was ein Zusammenleben mit ihr zu so einer Angenehmheit macht, zu einem zwischenmenschlichen Vergnügen, das mich solche Beziehungen belächeln macht, in denen sich die Teilnehmer regelmäßig beschimpfen, sodass sich der seine Augen reibende Betrachter unweygerlich die Frage stellt, warum zwei Menschen eine Beziehung führen, die sich doch immer wieder beschimpfen. Das ist fernab meiner Vorstellungswelt, meiner Weltvorstellung. Es ist mir unbegreiflich. In einer Beziehung will ich zuhause sein, will dort meinen Frieden finden.

Doch wenn ich sie wecke, dann gibt es keinen Frieden. Dann lerne ich ihre andere Seite kennen. Was okay ist, denn ich liebe Frauen von allen Seiten.

Es ist Sonntag. Wir schliefen bis halb eins, da es gestern Nacht sehr spät geworden war. Hätte ich sie um zehn geweckt, als ich bereits einmal wach war, ich hätte diesen friedlichen Sonntag zu einem Sonntag der Angst gemacht. Meiner Angst. Darum ließ ich sie schlafen. Ihr gutes Recht. Doch ist es nicht auch mein gutes Recht, unterhalten zu werden? Bespaßt zu werden?

„Nein“, höre ich sie sagen.

Nun ist es 18 Uhr, sie ist abermals in einen Schlaf gefallen. Frauen schlafen meist tiefer als Männer. Das ist biologisch begründet, denn Männer sind wachsamer. Es war mal, als es den Feminismus noch nicht gab, ihre Aufgabe. Aufzupassen. Zu beschützen. Das hat sich weitgehend geändert, seit Frauen die Türen selber aufmachen können.

Ich habe einen guten bis sehr guten Schlaf. Aber die leisesten Geräusche lassen mich nachts aufschrecken. Im Wohnzimmer stehen auf hochkantige Art und Weise sämtliche bisher erschienenen Ausgaben des Magazins „Terra Mater“. Magazine stehen nicht gern. Es sei denn, man stellt sie in einen Schuber, den es zum Abo dazu gibt. Dieser Schuber, der auch nur einen Jahrgang fasst, hat mich nie erreicht. Schuber-Nachschubprobleme. Also stehen sie angelehnt an der Regalwand, wobei sie am anderen Ende gerne umfallen. Und das tun sie vorzugsweise nachts. Und jedes Mal werde ich davon aus dem Schlaf gerissen und mein erster Gedanke ist stets:

„Einbrecher. Jetzt ist es soweit. Ich hab’s immer gewusst.“

Leise stehe ich dann auf, stolpere über Socken, die hochkant vor meinem Bett stehen (Sockenspanner) und fange mich gekonnt und geübt an der Kommode auf, wobei ich die darauf stehende Lampe

Unser Sex-Licht.

runterreiße, was jedes Mal überraschend laut vonstattengeht. Jeder Einbrecher wäre spätestens jetzt auf dem Fluchtwege oder würde mich niederstechen, je nach Art der Bewaffnung auch niederstrecken. Aber längst ist mir klar, dass es wohl wieder nur eine Magazinausgabe war, die nach links gekippt ist. Da ich aber nun schon mal wach bin, kann ich ja nachsehen, ob es wirklich so war.

Denn die Ursache von Geräuschen muss ich kennen. Es ließe mir keine Ruhe, einfach ein Geräusch hinzunehmen ohne zu wissen, was Auslöser war. Und warum überhaupt gibt es ein Geräusch, wenn Dinge aneinander stoßen? Wodurch explizit wird dieses Geräusch ausgelöst?! Hat es etwas mit Luftverdrängung zu tun? Wenn Watte fällt, hört man es nicht. Fällt sie dann wirklich? Oder ist es lediglich die sanfte Andeutung eines Falles?

Ich richte das Magazin wieder auf und gehe zurück ins Bett. Meine Mitbewohnerin begrüßt mich aufrecht im Bett sitzend.

„Ist wieder eine Zeitung umgefallen?“

„Ja.“

„Lass sie doch liegen. Jedes Mal wirst du wach und weckst dann mich. Wieder die Lampe runtergerissen?“

„Ja.“

„Ich will doch nur schlafen.“

„Ich weiß. Ich will ja nur, dass die Magazine sich meinem Ordnungssinn fügen.“

Alles strebt nach Chaos. Auch „Terra Mater“. Es kostet weniger Energie, Dinge ins Chaos zu stürzen als sie aufrechtzuerhalten. Das ist der Grund, warum zwangsläufig jedes Fabergé-Ei einmal auf den Boden fällt.

Der accent aigue. Ein nerviges Diakritikon. Ich weiß nie, in welche Richtung es zeigt. Darüber habe ich, welch Zufall!, eben gelesen. Hier. Buchstaben streben nach Chaos. Darum können immer weniger Menschen sie korrekt miteinander in Beziehung setzen, sie ordnen. Meine Nichte wie auch mein Neffe dürfen bis zum vierten Schuljahr schreiben, wie sie wollen. Dann, kurz vor der weiterführenden Schule, wird man ihnen sagen, wie es eigentlich richtig ist. Nur bis zur vierten Klasse dürften sie beispielsweise „Dampfbloque“ schreiben, danach sagt man ihnen, dass „Dampfblog“ ja wohl viel richtiger ist. Das ist der Wahnsinn moderner Schulpolitik.

Meine Mitbewohnerin schläft in diesem Moment im Wohnzimmer. Ich halte mich aus Sicherheitsgründen in der Küche auf. In unmittelbarer Nähe meiner Magazin-Sammlung. Kippte sie um, die Sammlung, meine Mitbewohnerin fichte es nicht an. Sie lässt sich nur von Geräuschen wecken, die ich verursache. Ich könnte einen Wattebausch fallen lassen, sie würde von dem nicht vorhandenen Geräusch aufwachen und mich mit Blicken strafen, bevor sie dann vielleicht mit 60 ihre Blicke strafft. Testete hingegen unser Nachbar gegenüber im Hinterhof seine Wasserstoffbombe, rührte sie das kein Stück.

Überhaupt, dieser Nachbar. Er ist ein seltsamer Knilch. Ich kann ihn nicht besser beschreiben. Sein Sohn ist ein Knilchbubi. Es sind Hobby-Erfinder. Sie testen beispielsweise Drohnen im Hinterhof, mit denen sie die große Rasenfläche bewässern wollen. Das finde ich noch sinnvoll. Aber sie testen auch Raketenabwehr-Systeme, was ich übertrieben finde, da es an Raketen mangelt, sodass sie also jedes Mal Drohnen aufsteigen lassen, um diese dann abzuwehren.

Ein großes Manko unserer Wohnung ist der fehlende Balkon. Umso nerviger ist es, wenn des Knilchs Drohnen immer wieder ausgerechnet auf unserem Balkon abstürzen oder sich im Geländer verfangen. Jedes Mal, wenn das geschieht, klingelt der Knilch bei uns, stets mit seinem Sohn im Anhang als Zip-Datei. Das hat Methode, denn der Knilch schiebt den Drohnenunfall stets auf seinen Bubi:

„Herr Flotho, ich bedaure, aber er hat wieder seine Drohne auf Ihrem Balkon abstürzen lassen.“

Das soll mich besänftigen. Dass es das Kind war. Aber das muss es nicht. Denn wir haben keinen Balkon, sodass ich jedes Mal aufs Neue erkläre:

„Es ist eine Etage über uns. Wir haben keinen Balkon. Sie müssen bei Fahrgescheits klingeln.“

Und das sollte er zügigst tun, denn Herr Fahrgescheit fackelt nie lange, nimmt die Drohne und schmeißt sie vom Balkon. Und das kann er nur, weil wir, unter ihm wohnend, keinen Balkon haben, auf den sonst die Drohne stürzen würde. Sie fällt also lediglich an unserem Küchenfenster vorbei. Manchmal, wenn wir im richtigen Moment zufällig rausschauen, sehen wir die Drohne bei uns vorbei fallen. Und wissen, gleich klingelt der Knilch wieder bei uns.

Meine Mitbewohnerin ist wach geworden. Ich habe zu laut getippt.


Um 19.00 Uhr bin ich live bei Facebook und erkläre den korrekten Gebrauch von Satzzeichen auf Sütterlin-Mottopartys.