yvel

Hoerbar_haare
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Jahres-Inspektion. Oder sollte ich sie treffender „Yaris-Inspektion“ nennen?! Es kommt auf dasselbe hinaus und so sitze ich also jetzt um acht Uhr im Toyota-Autohaus darauf wartend, dass rund zweieinhalb Stunden an mir vorbeifliegen. Wie damals vor einem Jahr, da war es der TÜV, als ich am selben Platz im Wartebereich wie jetzt saß. Das ist so meine Art. Es könnte der hier ungemütlichste Sitzplatz überhaupt sein, ich setzte mich dennoch genau hier hin, da ich es vor einem Jahr ebenso tat. Und auch damals nutzte ich die Zeit, um zu schreiben.

Obwohl mir nach Schlafen zumute ist, da mich mein gestriges Sportprogramm – seppofit – unerwartet heftig lahmgelegt hatte. Nach einem harten Lauf lag ich bis zum Abend nur noch bewegungslos auf dem Sofa; nichts ging mehr. Und dieses Gefühl habe ich nach wie vor. Auch meine Mitbewohnerin:

„Du bist seit gestern um Jahrzehnte gealtert, Seppo!“

„Ich transformiere meinen Body. Das muss so“, belog ich sie.

Dass ich nun hier sitze und auf mein Auto warte, war mein eigener Wunsch, da es praktischer ist, als es am Abend wieder abzuholen. Und justamente sehe ich, dass man hier draußen sitzen kann! Was hält mich noch?! Nur die Tatsache, dass ich vergangenes Jahr auch drinnen saß? Ja. Und die, dass ich hier lustige Dinge beobachten kann. Das war zumindest mein Plan.

Mein Wunsch, aufs Auto zu warten, kollidiert im schlimmsten Falle mit einer „DHL“-Lieferung, die ich in diesen Stunden erwarte. Ich lasse mir das komplette DHL-Unternehmen liefern. Damit ich denen mitteilen kann, dass sie selbst Schuld daran tragen, dass „Amazon“ jetzt eigene Packstationen aufstellt („Amazon Locker“) und langfristig wohl nicht mehr DHL-Kunde sein wird. In meiner Umgebung hat die Post drei ihrer Stationen abgebaut, sodass ich nun gezwungen bin, mir die Bestellungen nach Hause liefern zu lassen, wo sie mich aber grundsätzlich nie antreffen, sodass ich sie erst am folgenden Werktag („jedoch erst ab elf Uhr“) abholen kann. Je schneller mein Auto inspiziert worden sein wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Artikel der letzte ist, der auf diesem „Chromebook“ geschrieben wird, da ich einen neuen Laptop erwarte. Das ist ein bisschen wie Weihnachten für mich gerade; das Warten auf das neue Spielzeug, ohne zu wissen, ob das Christkind auch tatsächlich kommt.

„Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“

Das fragte mich gerade der freundliche, nach Zigarettenrauch stinkende Toyota-Mitarbeiter. Ohne jemanden beleidigen zu wollen, aber warum sehen Autoverkäufer immer schmierig und unseriös aus? Sie rangieren bei mir nur knapp vor Handy-Verkäufern. Alle, die hier umherwandern, an mir vorbei, erfüllen dieses Klischee. Und mache ich mir nichts vor: Ich zahle gleich einen dreistelligen Betrag für eine Null-Leistung. Das Auto ist heile, es gibt nichts, was repariert werden müsste, TÜV läuft noch ein Jahr. Dennoch werde ich Geld bezahlen. Ich hoffe, sie waschen dafür wenigstens das Auto, aber der freundliche Herr erwähnte bereits beiläufig, dass die Waschanlage derzeit „spinne“. Dafür trinke ich gerade auf seine Kosten, hier zwinkere ich, einen Kaffee im Wert von einem Euro 20, wie mir der Blick in die Getränke-Karte verrät. Kann man nicht meckern.

Die Dame, die mir dann den Kaffee brachte, war einfach mal unsympathisch unfreundlich. Ich sehe sie seit etwa 30 Minuten mit Schreib-Unterbrechungen hasserfüllt und angewidert an. Auf meine Frage, wie ich denn hier ins W-Lan gelange, deutete sie wortlos auf einen Aufkleber drei Meter links neben mir, auf dem geschrieben steht „Mein Hotspot“. Soll jemand ahnen. Man loggt sich dann irgendwie über Facebook ein und „Mein Hotspot“ checkt dann meine Freundesliste und sortiert aus. Hoffentlich erwischt es die richtigen.

Auf einem Plasma-Monitor läuft das Making-of eines „Lexus“-Werbespots mit Jude Law. Ton gibt es nicht, ich kann nur erahnen, dass Jude gerade erzählt, dass ihm der Dreh besonders viel Spaß gemacht habe, weil er wirklich gerne einen Lexus fahre. Vermutlich war die Produktion für ihn weniger Arbeit, sondern mehr Spaß. Zumal es ein tolles Team war, mit dem er gearbeitet habe.

Wäre ich Jude Law, würde ich es nicht anders machen. Und vermutlich fährt er privat keinesfalls einen Lexus. Denn was ist Lexus? Lexus ist der durchschaubare Versuch, eine Nobel-Marke am Markt zu etablieren, die etwas günstiger daherkommt als wirkliche Nobel-Marken. Jude Law fährt privat mit Sicherheit die echten Nobelmarken, sofern die Lexus-Verträge ihm das gestatten. Lexus ist Toyota und damit Massenware. Lexus ist für mich wie Opel Omega.

Endlich tut sich etwas hier. Ein älterer Herr gekleidet wie für den Golfplatz betritt das „Café“, wie der Wartebereich hier heißt. Er ist vermutlich Lexus-Fahrer. So einer fährt garantiert keinen Toyota Yaris. Er wird nahezu hofiert. Ist es der Senior-Chef? Zwei Damen kümmern sich um ihn. Gleichzeitig! Mir hat man lediglich auf einen Aufkleber gedeutet. Die eine Dame will ihn hier ins Café setzen. Das gefällt ihm nicht. Aber es wird auch nicht deutlich, was er will. Die andere Dame will ihn in die Werkstatt schicken. Hätte er altersbedingt sicher nötig. Das sind diese Momente, wo ich feststelle, wie jung ich im Grunde bin. Fahre ’nen popeligen Yaris, immerhin Neuwagen, und habe seit Ostern es nicht geschafft, die Radkappen auf die Räder zu ploppen. Habe damit eben Toyota beauftragt:

„Im Kofferraum, da liegen die Dings, die äh, diese, na, wie heißen die, Felgen, nein, äh, achja, Radkappen. Wenn Sie so freundlich wären, die draufzudings, also draufzudengeln, zu ploppen?“

An sich kein Akt, kam nur seit O nicht dazu. Lohnt sich bis zum nächsten O(ktober) im Grunde kaum noch. In Düsseldorf-Oberbilk werden sie ohnehin gerne geklaut; es ist nicht meine erste Garnitur.

Der alte Mann ist wieder da! Er bestellt sich einen Cappuccino und wählt einen Sitzplatz draußen, wohin ich es immer noch nicht geschafft habe, da ich zu schwach bin aufzustehen. Der alte Mann trägt eine Herrenhandtasche. Ich will nicht ausschließen, dass er darin notwendige Medikamente transportiert, aber von diesem Falle abgesehen geschieht mir das hoffentlich nicht, dass ich einmal mit Herrenhandtasche rumlaufe. Was würde ich darin transportieren?! Handy und Brillenputztücher. Mehr fiele mir gerade nicht ein. Wobei, doch. Also wenn ich schon einmal so eine Tasche hätte, dann wären Taschentücher drin. Zwei trage ich immer direkt rechts am Oberschenkel. Eine Tasche erlaubte mir eine ganze Packung. Ich würde wohl auch meine Kontaktlinsen mit mir herumtragen. Und natürlich Pomade für den Bart, Haarwachs für das Haupthaar und Bart-Öl, um Frauen mit Geschmack um den Verstand zu betören. Aber sonst? Handy-Ladegerät. Ja, warum nicht. Wenn ich schon ’ne Tasche habe! Aber darüber hinaus? Wechselklamotten? Feuchttücher? Falls man mir überraschend passiven Oralsex anbietet? Man will ja nicht unhygienisch sein. Großes Aber: Als Mann mit Herrenhandtasche wird einem zurecht kein passiver Oralsex angeboten. Das wäre wirklich lächerlich. Also brauche ich auch keine Feuchttücher für den Penis.

Vielleicht ist er Diabetiker und hat seine Diabetiker-Ausrüstung darin. Das könnte ja durchaus sein. Fragen bringt nichts, denn bislang habe ich nicht ein Wort von ihm verstanden. Ich beobachte ihn gerade durch die großen Fensterscheiben. Er bewegt seine Lippen, ich sehe weit und breit aber weder Handy noch Ohren. Er führt Selbstgespräche. Das ist in Ordnung, das tue ich auch. In diesem Moment.

Ein Mann in Anzug kommt. Er arbeitet hier. Erkenne ich an der Selbstverständlichkeit, mit der er sich hier bewegt. Er greift zu den Weintrauben, die auf der Theke stehen und isst sie, als hätte er nie etwas anderes gegessen. Er guckt grimmig. Oder cool? Auf jeden Fall abgeklärt und gelassen. Ich sehe ihm an, dass er hier etwas zu sagen hat. Und darum weiß. Er we um seinen Status, als er einem Kfz-Mechaniker, der nun vorbeikommt, ein Nummernschild in die Hand drückt. Er tut das, ohne etwas zu sagen, den Handlanger auch nur anzusehen. Es wirkt nicht einmal überheblich. Was nichts daran ändert, dass dieser Mann seine Stellung hier genießt. Er ist umgänglich, solange man ihm nicht komisch kommt. Und er entscheidet, was als „komisch“ gilt, was ihn für Neulinge unberechenbar macht. Ich nehme an, in seiner Gegenwart redet man besser nicht so viel, sondern lässt ihn reden, weil er sich gerne reden hört. Übertriebene Charakter-Analyse? Meist liege ich richtig.

„Ihr Fahrzeug ist auch gleich durch! Und wahrscheinlich klappt es mit der Wäsche!“, sagt mir gerade mein Kundenbetreuer und ich bedaure, ihn „schmierig“ genannt zu haben. Nun finde ich ihn extrem sympathisch. Wenn sich das in diesem Tempo weiterentwickelt, schlafe ich noch mit ihm.

Ich bringe nun meine leere Kaffeetasse an die Theke und bezahle eine Autowäsche mit weit mehr als hundert Euro. Denn ich falle aus 378 Wolken, als ich den Rechnungsbetrag sehe. Habe zufällig 1.000 Schilling in bar dabei, was komplizierte Gründe hat, aber 1.000 Schilling sind auch nur rund 70 Euro. Ich bezahle mit EC-Karte und freue mich über neue Bremsflüssigkeit und neue Luftfilter!

Aus der Autowäsche wurde übrigens nichts. Da hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Dieser schmierige Autoverkäufer.


Morgen muss ich einen Schrieb verfassen, in dem ich Widerspruch einlege gegen etwas. Unangenehme Nummer, die mit Facebook nichts zu tun hat.