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Hoerbar_haare
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Tag 4. So beginnen viele Blog-Artikel. Meist die, die ich nicht lese. Denn auf „Tag x“ folgt meist:

Wieder zwei Kilogramm weniger. Wenn das so weitergeht, starte ich bald einen Magersucht-Blog.

Oder:

Sind gerade in Rutztekostan angekommen. An der Grenze wurde Schornoal erschossen, sein Gepäck durften wir aber noch mitnehmen. Suchen nun die deutsche Botschaft. Hätten wir die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes doch mal ernst genommen … Huldone hat gerade Ernst auf der Rückbank genommen.

Bei mir kennzeichnet „Tag 4“ den vierten Tag meines Körpertransformationsprogrammes, das mir mein persönlicher Trainer Dorian ausgearbeitet hat. Und um es kurz zu machen: Ich schlafe rund acht Stunden pro Nacht und die auch gut. Aber dennoch wache ich bereits als Wrack auf. Denn es gibt nur wenige Körperteile, die nicht um Hilfe rufen.

Es beginnt bei den Beinen. Es ist egal, ob nun die schmerzenden Waden oder die verhärteten Oberschenkel dafür verantwortlich sind, dass ich morgens vor dem Bett kollabiere, da ich so kurz nach dem Wachwerden noch nicht realisiert habe, dass meine Beine mich derzeit nicht tragen können. Ich stehe auf, bleibe für Bruchteile einer Sekunde auch tatsächlich vertikal, bis meine Beine wegsacken und ich hilflos am Boden liege. Und nun würde ich mich ja mit Hilfe meiner Arme wieder in die Aufrechte bringen, aber auch die versagen derzeit ihren Dienst, wofür ich vollstes Verständnis habe.

„Du brauchst einen Rollator“, vernehme ich meine Mitbewohnerin noch im Bett liegend sagen. Ich höre Überheblichkeit in der Stimme des Menschen, den ich am Boden liegend nicht sehen kann.

„Ohne Scheiß, aber du musst mir allen Ernstes hoch helfen.“

„Es ist immer so. Ihr Männer sucht euch Jüngere, damit wir Euch pflegen. Dass das aber jetzt schon losgeht, das habe ich nicht gewusst.“

„Ich bin selber etwas unangenehm überrascht. Aber in zwölf Wochen bin ich ein vollkommen neuer Mensch!“

Habe heute Morgen noch einen Artikel darüber gelesen, wie die japanische Gesellschaft mit ihren Alten umgeht. Nicht gut. Sie werden dort vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Krise als störender Kostenfaktor betrachtet. Macht dieses Beispiel nun Schule bei meiner Mitbewohnerin?! Werde ich ihr zur Last?!

„Werde ich dir zur Last?“

Ich bekomme keine Antwort.

„Hallo?“

Ich ziehe mich am Bett hoch und stelle fest, dass sie gar nicht mehr da ist. Ich muss zwischendurch auf dem Boden eingeschlafen sein.

Nun ist es ja so, dass ein Training der miesen Kombination aus Kraft und Ausdauer natürlichen seinen Tribut fordert. Die Herzfrequenz wird auf Hochtouren gejazzt, bevor dann eine kraftraubende Kraftübung folgt. Derzeit bin ich mindestens einmal pro Tag Hochrisiko-Patient in Sachen Herzinfarkt. Doch darum geht es ja bei Sport: dass man die Grenze stets dezent überschreitet, um sie immer weiter nach oben zu schieben, um einen positiven Trainingseffekt zu erzielen. Bleibt man hingegen unterhalb der Grenze, droht ein negativer Effekt. Der Schmerz gehört also dazu. Die verzweifelten Rufe während der Burpees sind eingepreist. Ein jeder, der während des Trainings nicht weint und kotzt, macht es schlicht falsch.

Nach dem gestrigen Training am Vormittag, das zu Beginn lächerlich einfach wirkte – eine Kombination aus „Hampelmann“, „Burpees“, Liegestützen und so Dingern, bei denen man irgendwie mit den Ellbogen auf dem Boden rumrobbt – brach ich zusammen. Dorian, Urheber dieses Kraft-Programmes:

„Immerhin kannst du dir nun sicher sein, nicht zu wenig getan zu haben.“

Und er hat Recht. Nichts ist schlimmer als das Gefühl, unter dem Potenzial geblieben zu sein, denn dann kann man es auch ganz lassen. Und vor Augen hatte ich den Nachmittag. Den verbrachte ich mit KM im Park. Im Grunde ausschließlich liegend. Denn mehr ging nicht. Alle Fünf Vier von mir gestreckt lag ich unter einer Eiche. Sie, KM, nicht die Eiche, ist zehn Jahre jünger als ich. Ein Jungbrunnen aus meiner Sicht, während ich vermutlich ein alter Mann in ihren Augen bin. Gegen diese Sichtweise vermochte ich gestern nichts auszurichten, denn was da neben ihr herlief, war ein gebrechlicher Typ, der ihr anbot, die Tasche zu tragen, obwohl er wusste, dass ihm allein die Kraft dazu fehlen würde. Ich konnte auch mein Stöhnen nicht verbergen, wenn ich die Liegeposition gewechselt habe, da mich selbst im Podex ein Muskelkater ungeahnten Ausmaßes plagte. Und noch immer plagt. Selbst Sitzen tut weh. So muss sich passiver Analverkehr anfühlen.

Mehrfach im Laufe des Nachmittages nannte sie mich „alter Mann“. Ich schlug vor, das „alt“ zumindest durch „erfahren“ zu ersetzen, aber ich wusste es ja selbst besser, denn als wir gegen Abend aufbrachen, gelang mir das Aufstehen nur in Begleitung massiver Klagelaute. Würde kannte ich nicht mehr. Und das Fatale ist ja, dass die Schmerzen immer dann am stärksten sind, wenn man sich einige Stunden lang nicht bewegt hat. Als entsprechend herausfordernd gestaltete sich so auch das Einsteigen ins Auto. Denn ich habe seit Montag Probleme damit, meinen Körper zu knicken, was aber zum Sitzen im Auto unabdingbar ist. Ein Billy-Regal ist leichter in das Auto zu kriegen als derzeit meine Person.

Heute Morgen gegen neun Uhr etwa schleppte ich mich zu einen Lauf. Es herrscht fantastisches Laufwetter und Ausreden gibt es keine, im Gegenteil: Ich kann Dorian unmöglich um einen sportfreien Tag bitten, denn den gibt es erst am Sonntag. Und es grault mir jetzt schon vor den Burpees, die morgen auf mich warten. Ich denke jetzt schon an die Burpees morgen. Voller Angst. Und das soll jetzt bis Weihnachten so gehen?! Wann ernte ich die ersten Erfolge? Der Lauf war schlicht eine einzige Hölle. Mich haben Frauen überholt! Ein Durchschnittstempo von sechs Minuten 57 spricht Bände, bilden das ganze Debakel in Zahlen ab, die nicht schönzureden sind. Dass meine Ferse entzündet ist, spüre ich zwar noch, doch der Schmerz wird überschattet vom Konterschmerz des Restkörpers.

Letztlich ist es aber ein fantastisches Gefühl, da ich davon ausgehe, dass es wirkt, das Training. Auch, wenn mir permanent nach Schlafen zumute ist. Würde es nicht wehtun, wäre es ein Memmentraining. Dorian sagt:

„Das muss so.“


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