uhr

Hoerbar_haare
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„Wie viel Uhr ist es? Hast du zufällig eine Uhr dabei?“

„Mein Handy, Moment. Zehn vor halb zwei.“

„Watt?!“

„13 Uhr 20.“

„Also zwanzig nach eins?“

„Oder zehn vor halb zwei.“

„Wäre eine Armbanduhr nicht unkomplizierter als Uhrzeitablesevorrichtung?!“

„Ich guck‘ aber lieber aufs Handy.“

„Das du dann jedes Mal aus der Hosentasche ziehen musst!“

„Ja, da ist was dran.“

 

Schweigen.

 

„Wobei – es ist ja so: Das bloße Tippen aufs Handy befriedigt das Sucht-Zentrum im Hirn. Darum gucken wir so oft auf das Handy, obwohl es nichts zu gucken gibt.“

„Stimmt. Ich spiele Handy-Spiele, deren einzige Interaktion darin besteht, zu ‚tappen‘. Man nennt sie ‚Clicker Games‘. Und die erfreuen sich regen Zulaufs.“

„Du solltest mal eine Fernsehsendung zu dem Thema ‚Apps‘ machen.“

 

Schweigen.

 

„Wie viel Uhr?“

„Fünf nach halb zwei.“

„Also 25 vor zwei?“

„Ha. Ha.“

„Du bist nicht konsequent.“

„Du hast mehrere Armbanduhren?“

„Ja. Ich steh‘ auf Uhren. Aber nur auf analoge. Diese Zeiger-Ziffernblatt-Geschichte hat was ungemein Ästhetisches. Ich kann es dir nicht beschreiben. Ich ziehe mir auf ‚Spiegel Wissen‘ immer die Uhren-Dokus rein. Faszinierend, diese filigranen Dinger.“

„Und teuer, oder? Wie viel hat deine teuerste gekostet?“

„Sprechen wir nicht darüber und betrachten wir sie als Geldanlage. Ich neige zum Uhrenkauf immer genau dann, wenn ich im Grunde kein Geld habe.“

„Alle deine Uhren haben ein weißes Ziffernblatt.“

„Gut beobachtet. Ich mag keine dunklen.“

„Bevorzugte Marke?“

„‚Tissot‘. Massenware. Aber gute. Optisch die für mich schönsten. Danach werden sie erst wieder ab 6.000 Euro schöner. Das Geld habe ich nicht. Hätte ich es, würde ich mir auch Uhren für 10.000 und mehr kaufen. Uhren haben für mich eine Aura.“

Warum geht das Armand dieser Uhr nicht auseinander?“

„Es ist ein so genanntes ‚Schmetterlingsarmband‘. Dessen Zweck ist es, eben nicht auseinanderzugehen.“

 

Schweigen.

 

„Wie viel Uhr ist es?“

„Wiviuh?“

„Ja.“

„Viertel vor zwei.“

„Dann dürfte die Waschmaschine nun durch sein. Bei diesen Temperaturen trocknet alles so angenehm schnell. Nur der Mensch nicht. Der ist nasser denn je.“

 

Schweigen.

 

„Wat schmust der Osnik?“

„Was willst du? Wer ist Osnik?“

„Mein osmanischer Freund.“

„Aha.“

„Nein, im Ernst. Eine Uhr aus dem Osmanischen Reich. Zufällig heißt ‚Osnik‘ auch ‚Uhr‘ oder ‚Sonnenstand‘ auf Deutsch.“

„Und das ist dann Türkisch?“

„Nein. Masematte.“

„Ah, hätte ich mir denken können.“

„‚Wat schmust der Osnik?‘ heißt: ‚Wie viel Uhr?‘.“

„Viertel nach zwei. Aber das hättest du auch schneller haben können.“

„Ja, aber so lernt man noch was. Wir stehen bald seit einer Stunde hier und warten.“

 

Schweigen.

 

„Und?“

„Fünf vor halb drei.“

„Der kommt nicht mehr.“

„Bist du sicher, dass es ihn überhaupt gibt?!“

„Alter, ich habe mit ihm gesprochen!“

„Aber ihn auch gesehen?“

„Nicht direkt.“

„Also indirekt?!“

„Ja. Denn ich sprach ja mit … nein, okay. Ich habe ihn nicht gesehen.“

„Das kann uns um die Ohren fliegen, Seppo, das ist dir bewusst?“

„Das kann zunächst einmal nur mir um die Ohren fliegen.“

„Ich hänge mit drin.“

„Muss ja niemand wissen. Ich nehme das auf meine Kappe.“

„Wie verzweifelt kannst du eigentlich gewesen sein?!“

„Ich war nie verzweifelter in meinem Leben. Ich bin selbst unangenehm überrascht!“

„Was wäre, wenn er nicht käme?“

„Dann wäre ich wohl Opfer eines Betruges.“

„Den du nicht zur Anzeige bringen könntest.“

„Weil ich selbst der Betrüger bin.“

„So etwas liest man dann in der Zeitung unter der Rubrik ‚Dümmster Verbrecher der Woche‘.“

„Ja. Aber du weißt ja, wie gerne ich für einen Lacher als Trottel dastehe.“

„Aber dieses Mal wird der Trottel schwer dafür büßen müssen.“

„Wir geben ihm noch etwas Zeit.“

„Wie viel?“

„Bis ich in Tränen ausbreche.“

 

Schweigen.

 

„Ich frage nur ungern …“

„Halb vier.“

„Weißt du, was mir mal in dieser Ära der Algorithmen aufgefallen ist?“

„Nein.“

„Wir werden beobachtet. Man beobachtet, wann wir bevorzugt die Zeit wahrnehmen. Sie erkennen ein Muster darin und zeigen uns nur noch die Zeiten an, die wir bevorzugen. Wie ‚Google‘. Google schlägt jedem Nutzer andere Suchergebnisse vor. Was schlecht ist. Jeder bekommt nur das zu sehen, was er bereits vorher schon einmal bevorzugt hat. ‚Facebook‘ macht es genauso. Das beschränkt auf Dauer den Horizont eines jeden Einzelnen und damit auch den einer Gesellschaft. Wir nehmen das so hin. Aber es gefährdet massiv die Demokratie. Es ist ein schleichender Prozess. Du wirst auf deiner Facebook-Chronik eine Nachrichten-Auswahl finden, die auf dich zugeschnitten ist. Unerwartetes wird nicht mehr auf dich treffen. Das macht dich immun gegen Widersprüche, die du gar nicht mehr erleben wirst. Jeder richtet sich in seinem Kosmos ein und ahnt nicht einmal, dass es viel mehr gibt. So etwas verschärft Konflikte, da wir uns mit der Meinung anderer, mit der, die unserer widerspricht, gar nicht mehr auseinandersetzen. Das gipfelt in der durchschaubaren, aber akzeptierten Lüge. Dass ein Donald Trump gelegentlich einfach lügt, wissen seine Anhänger. Sie wissen, dass er lügt, aber das spielt gar keine Rolle mehr. Es geht nur noch darum, dass da jemand ist, der sagt, was sie hören wollen. Wir sind immer weniger bereit, uns mit der Komplexität differenzierter Tatsachen auseinanderzusetzen.“

„Zwanzig vor vier.“

„Siehst du! Wusste ich. Weil ich fast jeden Tag um zwanzig vor vier auf die Uhr gucke.“


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