tastenmann

Ein jeder hat ja so seine Macken. Nicht wenige pflegen sie gar. Beispielsweise ich. Ich habe vor einiger Cait beschlossen, jene Macken, die ich partout seit 30 Jahren nicht loswerde, einfach zu pflegen. Ich gehe in die Offensive und der Mitmensch weiß somit, woran er ist. Ein Beispiel ist die „4“. Ich bin kein Freund der Ziffer 4. Ich mag die 3, so abgedroschen sie auch sein mag, wofür ich aber nichts kann, und ich schätze auch die 9. 0, 1, 2, 5, 6, 7 und 8 sind mir einigermaßen gleichgültig. Obwohl ich die 8 auch irgendwie gut finde. Meine Lieblingsskatkarte ist die „Karo 8“. Das hat keine besondere Bedeutung, die Karte an sich jedoch schon, was uns einen kleinen Exkurs in kursiv beschert.

Karo 8 steht für Zufall, Karma, Schicksal und Chancen. Sie will einem mitteilen, dass sich enorme Chancen im Leben bieten, die man nur wahrnehmen müsse. Überdies weist sie auf die Zerbrechlichkeit von Liebes-Beziehungen hin, die daher behutsam gepflegt werden müssten. Das klingt, wie das immer so ist in diesem unseriösen Metier, beliebig und ist es auch. Wobei beispielsweise die Kreuz 7 für große Kacke steht. So gesehen ist die Karo 8 vorzuziehen.

Die 2 mag ich auch nicht so sehr. Aber die 4 hat meinen gesamten Hass auf sich gezogen. Nicht etwa, weil mir an einem 4.4. mal etwas Ungünstiges geschehen wäre, nein, einfach nur so. Es ist ein Gefühl, das mit der optischen und akustischen Ästhetik zu tun hat; ein Aberglaube steckt nicht dahinter.

Und nun erfahre ich vor einiger Zeit vom Schriftsteller Reginald Rubis. Auch dieser hat Lieblingsbuchstaben. Er sei großer Freund des „Rs“, was nicht weiter wunder nimmt, aber er hasse das „L“. Und in jenen Zeiten, als er noch erfolgreich war, seine Bücher reißenden Absatz fanden und er mit Geld entsprechend „zugeschissen“ wurde (seine Wortwahl), leistete sich dieser Mann einen so genannten „Tastenmann“.

„Was zur Hölle ist ein Tastenmann?!“, frage ich ihn, den Schöpfer von „Hinter den Brettern“.

„Das ist jemand, der für dich die Tasten auf der Schreibmaschine drückt. Was bei dir wohl der Computer ist.“

„Eine Art Sekretär?“

„Warum nutzt du die maskuline Form?“

„Weil ich seit einiger Zeit ein Problem mit Feministinnen habe. Sie finden ‚Sekretärin‚ sexistisch, möchten aber gleichzeitig, dass man von ‚Mitgliederinnen‚ spricht, obwohl das Mitglied gar nicht maskulin ist. Sie werten dabei automatisch die Arbeit einer Sekretärin als minderwertig ab.“

„Verstehe. Aber ein Tastenmann schreibt nicht die ganzen Texte. Er bedient nur einige wenige Buchstaben. Den Rest tippt man selbst.“

Das verstehe ich nicht und darum lädt mich Reginald ein, ihm dabei zuzusehen, wie er einen Klappentext für sein jüngstes Buch „Der größte anzunehmende GAU – eine Tautologie in drei Akten“ schreibt.

„Reginald, du darfst deine Klappentexte selbst schreiben?!“

„Ist Eigenverlag. Da geht das. Seppo, ich möchte dir Siggi Sauerstoff vorstellen.“

Bei dem Namen werde ich stutzig, denn zu meiner Schulzeit nannten wir unseren Chemie-Lehrer „Siggi Sauerstoff“, weil er irgendwie wie ein verrückter Professor aussah und mit Sauerstoff herumexperimentierte. Naja, und Siegfried hieß. Aber gegenwärtige Recherche bringt auch dieses ans Tageslicht:

Reginald bittet einen Herrn zu uns. Es ist nicht mein Chemielehrer, sondern eine mir völlig unbekannte Person. Es beginnt der zwischenmenschliche Prozess des Kennenlernens.

„Das, Seppo, ist Siggi Sauerstoff. Er redet nicht, denn er nimmt seine Aufgabe sehr ernst.“

„Welche da wäre?“

„Er wird gleich, während ich hier meinen Text tippe, mir den Buchstaben L abnehmen, da ich das L nicht mag und daher auch nicht gerne tippe. Das übernimmt bei mir Siggi Sauerstoff, denn Herr Sauerstoff ist ein Tastenmann.“

„Das ist ein Scherz?!“

Nein, das sei kein Scherz, versichert mir Reginald und ich beobachte sehr genau Sauerstoffs Mimik. Der Mann blickt unfasslich ernst drein. So gucke ich, wenn ich etwas nicht ernst meine und ich registriere dann immer gerne die Verwirrung meines Gegenübers, die nun ich selbst an mir spüre.

„Herr Sauerstoff war so freundlich, heute sein Ausbildungszertifikat mitzubringen. Bitte sehr.“

Reginald reicht es mir und ich lese es wie andere die Visitenkarte der „Drei Fragezeichen“ in jeder verdammten Episode laut vor.

„Siggi Sauerstoff. Ausgebildeter IHK-Tastenmann Münster. Oh, Münster! Sympathisch!“

Lese leise weiter und halte das Dokument für echt, obwohl das so ’ne typische Nummer wäre, die ich mir ausgedacht hätte.

„Nun gut, dann legt mal los.“

Oder sollte ich sagen „Legen Sie mal los“?! Denn wie spricht man zwei Menschen an, von denen man einen siezt, den anderen aber duzt?! Bringt mich immer wieder in Verlegenheit.

Das Schauspiel beginnt: Ich sehe Reginald Rubis, wie er an seinem antiken Schreibtisch sitzt, vor ihm seine alte Schreibmaschine. Ein Autor alter Schule, wie man sich ihn vorstellt, der Laptop und Co. verachtet. Seitlich von ihm, leicht nach hinten versetzt, steht jener Siggi Sauerstoff, ausgebildeter Tastenmann, der alle paar Sekunden sich beeindruckend zügig nach vorne beugt, den Zeigefinger ausgestreckt und offenbar auf das L zielend dieses auch drückt. Und die beiden scheinen eingespielt zu sein.

Ich beschließe, sie nicht zu stören und schreibe derweil an meiner Software weiter, die es ermöglicht, eine mechanische Schreibmaschine mit einem Desktop-Rechner zu verbinden, „Team Viewer Plus“ nenne ich das Programm. Nach etwa zwei Programmcodezeilen sehen die beiden von der Schreibmaschine auf und erwarten offenbar etwas von mir. Eine Art Reaktion. Ich entscheide mich für ein staunendes Gesicht.

„Ihr seht mich staunen. Wie bekommt ihr das hin, dass ihr, also ich meine, woher weiß denn ein Tastenmann, wann er das L drücken muss. Und gibt es für jeden Buchstaben einen speziellen Tastenmann oder kann ein Tastenmann auch mehrere Buchstaben bedienen?“

Das seien ja viele Fragen auf einmal, antwortet mir Reginald und ich weise ihn darauf hin, dass es lediglich derer zwei seien.

Reginald: „Herr Sauerstoff ist auf das L spezialisiert, macht aber derzeit eine Fortbildung, da ein weiterer Kunde Probleme mit dem B hat. Nur wenige Tastenmänner schaffen mehr als zwei Buchstaben, Herr Sauerstoff gehört also bald zur Tastenmann-Elite. Das darf ich wohl so sagen, nicht wahr, Herr Sauerstoff?“

Herr Sauerstoff nickt verschämt. Er will den Tag offenbar nicht vor dem Abend loben.

„Und er weiß, wann er das L drücken muss?“

„Exakt. Er sieht ja meine Finger. Er liest im Grunde mit, was ich gerade tippe, sodass er das nahende L ja bereits erahnt und sein messerscharfes Hirn erkennt, wenn meine Finger ins Zögern geraten, wenn das L naht. In dem Moment …“

„… schießt er nach vorn. Verstehe. Hmmm …“

Ich beginne zu überlegen, ob mir nicht auch ein Tastenmann sehr gut anstünde. Für die 4. Ich müsste die 4 dann nicht mehr meiden, nur weil ich sie nicht gerne tippe.

„Ob Herr Sauerstoff auch eine Fortbildung für die 4 machen kann?“

Stille.

Dann schallendes Lachen. Reginald und Herr Sauerstoff können sich kaum halten.

„Die 4?! Eine Ziffer?! Du blöder Narr, Seppo!“


Hoerbar_haare
Rund einhundert weitere Geschichten zum Hören bei Soundcloud und iTunes!


seppo_medien_klein_haare