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2014 war es Mallorca, vergangenes Jahr war es Malta und in diesem Herbst wird Rutztekostan das Urlaubsziel meiner Mitbewohnerin und mir sein, in wenigen Tagen fliegen wir los.

Leser des seppologs, die bereits im zurückliegenden, von der Geschichte absorbierten Jahr meine Aufzeichnungen zum Urlaub verfolgt haben, wissen, dass ich ellenlange Packlisten anfertige, wie gerne ich fliege, wie gerne ich wieder aus dem Urlaub zurückkomme und vor allem eines: wie sehr meine Mitbewohnerin den Urlaubsseppo ™ liebt, sodass dieser sich fragt, wie groß ihre Liebe zum Alltagsseppo eigentlich sein kann, wenn sie dem spärlichen zwei Wochen Jahresurlaub derart entgegenfiebert und mir immer wieder sagt:

„Ach, ich mag diesen Urlaubsseppo ™!“

Sind wir nicht alle im Urlaub ein anderer Mensch? Befreit von den Sorgen des Alltages, die am heimischen Flughafen allerdings geduldig auf unsere Rückkehr warten? Befreit auch von der Monotonie des Daseins? Befreit von der medialen Hysterie, die seit Monaten immer nur dieselben Themen penetriert, als würde es nicht genügen, dass wir gesellschaftlich gezwungen werden, immer nur denselben Partner zu penetrieren?

„Den Satz streichst du!“, sagt mir gerade erbost meine Mitbewohnerin.

„Aber ist doch lustig!“

„Ich gebe dir gleich lustig!“

Befreit also von all diesen Sorgen werde auch ich ein völlig anderer Mensch sein. Zwei Wochen im Jahr schreibt mir meine Mitbewohnerin mir sonst so fremde Attribute wie „spontan“ oder „gelassen“ zu, Merkmale, die ich gewöhnlich eher argwöhnisch auf Abstand halte. Der propagierten Notwendigkeit von Spontaneität und Coolness begegne ich mit ungeahnter Verve antagonistisch, ich zelebriere dies nahezu, sodass es ja fast Selbstzweck geworden ist.

Aber im Urlaub. Da bin ich Mensch gewordene Laissez-faire und ganz ernsthaft registriere ich in jedem Urlaub eine deutlich positivere Wirkung meinerseits auf Frauen. Sie fliegen mir geradezu zu. Ich im Urlaub: ein anderer Mensch – Urlaubsseppo ™ eben, den meine Mitbewohnerin etwa neun Jahre lang nicht gekannt hatte, da wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub tatsächlich erst nach neun Jahren verbracht hatten.

Die Dokumentation unseres Urlaubes wird in weiten Teilen auch in diesem Jahr wieder hier stattfinden. Doch einiges wird anders sein, was die Art unseres Urlaubes bedingt. In diesem Jahr meiden wir Touristen-Hochburgen, ich ich übrigens mitnichten per se ablehne, nur um irgendwie möglichst avantgardistisch zu sein, was ich lächerlich finde, denn jede Avantgarde verkörpert die von ihr eigentlich abgelehnte Spießigkeit erst Recht. Vielmehr begeben wir uns auf eine Art Abenteuerurlaub.

In den vergangenen Monaten habe ich mich mit der lupenreinen Demokratie Nordkoreas auseinandergesetzt. Dieses Land einmal zu besuchen, ist ein Traum von mir, wobei ich nicht weiß, wie ich das mit meiner mir eigenen Moral vereinbaren könnte. Doch mich fasziniert dieser kranke Kosmos, der partout nicht weggebombt wird. Wegen dieser unseligen Schutzmacht … Wie dem auch sei, ich habe schlicht zuviel Angst, dieses Land zu besuchen. Außerdem geriete man leicht in Atombombentests.

Usbekistan war eine Option, zumal der Präsident gestorben ist, das Land möglicherweise vor einem Wandel steht. Die Hauptstadt Taschkent gilt als schönste Plattenbaustadt der Welt. Dieser Umstand hat jedoch meine Mitbewohnerin abgeschreckt, ein bisschen was fürs Auge solle schon dem Urlaubsziel der Wahl inne sein.

Ich habe so ein Länderlexikon. Ich bin Fan dieser großen, dicken Sachbücher. Deutete ja mal vor einiger Zeit an, dass mein Ikea-Regal unter der Last meiner Bücher zusammengebrochen ist. Im Länderlexikon stieß ich auf Rutztekostan.

Rutztekostan hat eine Gemeinsamkeit mit Kirgisien: Es hat mehrere Namen. Kirgisien heißt auch Kirgistan und Kirgisistan. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist so und hat vermutlich auch Gründe. Grenzt übrigens an Usbekistan. Rutztekostan, ebenfalls im asiatischen Raum liegend, ist eine lupenreine Diktatur. Oder Autokratie. Auf jeden Fall etwas, wo die Menschen nicht gerne leben, da sie unterdrückt werden, während eine Propaganda erstaunlichen Ausmaßes ihnen vormacht, die USA seien an allem Schuld. Das Muster ist bekannt und selbst Putin arbeitet ja auf diese bewährte Weise. Putin wird vom Volk geliebt und hier versteht kaum einer, warum. Wobei, doch, die AfD, die steht ja auch auf Putin. Sagt das nicht schon alles über diese Partei, die sagt, wir lebten hier in einer Diktatur, obwohl ihr Emporkommen doch gerade die funktionierende Demokratie beweist?!

Mich reizt diese uns so diametrale Welt, in der Rutztekostan sich bewegt. Da sind die vergoldeten Statuen des Herrschers Fujita Liem im öffentlichen Raum, die seltsam anmuten und die öffentlich sichtbare Armut konterkarieren, doch der Deutsche vergisst dabei gerne seine unzähligen Bismarck-Statuen, die auch in meiner Wahlheimat Düsseldorf stehen, obwohl man natürlich Fujita Liem und Bismarck nicht zusammen in einen Topf werfen sollte. Aber ich meine ja nur, Götzenbilder haben wir uns auch gemacht.

Mich reizen diese totalitären Regime. Die ihrem Volk etwas vormachen, sich selbst auch und vor allem dem Rest der Welt. Und immer wieder frage ich mich: Glaubt ein Fujita Liem, dass der so genannte Westen ihm das alles abnimmt?! Er muss doch wissen, dass wir wissen, dass er einen riesigen Propaganda-Apparat betreibt?! Oder muss er gegenteiligen Eindruck haben angesichts der Wirtschaftsbeziehungen, die Deutschland zu Rutztekostan seit Ende des Zweiten Weltkrieges pflegt? Nachdem das Hitler-Regime Rutztekostan nahezu komplett von der Landkarte getilgt hatte? An erster Stelle stehen natürlich die Waffenlieferungen, die ich anzuprangern müde bin. Zumal sie verknüpft sind mit Weizen-Ausfuhren, von denen das geknechtete rutztekische Volk ja hoffentlich profitiert.

Einen Rutztekostan-Urlaub plant man nicht mal eben so über eine „Unister“-Webseite, was ich nun ohnehin nicht mehr tun würde. Ein solches Vorhaben beansprucht eine enorme Planungszeit, da die Rutzteken jedem Touristen dezent misstrauisch empfangen, aber immerhin die Höflichkeit besitzen, ihm einen eigenen Reiseführer zur Seite zu stellen. Der kostet Geld. 10.000 Rutzen pro Tag, um genau zu sein. Was etwa 18 Eurocent sind, also ein Witz, für rutztekische Verhältnisse jedoch ein Wochenlohn, wenn mein Länderlexikon nicht lügt, wovon auszugehen ich aber cainen Grund habe.

Wir fliegen, auch eine meiner Urlaubsbedingungen, vom Flughafen Düsseldorf aus. Nach etwa 17 Stunden landet man in der rutztekischen Hauptstadt Rutzé. Woanders kann man gar nicht landen, da das Land nur über diesen einen kommerziellen Flughafen verfügt, obwohl die rutztekische Regierung immer wieder behauptet, das Land sei übersät von Flughäfen. Auch das: Propaganda für das eigene Volk, widerlegt von Spionage-Satelliten, die partout keine weiteren Flughäfen ausfindig machen können. Bis auf den einen im Süden des Landes, der, so vermuten US-Militärstrategen, aus Pappmaché besteht, also reine Show für den Westen ist. Das kann aber auch alles US-Propaganda sein. Vielleicht werde ich mir bald mein eigenes Bild davon machen können … wenn da nicht dieser Reiseführer wäre, der uns in Rutzé empfangen wird. Mit einem Schild, auf dem

„#455“

stehen wird, wie man uns bereits schriftlich mitgeteilt hat. Wir haben keine Ahnung, was es mit #455 auf sich hat. Werden Touristen durchnummeriert? Möglich. Wir sind also #455. Obwohl wir zwei Personen sind. Nachts kommen mir derzeit immer wieder Gedanken, wie „Hoffentlich haben sie kapiert, dass wir zu zweit kommen“ oder „Hoffentlich erschießen sie uns nicht“ oder „Hoffentlich kommen wir nicht in den Knast dort“ oder „Wie viel nackte Schulter darf meine Mitbewohnerin zeigen“ oder „Darf ich nackte Schulter zeigen?“.

Urlaubsseppo ™ 2016 wird weniger entspannt sein als die Ausgaben der vergangenen zwei Jahre, denn dieses Mal wird es ein Abenteuerurlaub, vielleicht auch so etwas wie eine Bildungsreise. Und wenn alles gut läuft, befreie ich kurz vor Rückflug das rutztekische Volk, was aber vielleicht ein bisschen zuviel vom Touristen #455 verlangt wäre.


Vielleicht noch diese Anmerkung: Natürlich ist mir bewusst, dass ich als reicher Deutscher nun in ein völlig geknebeltes Land reisen werde. Was ich hier locker beschreibe, hat natürlich einen ernsten Hintergrund, über den ich mich keineswegs lustig machen will. Rutztekostan ist ein verarmtes Land, regiert von einem korrumpierten Staatsapparat, dem ein seit Jahrzehnten herrschender Clan voransteht, der allerdings mit unseren „Führern“ fröhlich seine Geschäfte machen kann.


Hoerbar_haare
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