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Ich packe wieder. Koffer. Beziehungsweise meine Reisetasche, die ich jedes Jahr aufs Neue verfluche, weil sie kaputt ist. Jedes Jahr nach einem Urlaub nehme ich mir vor, jene Tasche, über die sich schon im Fernsehen lustiggemacht worden ist, durch eine neue zu ersetzen. Sie war, wie so vieles bei mir, eine Abo-Prämie. Und ist es noch. In diesem Jahr wird sie mich nach Rutztekostan begleiten, in ein etwas anderes Urlaubsziel.

Im Grunde bin ich gerne im Urlaub, nur bewege ich mich ungern dort hin. Ich hasse Anreisen, was meinem Misstrauen gegenüber allem geschuldet ist: gegenüber dem Reiseportal, über das wir jedes Jahr viel zu spät buchen, gegenüber dem Reiseveranstalter, der mit Sicherheit irgendwo etwas vergessen oder doppelt gebucht hat, gegenüber der Fluglinie, ja überhaupt gegenüber der Technologie des Fliegens, die ich angesichts der gelegentlichen Abstürze von Flugzeugen für nicht ausgereift halte. Und ja, ich weiß ja, Autofahren ist gefährlicher. Allein, ich falle nicht gerne vom Himmel. Und natürlich, ich kann mich gleich am Apfel verschlucken und daran ersticken. Soll ich deshalb das Essen einstellen?! Nebenbei, ich esse keine Äpfel …

Der diesjährige Reiseveranstalter ist absolut vertrauenswürdig. Denn es ist die rutztekische Regierung selbst, die diese Reise maßgeblich für meine Mitbewohnerin und mich geplant hat. Wie auch im vergangenen Jahr will ich die Reise hier im seppolog dokumentieren. Was jedoch dieses Mal nicht ganz so einfach wird angesichts der vielen Unwägbarkeiten, gegen die das verfügbare W-Lan im vergangenen Jahr

Wir erinnern uns: 2.000 Freiminuten innerhalb von 1.500 Minuten zu verbrauchen!

ein Witz ist:

Zunächst einmal weiß ich überhaupt nicht, inwiefern ich Zugang zum Netz haben werde. Das Internet in Rutztekostan ist in seiner Bandbreite sehr beschränkt. Übrigens ist es eine deutsche Firma, die die Infrastruktur dort auf Vordermann bringen soll. Das bringt uns zu einem weiteren Problem, nachdem ich noch erwähne, dass das Netz dort einer massiven Zensur unterliegt: Ich darf beispielsweise nicht einmal erwähnen, welches deutsche Unternehmen die Leitungen in Rutztekostan pimpt, was mit dem Wirtschaftsembargo zu tun hat und mit einem weiteren Aspekt, der die Dokumentation hier schwierig macht. Meine Reise wird finanziert von einer SPD-nahen Stiftung, die aber eben nicht die Friedrich-Ebert-Stiftung ist, aber auf keinen Fall im Zusammenhang mit Rutztekostan Erwähnung finden will.

Ich werde also von zwei bis drei Seiten zensiert. Damit ist dieses Unterfangen journalistisch wertlos. Es sei denn, ich weise gegebenenfalls darauf hin, wenn ich etwas nicht schreiben darf. Damit bin ich wieder auf der sauberen Seite, obwohl ich hier keinen journalistischen Anspruch hege.

Rutztekostan ist ein stark autoritär geführter Staat, der von der EU nur deshalb als souverän anerkannt wird, weil die EU andernfalls Russland einen Gefallen täte, was sie offenbar in diesem Zusammenhang nicht will. Somit brauche ich einen Reisepass, ein Visum und diesen ganzen Kram, den ich als verwöhnter EU-Reisender hasse, und warum ich überhaupt ein Visum brauche, ist mir auch nicht klar, aber ich tue, was die rutztekostanische Tourismus-Agentur (was ein Witz ist, da dort kaum Tourismus stattfindet) mir sagt. Mir wurde sehr deutlich gemacht, dass das eine absolute Bedingung für diese Reise ist, über die ich nicht berichten darf. In dem Punkt werde ich die Vereinbarung brechen.

Vor einem Jahr machte ich mir Gedanken über Steckdosen-Adapter, als es gen Malta ging. Das kann ich mir dieses Jahr schenken, da ich keinerlei elektronische Geräte mit ins Land bringen darf. Auch das ist ein Problem, das es noch zu lösen gilt (Darüber hinaus ist der Strom dort rationiert, man sagte uns, es gebe gegen Abend immer rund zwei Stunden lang Strom; aus deutschen Quellen wissen wird, dass wir als westliche Touristen aus Propagandagründen vermutlich privilegiert sein werden.). Meine Mitbewohnerin und ich haben einige Ideen, über die ich mich hier ausschweigen werde und ich bin sicher, diese Ideen bringen mich in ein rutztekostanisches Gefängnis. Das übrigens ist ganz allgemein meine größte Sorge bei dieser Reise.

Und da das gar nicht so unwahrscheinlich ist und ich ja jedes Risiko scheue, stehe ich in Verbindung mit einer deutschen Behörde, die mich von hier aus „begleitet“. Soviel darf ich verraten.

Erst bei Abflug wird man uns hingegen verraten, welche Fluglinie uns eigentlich 17 Stunden lang fliegen wird. Auch das weiß ich nicht. Es gibt eine rudimentäre staatliche rutztekische Linie und ich habe größte Sorge, dass wir mit denen fliegen, halte es aber für unwahrscheinlich, dass die von Düsseldorf aus starten.

Ich habe mir mal geschworen, nie länger als drei Stunden zu fliegen. Nun werden es also deutlich mehr sein und ich sehe dem mit so etwas wie großer Sorge entgegen. Schon vor einem Jahr verlieh ich hier meiner Flugangst, die eher eine Angst vor dem Absturz ist, Ausdruck. Ich werde das auch in diesem Jahr tun, nur wird das der Umstände wegen etwas schwierig.

Manch einer wird die Reportagen von nach Nordkorea gereisten Journalisten kennen. Sie sind absolut sehenswert und irgendwie fühle ich mich jetzt schon wie einer von ihnen. Konfrontiert mit einem Propaganda-Apparat, zu dem hierzulande wohl nur eine AfD fähig wäre, der aber gnadenlos leicht zu durchschauen ist – zumindest für uns, nicht aber für das unterdrückte Volk. Ich werde mir da vielleicht bald ein Urteil drüber erlauben können. Denn genau darum geht es mir im Kern: Unter welchem Druck steht wohl unser „Reisebegleiter“, der keinen Schritt von uns weichen wird, was die Nächte spannend machen könnte? Was wird man uns zeigen, was dürfen wir selbst entscheiden? Wollen sie uns allen Ernstes weismachen, dass Rutztekostan ein freies, wohlhabendes Land ist?! Glauben sie, dass wir zurückkehren und jedem erzählen, wie toll und erstrebenswert die staatlich obstruierte Lebensweise der Rutzteken sei?! Mein Eindruck nach einem viermonatigen Brief- und E-Mail-Wechsel ist: Sie glauben das tatsächlich!

Seit einer Woche etwa bestücke ich meine Packliste, während meine Mitbewohnerin immer erst am Vorabend des Abfluges packt. Es gibt kaum etwas, das mehr verdeutlicht, wie unterschiedlich wir sind, was aber diese Beziehung wohl aus- und möglich -macht. Meine größte Sorge ist an sich das Vergessen meiner Sehhilfen. Ich träume davon, wie ich dort auf dem Flugfeld stehe und feststelle, nichts sehen zu können. Ich müsste umgehend zurückfliegen, um meine Brille zu holen.

Der Sommer hier neigt sich mit dem heutigen Tage dem Ende entgegen. Genoss gerade meinen letzten Lauf durch diese fantastische Hitze durch den hiesigen Volksgarten mit seinem kleinen Wasserfall, unter dem ich immer meinen Körper befeuchte, um nicht einem Herzinfarkt anheimzufallen, was ich beim Laufen bei mehr als 30 Grad gar nicht mal so abwegig finde. In Rutztekostan sind es derzeit 38 Grad. Schwüle 38 Grad, was für mich eigentlich ein Ausschlusskriterium für einen Urlaubsort ist, da ich schon bei schwülen 18 Grad schwer leide. Irgendwie kann mein Körper das nicht. Er wird sich nun daran gewöhnen müssen, während meine Mitbewohnerin cain Problem mit einem solchen Wetter hat. Sie war in diesem Jahr bereits auf den Philippinen, die politisch nicht so stabil sind wie Rutztekostan, wo Fujita Liem mit eiserner Hand herrscht. Man darf ihn sich vorstellen wie einen Despoten, der den Westen vernichten will, aber vermutlich sich bei westlicher Pornografie einen runterholt. Obwohl, er braucht keine Pornos, er hat unzählige Frauen und ist mit mehreren Kindern verheiratet. Dadurch wird eine Aufnahme in die EU zumindest erschwert, aber die strebt er mit seinem Großrutztekischen Reich vermutlich auch nicht an, nimmt aber die humanitäre Hilfe gerne entgegen und verteilt sie innerhalb seines Clans.

Wer nun glaubt, er könne in der Abwesenheit meiner Mitbewohnerin und mir hier einbrechen, der liegt zwar richtig, er wird jedoch nicht auf eine unbewohnte Wohnung treffen. Wie im vergangenen Jahr wird hier jemand leben, um auf den Hund aufzupassen, was albern ist, da dieser seit mehreren Jahren schon tot ist. Er liegt im Schlafzimmer. Wir hängen dran.

Du hängst dran!“, sagt dann immer erbost meine Mitbewohnerin.

„Was mein ist, ist auch dein!“, erwidere ich dann stets, nehme aber den großen Smart-Fernseher davon aus, da ich den alleine bezahlt habe.

„Niemand braucht einen Smart-Fernseher!“, würde sie nun einwerfen und ich schmettere ihr entgegen:

„Aber so können wir ‚Narcos‘ gucken!“

„Die Serie hast du ja ohne mich geguckt!“, würde sie dann nicht ganz zu Unrecht kontern.

Das übrigens ist mein größtes Problem. Ich habe es nicht geschafft, die zweite Staffel vor dem Urlaub zuende zu gucken. Aber wir wissen ja, wie sie endet, die Geschichte hat bereits gespoilert. Pablo Escobar ist tot. Aber was macht Netflix dann in den weiteren zwei Staffeln, die bereits bestellt sind?! Ich find’s immer toll, wie Netflix und Co. Serien bestellen. Wenn ich eine Serie über mich bestelle, wer wird sie dann liefern?!


Hoerbar_haare
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Wenn alles glatt läuft, versorge ich meine Follower auch auf meiner Facebook-Seite mit Adhoc-Informationen zu meinem Urlaub.