waldmeister

Bis vor Kurzem habe ich geglaubt, Waldmeister sei so etwas wie ein ausschließlich in künstlicher Form verfügbares Aroma. Das ist in etwa derselbe Effekt wie der bei solchen Kindern, die glauben, Kühe seien lila. Wegen „Milka“. Ich denke nicht, dass es Kinder gibt, die das wirklich glauben. Vermutlich wurde in einem Versuchslabor für Marketingzwecke Kindern – denn Kinderversuche sind allen Unkenrufen zum Trotze noch erlaubt, vom Gesetzgeber sogar ausdrücklich erwünscht -, die nur für Versuchszwecke geboren wurden, Milka-Werbefilme gezeigt, wonach sie gefragt wurden, welche Farbe das Fell von Kühen habe. Da würde ich auch „lila“ sagen oder vermutlich eher „violett“, was dasselbe sein müsste.

„Nein, Lila ist mehr ein helles Violett. So ein mittleres Purpur“, klärt mich meine Mitbewohnerin auf, die sich berufsbedingt mit Farbnuancen auskennt. Vielleicht ist sie sogar Farbnazi. Alle Frauen sind das im Grunde, denn ich würde auch sagen, die Milka-Kuh ist magenta, womit die Komplementärkuh ein grünes Fell hätte.

„Magenta liegt aber eher zwischen zwischen Violett und Rot. Die Kuh kann unmöglich violett und magenta sein“, klärt sie weiter auf.

„Telekom ist magenta!“, weiß ich zu berichten und immerhin versucht die Telekom mitunter erfolgreich, diese Farbe für ihren Unternehmensauftritt markenrechtlich schützen zu lassen. Die Milka-Kuh darf also gar nicht magenta sein, sie bekäme dann eine Abmahnung des beliebten Telekommunikationsunternehmens zugestellt, das mit einem tollen Kundenservice zu überzeugen weiß. Somit ist sie lila, die Kuh, und Lila ist nicht Magenta und eigentlich spielt es auch gar keine Rolle, denn vermutlich hat Milka-Schokolade so wenig mit Kuhmilch zu tun wie mein neuer Waldmeistertee mit Waldmeister.

Zumindest letzteres stimmt, den ersten Teil würde ich wegen der Anwälte von Mondelēz International nie behaupten. Milka ist super naturbelassen, im Grunde pure Schoki frisch vom Baum.

Waldmeister kennt so ziemlich jeder vom Wackelpudding. Den Begriff „Götterspeise“ lehne ich ab, noch fremder ist mir „Wackelpeter“. Das „Peter“ wurde früher an alles gehängt, über das man sich lustig machen wollte, daher dieser Begriff. Dass man auch von „Froschsülze“ spricht, wenn der Wackelpudding grün ist, wusste ich im Übrigen nicht. Froschsülze klingt nach Froschkotze, die nur grün sein kann, sofern ein Frosch überhaupt kotzt. Ob beim Quaken eines Frosches manchmal Land mitkommt?

Dann war da noch die „Ahoj“-Brause, die es ja immer noch gibt, nachdem der Eigentümer gewechselt hat. Vor Kurzem brachte mir meine Mitbewohnerin mehrere dieser Päckchen von einer Achtzigerparty mit, Geschmacksrichtung „Waldmeister“ natürlich. Aufgeregt wie ein Kind stürzte ich mich in den Auflöseprozess des Pulvers in Wasser, was meine Mitbewohnerin kommentierte mit:

„Ich kenne das nur mit Wodka.“

Ich hingegen sehnte mich zurück in meine Kindheit, um dann festzustellen – und die Anwälte von „Katjes“ mögen mir das als bloße Meinungsäußerung durchgehen lassen -, dass das Ergebnis einfach nur fad schmeckte. Wie so vieles hat sich wohl auch der Geschmack der Ahoj-Brause im Laufe der Jahrzehnte verklärt. Vielleicht wäre doch Wodka die bessere Basis der Wahl gewesen.

So oder so war mir Waldmeister nur bekannt als irgendetwas Künstliches. Und dann kam jener Tag, an dem meine Mitbewohnerin Waldmeistertee in die Bundesseppoblik Deutschland einführte, einen Kräutertee.

„Es gibt ein Waldmeistergewächs?!“, ich bass erstaunt.

„Ja, natürlich!“, sie nüchtern.

„Das wächst an einem Baum?“

„Naja, Baum? Es ist ein Kraut.“

„Und man kann Tee daraus machen?! Warum wurde ich nicht schon früher darüber informiert?!“

Da muss man erst 34 oder 35 Jahre alt werden, damit einen diese Sensationsmeldung erreicht. Was gibt es noch da draußen, von dem ich nichts weiß?! Ich werde alle Bücher Alexander von Humboldts lesen müssen, dem ja in diesen Dingen nichts entgangen ist.

Weil ich ein sehr vergesslicher Mensch bin, der sich unwichtige Dinge wie Daten sehr gut merken kann, bei wichtigen Dingen aber Aussetzer hat, vergaß ich, den Tee letztlich auch zu probieren. Erst gestern [dieser Artikel entsteht im Juli 2016 und dient meiner Urlaubsüberbrückung im September] stieß ich nach Wochen wieder auf jenen Waldmeistertee und war bass erstaunt.

„Es gibt Waldmeistertee?!“, wollte ich umgehend von meiner Mitbewohnerin wissen. „Warum hat man mich nicht darüber informiert?!“

Sie verständnislos: „Ach, Seppo. Das hatten wir doch schon. Ja, den gibt es. Den haben wir seit Wochen!“

„Wächst der an Bäumen?!“

„Es ist ein Kraut. Ich koche einen.“

„Unbedingt! Das könnte ja ein enormes Geschmackserlebnis werden! Tee, der nach Waldmeister schmeckt!“

Nun gehe ich ja bei Lebensmitteln grundsätzlich davon aus, dass der Verbraucher getäuscht und betrogen wird. Ich sehe diesen Umstand allerdings sehr nüchtern, ich rege mich nicht darüber auf, denn letztlich ist alles auf den Verpackungen deklariert, zugegebenermaßen aber oft verklausuliert. Etwas darf beispielsweise als frei von Glutamat gelten, auch wenn andere Inhaltsstoffe, die Glutamat enthalten, im Produkt verarbeitet sind. Das ist schlicht Betrug, der politisch allerdings durchgewinkt wurde. Doch über eines gibt die Zutatenliste des Teebeutel-Tees auf jeden Fall Aufschluss, darüber nämlich, ob der Waldmeistertee überhaupt jemals mit Waldmeister in Berührung gekommen ist.

Natürlich nicht. Es ist lediglich ein Kräutertee, der mit Waldmeisteraroma versehen ist. Er ist im Grunde Ahoj-Brause, die man mit nahezu kochendem Wasser trinkt.

„Und, wie schmeckt er?“, will meine Mitbewohnerin wissen.

„Du kannst ihn schon trinken?! Viel zu heiß noch!“

Das ist eine seltsame Sache. Wenn wir gekocht haben, kann sie bereits Minuten vor mir anfangen zu essen, während ich mir noch Zunge und Gaumen verbrenne. Sie ist eindeutig hitzebeständiger als ich. Meine Mitbewohnerin ist eine Mensch gewordene Teflonpfanne.

Kleiner Exkurs: Mitunter löst sich das Teflon von der Pfanne. Man isst Teflon mit. Hört sich ungesund an, ist aber tatsächlich völlig unschädlich. Wir scheiden es wieder aus. Giftig hingegen wird Teflon im gasförmigen Aggregatzustand. Allerdings weiß ich gerade nicht, ob es zu Teflon-Ausdünstungen kommen kann, wenn man die Pfanne beispielsweise überhitzt, was ich regelmäßig tue, da ich am Herd wie überhaupt an allen Geräten nur „an“ und „aus“ kenne. Mein Toaster steht entweder auf Stufe eins für „aus“ oder Stufe sechs für „an“. Ich toaste aber selten, da mir Toast grundsätzlich schwarz wird.

 

„Du musst dann halt pusten!“, rät sie mir.

„Ich puste mein Essen nicht an.“

Also warte ich. So auch beim Tee, bis er die von mir verkraftbare Zimmertemperatur erreicht hat.

„Sensationell! Er schmeckt nach Waldmeister!“, rezensiere ich, als meine Mitbewohnerin schon lange ihren Tee zur Toilette getragen hat.

Ich trank gestern dem Wetter zum Trotz drei Kannen Waldmeistertees, da meine Begeisterung keine Grenzen kennt. An sich trinke ich ja eher in der kalten Jahreszeit Tees, doch für Waldmeistertee mache ich angesichts der derzeitigen Hitzewelle gerne eine Ausnahme. Er schmeckt auch kalt ganz hervorragend.


Hoerbar_haare
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