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In anderen Beziehungen würde es möglicherweise bis hin zu großer Vermutlichkeit zu stürmischem Unmut führen, schliefe der Mann mit beispielsweise seiner Frisörin. In der Beziehung mit meiner Mitbewohnerin verhält sich das – wie so vieles – anders. Es stört sie nicht. Dieses Konzept nennt man, glaube ich, „offene Beziehung“.

Natürlich, Sie werden es als aufmerksamer Leser wissen, verfügt meine Mitbewohnerin aus mir unerfindlichen Gründen über die Fähigkeit, Haare zu frisieren, ohne dass sie jemals darin ausgebildet worden ist. Eine Dauerwelle würde sie sicherlich nicht vermögen, aber für meine paar Haare ist ihr Talent mehr als ausreichend, was mir eine tatsächliche Frisörin einmal bestätigt hat.

Von 1998 bis 2015 trug ich mein Haupthaar sehr kurz. Unvergessen, wie meine Mutter damals an jenem 17. April 1998 fast in Ohnmacht gefallen ist, weil ich mit einer ungewohnten Haarlänge von 1,2 Zentimetern vom Frisör nach Hause kam. Das war damals in unserer Familie revolutionär und zunehmend rebellisch kürzte ich im Laufe der Zeit weiter bis auf drei Millimeter und kam damit meiner Kopfhaut immer näher.

Der damalige Frisörbesuch war mein bis heute letzter. Denn einen Haarschneider über den Kopf zu führen, das können nicht nur Neonazis, das kann ich auch. Man kann nicht viel dabei falsch machen, ein Verschneiden ist unmöglich. Vielleicht ist der kahle Kopf genau deshalb eine beliebte Frisur bei rechten Arschwichsern – selbst ein Schimpanse bekäme das wohl hin.

Ich weiß nicht, ob ich ein Misanthrop bin, manch einer würde mir das vorschnell unterstellen, weil er nicht realisiert, dass ich gezielt ihm aus dem Weg gehe, und wenn wir den Begriff mit „Menschenhasser“ übersetzen, dann bin ich sicherlich keiner. Ihre unbedingte Nähe suche ich hingegen allerdings auch nicht. Vieler Menschen Nähe meide ich sogar, was mitunter viel Energie kostet. Frisöre beispielsweise lehne ich ab. Nicht in ihrer Persönlichkeit, denn ich kenne ja nicht jeden von ihnen. Würde ich noch eines Barbiers Service in Anspruch nehmen, ich würde von vornherein deutlich machen, dass es zwischen ihm und mir bei einer Geschäftsbeziehung, ein Gespräch während seiner Arbeit an meinem Kopf jedoch ausgeschlossen bliebe. Denn nichts lehne ich mehr ab als small talk. Das Reden um des Redens willen empfinde ich als absolut komisch. Als aberwitzig. Ich kann mich selbst nicht ernstnehmen, sobald ich anfange, über etwas zu reden, nur weil das Gespräch in dem Moment eine soziale Funktion hat, aber keinen Inhalt. Beide Gesprächspartner wissen in dem Moment ja ganz genau, dass sie sich gerade auf einer Metaebene befinden. Und dennoch tun beide so, als würden sie sich gerade ausgesprochen ertragreich unterhalten. Das ist doch grotesk! Als Beobachter des Alltages ist das für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Ich neige dann eher dazu, direkt über die Situation zu sprechen oder dem Gegenüber anzubieten:

„Ich habe an sich nichts gegen peinliche Stille. Wir müssen nicht auf Teufel komm raus miteinander sprechen. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich nun auf den Boden starren.“

Jener Frisör dürfte mich somit im Grunde nicht ansprechen, weil mich belangloses Gerede unfassbar in Rage bringt. Ich empfinde es mitunter als anstrengend, mich dem hinzugeben.

Ein weiterer Grund für die Tatsache, dass ich Frisöre meide, ist in meiner Eitelkeit begründet. Ich respektiere das Handwerk, das wohl sehr schlecht bezahlt wird, aber niemand ist gezwungen, beruflich zu frisieren, doch hadere ich schon seit Jugendzeiten damit, dass die Frisur nach einem Frisörbesuch exakt einen Tag lang so aussieht wie vorgesehen: nämlich am Tag des Frisörbesuchs. Ich reihe mich hier möglicherweise in weibliches Gezeter ein, denn ich beobachte auch bei meiner Mitbewohnerin, dass sie schon am Tag zwei nach dem Frisörbesuch wieder anders aussieht. Anders, nicht schlechter!

Ich hingegen möchte die totale Kontrolle über mein Kopfgedeck, das ich an den Seiten sehr kurz halte – mit 0,8 Millimetern. Nur so funktioniert die für mich erdachte Konzept-Frisur. Und weil kurzes Haar schneller wächst (puh), bräuchte ich zwei Frisörbesuche pro Woche, um das Wesen meiner Frisur zu erhalten. Das wäre mir zu aufwendig und vermutlich auch zu geldintensiv, sodass ich diese Frisur auch deshalb trage, weil meine Mitbewohnerin ihre Pflege und Instandhaltung beherrscht – zweimal die Woche.

Vor zwei Wochen hätte sie mich fast dabei umgebracht. Ich unterstelle, dass es keine Absicht war, als sie mit dem Scherenblatt voraus in meinen Hals gestolpert ist.

„Au! Willst du mich umbringen?!“

„Stell dich nicht so an.“

„Wie, anstellen?! Du rammst mir fast die Schere in den Hals!“

„Ist nichts passiert. Ich bin eben ein bisschen müde.“

Seit diesem Vorfall sitze ich nun immer leicht angsterfüllt vor ihr, während sie mich frisiert. Das geschieht stets in der Küche, wo sie mich auf einen Hocker platziert und mich nach gusto so ins Licht setzt, dass sie sieht, was sie schneidet. Zuletzt hat sie mir so eine Art Scheitelnarbe ins Haar rasiert. Ein besserer Begriff fällt mir nicht ein. Es ist die Grenze zwischen kurzem Seiten- und langem Deckhaar. Beim Kämmen muss ich nun immer darauf achten, diese Narbe zu finden, was mir im Grunde nie gelingt, sodass ich morgens im Bad um Hilfe rufe:

„Ich find den scheiß Scheitel nicht!“

Dann kommt sie meist und findet ihn auf Anhieb, was mir ein Rätsel ist.

Manchmal will sie lustig sein, wenn sie mir die Seiten rasiert:

„Soll ich dir mal ein ‚SS‘ reinrasieren für ‚Super-Seppo‘?!“

„Das käme hier im Marokkaner-Viertel sicherlich sehr gut an.“

Wer denkt, Geschlechtsverkehr sei etwas Intimes, der hat noch nie seine Partnerin mit Schere an sich rangelassen. Denn hier zeigt sich wirkliches Vertrauen, das sie auch nur ein einziges Mal missbrauchen könnte, denn danach wäre ich tot. Und man könnte ihr nicht einmal ein Mordmotiv nachweisen, denn es sähe ja aus wie ein ungünstiger Unfall, wobei ich gerade darüber nachdenke, was ein günstiger Unfall ist.

„Guten Tag, Herr Wachtmeister. Was gibt es?“

„Frau Manish, Ihr Mann hatte leider einen Unfall.“

„Oh, ich hoffe, es war ein günstiger?“

„Nein, er war leider sehr ungünstig.“

„Hatte er wenigstens Gunst in Ungunst?“

„Nein, leider traf Ungunst auf eine ungünstige Situation.“

Das sei ein nur Dialog mit Modellcharakter, ich kann es nur so anbieten.

Gestern nahm ich wieder die Dienste meiner Mitbewohnerin in Anspruch. Sie kam gerade vom Schwimmen, einem Sport, den sie für sich entdeckt hat. Das freut mich außerordentlich für sie, nur machte sie mir die ganze Zeit Angst, wenn sie sagte:

„Schwimmen macht so müde, ich kann kaum die Augen aufhalten.“


Hoerbar_haare
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