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Am zurückliegenden Samstag war ich Teil eines G4s. Eines Gipfeltreffens bestehend aus vier Personen. Es gab Wein, es gab Bier und es gab Cocktails, wobei ich mich auf das Mischen von „Captain Morgan“ mit Cola beschränkte, weil mich alles darüber hinaus gehende intellektuell überforderte. Was ich nur mutmaßen kann, denn ich habe die Herausforderung erst gar nicht angenommen, sodass ich nur spekulieren kann, dass es einer Herausüberforderung gleichgekommen wäre.

Heute ist Feiertag und meine Mitbewohnerin und ich nutzten den frühen Morgen für den Trimmdich-Pfad im Düsseldorfer Stadtwald, dem Grafenberger Wald, neben dem ich vor vier Jahren noch als Fast-Einsiedel gelebt hatte. Nach einem Sonntag, der sich ausschließlich auf dem Sofa abgespielt hat, war der morgendliche Sportschock für meinen Körper genau das: ein Schock. Ich sparte nicht damit, meine Mitbewohnerin über die Dinge zu informieren, die gerade schmerzten.

„Ich will nicht meckern, aber mein Rücken tut heute sehr, sehr weh.“

„Das ist mir sehr, sehr egal.“

„Ich sag’s ja auch nur. Soll nicht wehleidig klingen, aber er tut sehr, sehr weh.“

Bereits bei der ersten Station, dem „Froschhüpfen“ zog mich die zierliche Person mit ihrem Muskelpanzer ab, was mir sehr, sehr lungo war, denn …

„Mein Kreislauf ist echt am Boden heute. Ich spüre noch den Alkohol. Es war wohl sehr, sehr zu viel am Samstag.“

Es geht nichts über Sport im Wald, zumal es aus allen Scheunentoren goss. Man kann innerhalb einer Stadt nur schwer der Natur nahe kommen, heute Morgen gelang es uns zumindest annäherungsweise. Die frische Luft, der Matsch, das schweißtreibende Tun. Es war sehr, sehr toll.

„Du wirst lachen und ich will auch nicht weinerlich scheinen, aber meine Ferse tut noch sehr, sehr weh. Diese Übung am Baumstumpf mache ich nicht. Ich schwinge stattdessen ein bisschen mit den Armen herum.“

Die Herausforderung dieses Trimmdichs liegt in der Kombination aus den Kraftübungen und dem Laufen, das einfache Menschen, weil sie sehr, sehr unwissend sind, gerne mal mit „Joggen“ verwechseln, obwohl es da erhebliche Unterschiede gibt, auf die das seppolog kraft meiner Hände schon hingewiesen hat. Es ist sehr, sehr lange her.

Es gibt viele Phasen des Bergauflaufens und irgendwann stellte sich mir die Frage, wann es eigentlich wieder bergab geht, denn das ist nun einmal zwangsläufig, wenn Start und Ziel dasselbe sind. Doch auch in diesem Moment des Schreibens, des Rekapitulierens, befinde ich mich noch auf einem seltsam hohen Höhenniveau, sodass ich annehmen darf, dass es gegen Abend dann bergab geht. Denn auch das war mein Ziel: heute Abend sehr, sehr erschöpft zu sein.

Ich trage einen sehr, sehr auffälligen Trainingsanzug. Er ist grün. Neongrün. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich beim Kauf dessen ritt, aber die Dinge sind, wie sie sind und ich bin auch sehr, sehr zufrieden damit. Aber ich falle natürlich auch in einem überwiegend grünen Wald damit auf. Das ist erst einmal völlig unlogisch, doch ein Baumgrün unterscheidet sich sehr, sehr von einem Neongrün. Außerdem traf ich jemanden, der ebenfalls Neongrün trug. Und hier wird es komisch, ab hier klingt es ausgedacht, doch es ist sehr, sehr wahr.

„Guck‘ mal, Seppo, der sieht aus wie du!“

„Tatsache. Er sieht sehr, sehr gut aus. Aber Moment, der sieht ja extrem aus wie ich. Was da los?!“

Wir entschieden uns, auf den Neongrünen zuzugehen und je näher wir kamen, desto merkwürdiger wurde es. Er hing an der Klimmzugstange, die ich immer meide, zumal wenn sie nass ist, da trotz meiner Sporthandschuhe ein Halten unmöglich ist. Außerdem schaffe ich selten Klimmzüge. Es ist ein Phänomen, aber ich schaffe sie einfach nicht. Dem Mann an der Stange gelangten fünf und er sprach mich an:

„Seppo, versuch’s auch. Du wirst fünf schaffen.“

„Äh, kennen wir uns?!“

„Ich kenne zumindest dich. So, und nun versuche es mal.“

Ich blickte meine Mitbewohnerin an, die sehr, sehr genervt schien und mir dies direkt begründete:

„Nicht nur, dass ich deine Selbstdarstellung ertragen muss, jetzt muss ich auch noch die durch dein Ebenbild ertragen.“

Während ich tatsächlich einen dritten Klimmzug schaffte, was wirklich ein Novum war, antwortete der Neongrüne meiner Mitbewohnerin:

„Ich bin ja nicht sein Ebenbild. Ich bin seine Nacherzählung.“

Ich wurde sehr, sehr stutzig, war aber – ganz meine Art – auch sehr, sehr geschmeichelt. Ich werde nacherzählt! Und absolvierte meinen fünften Klimmzug, den ich als Erfolg meines seppofit ™-Sportprogrammes verbuche.

„Das ist mir zu viel. Ich laufe schon mal weiter!“, verabschiedete sich meine Mitbewohnerin, die in dieser Geschichte nun auch überflüssig, ja sogar störend wird. Ich wünschte ihr noch sehr, sehr viel Erfolg, wir tröfen uns dann unten am Auto, sofern es überhaupt noch einmal bergab gehen würde.

„Du bist also meine Nacherzählung. Wusstest du daher, dass ich die Klimmzüge schaffen würde?“

„Genau so ist es.“

„Wie komme ich denn dazu, dass man mich nacherzählt?“

„Ein Forscherteam aus Rutztekostan …“

„War klar. War sowas von klar.“

„… stellte sich vor einigen Jahren die Frage, wie es möglich ist, dass jemand mit so einem Leben zufrieden sein kann.“

„Mit ’so einem Leben‘?! So kacke oder was?!“

„Das gilt es herauszufinden. Ich bin Beppo.“

Beppo kam auf mich zu und schüttelte mir den Fuß. Und erinnert mich an eine Geschichte, die uns in der fünften Klasse ungefragt einmal so eine Art Sozialarbeiter erzählt hat. Es ging da um Beppo, einen Clown, der immer Kopfweh hatte und am Ende tot war. Der Mann, der uns die Geschichte erzählte, weinte anschließend vor der Klasse. Mein bester Freund, Pavel, und ich, wir waren damals Sitznachbarn, kriegten uns vor Lachen nicht mehr ein. Aus zwei Gründen: Wir wussten bereits aus Berichten der Parallelklasse, das dieser Mann irgendwann einmal mit dieser Geschichte auftauchen würde und freuten uns auf den Satz „Denn Beppo war tot“, der auch die überraschende Wendung der Geschichte sein sollte. Außerdem fanden wir es grundsätzlich erst einmal gut, wenn Clowns tot waren, denn Clowns, bei aller Liebe, sind sehr, sehr unlustig und provozieren den Tod geradezu. Der zweite Grund war der, dass wir uns die Frage stellten, ob dieser Mann wirklich jedes Mal bei dem Satz „Denn Beppo war tot“ weinen würde und ob das Weinen dann überhaupt noch echt gewesen sei. Wir konnten das nie klären und bekamen nach der Stunde von unserer Klassenlehrerin einen Einlauf, die aber durchblicken ließ, dass Beppos Schicksal ihr ebenfalls völlig egal war, sie ihn vermutlich nötigenfalls selbst umgebracht hätte. Erst später erfuhren wir den Hintergrund der vermeintlich traurigen Geschichte, der dann tatsächlich alles andere als lustig war: das große Clownssterben Anfang der Neunzigerjahre. Clowns sind wie Spinnentiere: hässlich und unnütz. Wer etwas anderes erzählt, was Spinnen angeht, ist indoktriniert und Opfer der Lügenpresse. !!!!1!1!!!11!

Darüber, was der Nacherzähler mir noch zu berichten wusste, muss ich erst einmal nachdenken, bevor ich es hier zum Besten gebe, da es mich wirklich sehr, sehr erstaunt hat. Außerdem will ich den Rest des freien Tages dazu nutzen, „Luke Cage“ anzufangen, da mich Netflix auf meiner Facebook-Chronik erst dann damit unbehelligt lassen wird, wenn ich die Sendung sehr, sehr gesehen habe.


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Morgen werde ich also diese spannende Nachnacherzählung sehr, sehr fortsetzen, sofern mich kein Protest auf Facebook erreicht.

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