frisch

„Freunde! Haltet ein!“

Pavel blickt mich entnervt an: „Seppo, was denn?! Ich gehe Merugin gerade zwecks Tötung an die Gurgel. Fasse dich bitte einmal kurz!“

„Folgende Situation: nein, zwei Situationen! Erst die unwichtige …“

Und ich erzähle dem würgenden Pavel (Merugin ist ja der passiv würgende, also der Gewürgte, der würgen gemachte) davon, wie mir gestern Abend jemand sagte, dass wenn man mich nicht kennen würde, aber meine Texte läse, man mich durchaus für leicht gestört halten könnte, was ich parierte mit „Ist mir egal“, was es mir auch tatsächlich ist.

Doch die zweite Situation, die ich Pavel zu einem offenbar ungünstigen Caitpunkt mitteilen will, ist:

„Pavel! Halte inne und dich fest! Ich bin heute überraschend frisch trotz gestriger Nacht!“

Pavel: „Was?! Das wolltest du mir jetzt unbedingt mitteilen?! Dass du frisch bist?! Wegen so einer Lappalie unterbreche ich hier den Würgevorgang?!“

„Stichwort Würgevorgang: Warum eigentlich würgst du meinen Weggefährten Merugin? Er ist schon ganz blau!“

Geschichtsklitterer Zontibur kommt überraschend des Weges und bietet mir seine Dienste an:

„Seppo, ich habe den Eindruck, deine Geschichte erfordert Klitterung. Sie ist jetzt schon verworren und hoffnungslos verloren. Lass mich raten: Du hast vor dem Schreiben nicht eine Sekunde nachgedacht?!“

Ich lehne dankend die Klitterung ab: „Für Geschichtsklitterer ist hier kein Platz, lieber Zontibur. Setze deinen Weg bitte fort.“

Zontibur tut wie ihm durch Autor geheißen. Als Schreibender ist man ein bisschen Gott. Das habe ich auch schon mal meiner Mitbewohnerin erklärt, die wiederum nach Erklärungen für mich sucht und nach elfeinhalb Jahren noch nicht fündig geworden ist. Manchmal guckt sie mich völlig verzweifelt und gleichzeitig resigniert an. Ich nehme sie dann immer in den Arm … Also erkläre ich es eben Pavel, der nach wie vor unbeirrt an Merugin herumwürgt:

„Pavel, ein Beispiel: Ich habe Merugin bereits umgebracht. Also besser gesagt, ich habe ihn durch meine Nachbarin Lara umbringen lassen. Und jetzt steht ihr beiden hier. Wie kann das sein?! Weil ich eben ein bisschen euer Gott bin.“

Merugin röchelt etwas. Ich muss nachhaken:

„Merugin? Ich mag zwar dein Gott sein, aber ich verstehe kein Wort, solange Pavel an dir rumwürgt.“

Das ist nun der Moment in der Geschichte, wo ich bereue, Zontibur weggeschickt zu haben, da ich hänge. Also besinne ich mich des Anfangs dieser Erzählung, nein!, des Titels gar!, und freue mich darüber, dass ich heute Morgen bereits um neun Uhr wusste, dass ich wider Erwarten sehr frisch in den Tag starten würde. Erwartet hatte ich etwas völlig anderes:

Neun Uhr. Mein Schädel hämmert. An Sex ist nicht zu denken, spätestens beim Orgasmus würde mir der Kopf platzen. Doch Männern ist das eigentlich egal. Hauptsache abspritzen. Über den schmerzenden Kopf kann man für ein Sekündchen durchaus hinwegfühlen. Trieb besiegt Vernunft. Ich kann nicht mehr schlafen. Obwohl es spät geworden war. Das ist ohnehin ein irrer Tatbestand, ein Paradoxon:

Obwohl es spät geworden war, ist es sehr früh.

Das geht nicht zusammen und dennoch ist es so und fühlt sich auch so an. Ich stehe auf, sauge am „Mezzo-Mix“. Die Cola ist leer, sie war am Vorabend mit dem Rum verschmolzen. Ich liebe diesen Mädchen-„Captain Morgan“ mit Vanille-Aroma. Mir ist das inzwischen nicht einmal mehr peinlich. Mit zunehmendem Alter ist einem immer mehr egal und das ist jetzt schon mit 37 oder 38 Jahren ein tolles Gefühl. Was mir früher abging, setzt sich zunehmend durch: die rationale Gelassenheit des rational Gelassenen. Findst Du kacke, dass ich mir Pomade in die Haare schmiere?! Ist mir sowas von latte. Wenn nur dieser Kater nicht wäre. Es wird etwa zehn Stunden dauern, bis ich es unter die Dusche schaffe. Bis dahin stinke ich rum.

Aber genau das ist alles nicht eingetroffen! Ich schlage mit meinem Kopf absichtsvoll gegen das Bettende. Es muss doch wehtun! Wie kann dieser Kopf heute frei von Schmerz sein?! Und warum habe ich so eine perverse Lust auf Sport? Ich werde mir noch heute die Boxhandschuhe überstreifen und auf die Pratzen meiner Mitbewohnerin eindreschen.

„Seppo …“, röchelt jemand, „hilf mir doch endlich!“

„Ah, Merugin! Dich hätte ich fast vergessen. Sag an, warum bist du ein zu Würgender? Geht es heute mit dir zuende? Wirst du endlich den Tod sterben, den ich dir schon immer angedeihen lassen wollte?“

Pavel ist bass erstaunt: „Ja, wird er? Soll ich fester zudrücken?“

Ich gebe ihm mein Go, weil ich schon immer mal für etwas mein Go geben wollte. Pavel drückt zu, Merugins Gesicht durchläuft mehrere Farbnuancen und einigt sich auf ein tiefes Blau, das mich sehr beeindruckt. Ich applaudiere der Mimikry und Pavel lässt den kalten Merugin zu Boden sinken.

„Hm. Er ist nun offenbar von uns gegangen, der gute Merugin. Ich habe ihn sehr gemocht. In den Fängen der Justiz kann ich ehrlich gesagt wenig Argumente vorbringen, die für seine Tötung sprechen. Pavel, ganz offen muss ich dir gestehen, dass ich schwere Reue empfinde. Ich meine, Merugin war doch so ein feiner Kerl. So einen lässt man nicht einfach sterben, nur weil man sich mal unerwartet frisch fühlt. Nur, weil man unbedingt irgendetwas schreiben will.“

Pavel: „Ja. Also das ist jetzt eine etwas späte Einsicht. Was ich dir anbieten kann …“

„Ja?“

„Dass ich ihn entwürge.“

„Ah, das geht? Schockschwerenot! Was alles möglich ist! Gut, dann entwürge bitte.“

Zehn Minuten später. Pavel und Merugin geben sich die Hand und entschuldigen einander. Ich stehe daneben und schüttele meinen Kopf. Er will einfach nicht wehtun.

Zontibur kommt überraschend zurück und sagt:

„Seppo, manchmal schreibst du doch nur um des Schreibens willen, oder?“

„Ja. Was hat mich verraten?“


Leicht verstörend. Keine Frage. Der Autor ist geistig allerdings gesünder denn je. Und so seltsam frisch! Mehr Frische jetzt bei Facebook!


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