deutsch

Vor Kurzem wurde mir von einer Art Leserin vielleicht nicht vorgeworfen, aber dann doch unterstellt, ich sei ein Grammatikposer. Sie müsse bei meinen Texten leicht würgen. Sprache sei ein Mittel, um komplizierte Zusammenhänge vereinfacht darzustellen.

Das stimmt. Aber Sprache kann noch mehr, was sich aber nicht jedem Kleingeist erschließen muss. Und nicht jeder muss Sprache zu mehr benutzen. Sprache ist demokratisch – was ich in Teilen bedauere, wenn ich mir das öffentliche Schriftbild so ansehe. Es verkommt, wie diese zwei Beispiele zeigen, die mich gestern sehr amüsiert haben, die eines Senders, der in einigen Teilen Nachrichten zeigt, unwürdig sind:

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Abgesehen davon, dass Regen lediglich in der Umgangssprache „aufhört“, hört er wohl kaum „immer mehr“ auf …

Eine halbe Stunde später besinnt man sich bei „N24“ eines Besseren, setzt aber ohne Not einen drauf:

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Nicht nur, dass es trocken bleibt – nein! -, es bleibt „zunehmend“ trocken! Physikalisch ein Wunder, was N24 da aufdeckt.

Nun kann man als Totschlagargument natürlich dagegenhalten, dass so zumindest ein jeder verstehe, was gesagt werden soll. Mit diesem Argument können wir sämtliche Artikel, ob bestimmt oder unbestimmt, streichen und uns auch dem Genitiv (!) endgültig entledigen.

Und der „Duden“ verfährt im Grunde so. Er schreibt nicht vor, sondern bildet lediglich ab, was gesprochen wird. Das erklärt, warum die seltsamsten Wortgeschöpfe dort Eingang finden, was natürlich auch damit zu tun hat, dass eine neue Auflage stets gerechtfertigt sein muss.

Sprache lebt eben und genau darum gibt es keinen Grund, sie mit Füßen zu treten. Zwei Dinge, die mich besonders aufregen, sind der Deppenapostroph, der sich nicht nur vor oder hinter einem S befinden muss, sowie der fehlende Bindestrich, der gerne von Werbetextern und -gestaltern getilgt wird, weil er grafisch irgendwie nicht ins Konzept passt. Ob das nun „Vollwasch Mittel“ ist oder bei „N-TV“ (gestern gesehen) der „Leuchtmittel Hersteller“. Das ist schlicht falsch. Es ist auch nicht „ein bisschen“ richtig. Das ist einfach mal falsches, beschissenes Drecksdeutsch und ich frage mich, welche Vollhonks da sitzen und diese Regeln, die ja einen guten Grund haben, derart anal zu vergewaltigen. Die Frage muss erlaubt sein: Sind die Urheber wirklich so doof? Und wenn ja, warum sitzen sie dann an den falschen Hebeln?! Sollte nicht der Produzent von Schrift und Text sein Handwerk beherrschen? Wenn ich Elektriker bin, vertausche ich auch nicht Anode mit Kathode.

Es geht hier nicht darum, über Menschen herzuziehen, die die Rechtschreibung nicht beherrschen. Ich sage auch nicht, dass ich sie vollumfänglich umsetze (Immerhin wird dieser Text gleich von meiner Lektorin korrigiert!). Ich behaupte auch mitnichten, besonders toll schreiben zu können. Doch ein „Regen hört immer mehr auf“ würde mir nicht einmal volltrunken unterlaufen.

Sprache ist, ich schrieb es schon oft, ein bisschen wie Musik. Jene Leserin mag offenbar Marschmusik. Klar, dumpf und laut, möglichst einfach. Ich hingegen spiele gerne mit Wörtern, strapaziere – meine Lektorin kennt mein „Historisches Präsens“ zur Genüge – auch die eine oder andere Regel. Ich schätze Füllwörter! Immer dieses Gerede, sie seien überflüssig! Dann wäre es das „Yes’n“ aus „Blowin‘ in the wind“ ja auch.

Ich habe an der Uni natürlich auch wissenschaftliche Texte geschrieben. Und klar, da geht es um die Darstellung komplexer Zusammenhänge. Und da sind Füllwörter fehl am Platz. Aber im Rahmen des seppologs oder auch von Romanen egal welchen Genres geht es doch um etwas anderes. Es geht um Lesefluss. Es geht um Lesevergnügen. Wer das hier nicht findet, der soll nüchtern weiterziehen. So wie ich vieles nicht gut finde und vieles dann doch. Wenn ich Ken Follett lese, und es ein bisschen zu simpel finde, rufe ich ihn auch nicht an, um ihm mitzuteilen: „Ken, du schreibst zu simpel. Ich lese jetzt was anderes.“ Der Mann weiß sehr genau, wie er schreibt.

„Grammatikgepose“ – weil ich einigermaßen die deutsche Grammatik beherrsche?! Weil ich mich mitunter geschwollen ausdrücke? Alter, wenn, dann ist es gewollt, dann ist es der Stil! Gebe ich hier an?! Wer das glaubt, projiziert das, was er bei sich für möglich hält, ja lediglich auf mich, was ihn wiederum entlarvt. Wer einmal Grammatikgepose lesen mag, dem sei Niklas Luhmann empfohlen.

Sprache ist nichts Technisches. Sprache hat Parallelen zur Mathematik, ist aber gleichzeitig eben etwas völlig anderes. Es ist eben kein Binärcode. Sie gibt uns unendliche Möglichkeiten. Wir können sie pflegen, wir können sie kultivieren. Aber natürlich auch absichtsvoll reduzieren auf Subjekt, Prädikat und Objekt und sogar degenerieren. Wer daran Spaß hat, dem sei das Konzept der „Leichten Sprache“ nahegelegt, das es tatsächlich gibt.

„Die Leichte Sprache soll Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen über eine geringe Kompetenz in der deutschen Sprache verfügen, das Verstehen von Texten erleichtern. Sie dient damit auch der Barrierefreiheit“, weiß „Wikipedia“. Das ist ein ehrbares Ziel, gegen das nichts zu sagen ist. Doch einige ihrer Regeln schmerzen:

Beispielsweise wird vollkommen auf den Konjunktiv verzichtet. Wie zur Hölle soll man ohne ihn auskommen?! Man streicht damit nicht nur eine Form des Ausdruckes, sondern eine ganze Gedankenwelt. In die Kerbe schlägt auch der Verzicht auf Metaphern. In der Leichten Sprache darf man also in keinerlei Kerbe schlagen. Wie deprimierend. Und am besten gefällt mir „Bilder helfen, einen Text besser zu verstehen“. Damit nähern wir uns den Höhlenmalereien … Manch einer macht es sich wohl gerne auf einer geistig simplen Ebene gemütlich.

Um das deutlich zu machen: Wenn es um Barrierefreiheit geht, ist das ein akzeptables Konzept. Aber mir würde es schwerer fallen, mich derart, pardon, primitiv auszudrücken, als einfach normal und komponierend weiterzuschreiben.

Der Deutsche Bundestag erklärt sich selbst in der Leichten Sprache, hier nachzulesen und hier ein Auszug:

Bundestag ist der Name
für eine Gruppe von Menschen,
die in diesem Haus arbeiten.

Die Menschen in dieser Gruppe nennt man auch:
Abgeordnete.

Es gibt 630 Abgeordnete.
Es sind Frauen und Männer.

Neben dem Text sind entsprechende Bilder dargestellt. Geht es der Politik darum, auch für ausländische Mitbürger verständlich zu sein? Dann frage ich mich allerdings, für wie doof diese sie hält. Denn eine komplexe Sprache spricht man nicht nur in Deutschland. Ich glaube, wir können auch Zugezogenen unsere Sprache zumuten, vielleicht sogar mit Stolz.

„Er hat ‚Stolz‘ gesagt!“

Denn Deutsch spielte dereinst eine große Rolle. In Wissenschaft und in Musik beispielsweise. Das ruinieren wir uns gerade selbst.

Aber Sprache lebt. Sie wird zwangsläufig immer simpler, weil immer mehr Menschen überfordert sind, wenn sie auf einen Relativsatz stoßen. Ich nutze Relativsätze nicht um anzugeben, sondern weil sie sich hervorragend dazu eignen, komplizierte Dinge darzustellen. Wir vermögen es, aus nur 26 Buchstaben etwas derart Wortgewaltiges zu schaffen. Und das soll ich reduzieren auf einen technischen Vorgang?! So etwas macht mich so wütend, dass ich ausrufe

„Fick meinen Arsch!“


Puh, erstmal auf Facebook gehen und jemanden beschimpfen.