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Sie frühstückt gerade mir gegenüber. Ich schreibe ihr gegenüber. Weihnachten endet für mich erst Neujahr, daher ist es noch ein besinnliches Frühstück, bevor an Neujahr alles auf Null gestellt wird und ich kein Ziel mehr vor Augen habe.

„Warum frühstückst du nicht mit?“, fragt sie mich.

Weil ich gleich noch Sport machte, sage ich ihr und weil es außer einer Gemüsesuppe für mich ohnehin nichts mehr gibt, da ich in den wenigen Tagen nach den Weihnachtsfeiertagen mein Gewicht ein Mμ aus den Augen verloren habe. Man könnte ja meinen, es geht nach unten, wenn man es aus den Augen verliert, aber in aller Regel nutzt es das Unbeobachtetsein, um nach oben zu schnellen.

„Wo willst du denn abnehmen?!“, höre ich immer wieder. Die Frage ist nahezu enervierend und sie zielt natürlich auf die Tatsache ab, dass ich mitnichten übergewichtig bin. Aber das ist ja gerade nur deshalb der Fall, weil ich immer wieder regulierend eingreife, bevor es zu spät ist. Es sind ja gerade nicht Fettleibige, die Werbung für Produkte wie „Slimfast“ machen, sondern eher die, die es angeblich mal waren. Ein 180-Kilo-Bursche, der auf „Almased“ schwört, ist wenig glaubhaft …

Dass wir erst jetzt, um zwölf Uhr, frühstücken, bedingt der vorangegangene Schuhkauf. Meine Mitbewohnerin hat nun endlich neue Laufschuhe; aus dem Laufladen in Düsseldorf: „Bunert“, wo ich ebenfalls zweimal im Jahr vorbeischaue. Unser Bonusheft ist mit dem heutigen Kauf voll, sodass das nächste Paar Schuhe umsonst sein wird. Das wäre doch ein Ziel für mich, ab übermorgen …

Während sie ein Paar Schuhe nach dem anderen anprobierte, erstand ich eine (lange) Laufhose, was für Männer nicht unbedingt einfach ist, es sei denn, man trägt gerne Laufleggings, die ich bei Herren allerdings unvorteilhaft finde. Selbst wenn Männer eine Topfigur haben, sehen Leggings einfach inakzeptabel an ihnen aus. Und so beobachtete mich meine Mitbewohnerin sehr genau bei meiner Hosenauswahl, da eine Leggings ein unbedingter Trennungsgrund für sie wäre. Den ich sogar nachvollziehen könnte.

Da wir gerade von ihr reden: Sie hat noch nicht zu frühstücken begonnen. Sie hat jetzt erst ihren Teller platziert, schaltet aber gerade noch die Spülmaschine ein. Auf Frauen muss man immer warten. Das ist eine Erkenntnis, der ich seit in wenigen Tagen zwölf Jahren müde bin und die auch mein Vater an Weihnachten wieder betonte. Mein Vater geht auf die 68 zu, ist mehr als 40 Jahre mit derselben Frau verheiratet und schätzt, dass er zehn Jahre davon in verschiedenen Wartestellungen verbracht hat. Es ist aber auch Schuld der Gesellschaft. Frauen stehen unter einem enormen Druck, gut auszusehen. Männer ja mitunter auch. Immer mehr von ihnen – ich scherze nicht – greifen zu Kosmetikprodukten. Noch in den Siebzigerjahren kam kaum ein deutscher Mann auf die Idee, ein Deodorant zu benutzen. Bis die Werbung ihn entdeckte. Ich halte es also für denkbar, dass es in wenigen Jahren schon Make-up speziell für Männer geben wird. Spätestens dann brauchen wir Männer morgens genau so lange im Bad wie heute viele (freilich nicht alle) Frauen. Ich sehe das ja bereits bei mir. Mein Bart ist nur zu zwanzig Prozent organisch, der Rest ist Produkt. Kam kürzlich in die Verlegenheit, eine Frau zu umarmen; ein Begrüßungsritual, das ich eigentlich ablehne. Und es geschah, was immer passiert: Ihr langes Haar blieb in Teilen in meinem Bart hängen. Die an der Umarmung Beteiligten überspielten diese alberne Situation aber gekonnt.

Nun hat meine Mitbewohnerin nach dem Teller Platz genommen. Sie liest. In ihrer linken ein Käsebrot, in ihrer rechten Hand die „F.A.Z. Woche“. Vier kleine „Pflaumentomaten“ zieren ihren Teller, der davor liegende Apfel passt wohl nicht mehr drauf.

Oha! Sie hat das Brot abgelegt. Die freigewordene Hand kann sich nun nicht etwa ausruhen, sondern sie wird jetzt benutzt, um die Mixtur aus Kaffee und Milch umzurühren. Und noch ehe ich den vergangenen Satz vollendet habe, ist dieselbe Hand bereits wieder am Käsebrot. Die Art, wie sie frühstückt, ist gekennzeichnet von einer erstaunlichen Frühstücksroutine, sodass der Beobachter erkennt: Diese junge, sehr attraktive Frau frühstückt nicht zum ersten Mal!

Nun ist mir langweilig. Ich starre auf die neue Wanduhr, die wir eben im „Aldi“ erstanden haben. Eine Funkuhr für wenig Geld. Ich hatte sie heimlich in den Einkaufswagen geschmuggelt, um mir eventuelle Diskussionen über Sinn und Unsinn einer weiteren Uhr zu ersparen. Ich habe einen seltsamen Uhrenfetisch, das streite ich nicht einmal ab. Analoge Uhren haben eine enorme ästhetische Wirkung auf mich. Inzwischen sammle ich Armbanduhren. Und keine billigen! Gerade trage ich meine neueste Errungenschaft, meine erste, die Schaltjahre erkennt und neben dem Tagesdatum auch Wochentag und Monat anzeigt. Ich freue mich jetzt schon auf den Moment, wenn sie morgen Nacht von 24 auf null Uhr umspringt und drei weitere Zeiger ihre Position wechseln, da der Weg von Dezember zu Januar auf dem Ziffernblatt maximal lang ist. Für Uhrenliebhaber ein faszinierender Moment.

Meine Mitbewohnerin bat mich gerade, die Hose auszuziehen. Ich verstand es als Einladung zum Sex, zerrte bereits an ihrer Hose, bis sie mich unterbrach:

„Nicht meineDeine! Du sollst mir deine Laufhose präsentieren!“

Enttäuscht füge ich mich dem nun und stelle abermals wie vor zwei Stunden in der Umkleide fest, dass diese Hose sich unfassbar gut an beiden Beinen und natürlich auch an der Beinwurzel, dem Podex, anfühlt. Ich werde sie heute nicht mehr ausziehen.

„Sie sieht aus wie eine Reiterhose!“, stellt meine Mitbewohnerin nun fest.

„Was?!“, frage ich bass erstaunt, denn nichts finde ich unerotischer als Reiten auf Pferden. Die meisten Mädels, die reiten, sind vom Pferd kaum zu unterscheiden, was Körperumfang angeht. Das ist womöglich etwas deftig ausgedrückt und ich verliere an dieser Stelle nun auch einige Leserinnen, aber ich betone, dass ich lediglich verallgemeinere und vermutlich die Statistik mich widerlegt und überhaupt, was bildet sich dieser arrogante Blogger eigentlich ein?!

„Ach, du meinst wegen des Leders unten am Bein?“, erkundige ich mich.

„Ja. Aber … achso … das ist ein Spritzschutz!“, konkludiert sie.

Und hat sogar Recht damit. Diese Hose ist matschresistent! Das rechtfertigt natürlich ihren Preis von 85 Euro. Ich kaufte sie auch nur deshalb, weil ich auf dem Preisschild „55 Euro“ gelesen hatte. Die verbliebenen Leser ahnen, zu welch großem Hallo das beim Kassiervorgang geführt haben muss.

Meine Mitbewohnerin isst in der Reihenfolge deftig zu süß. Also erst das Käsebrot, dann das Marmeladenbrot. Nie andersherum! Und da sie sich nun den letzten Bissen vom Marmeladenbrot nähert, weiß ich, dass der Frühstücksvorgang gleich beendet sein wird. Ich nehme an, dass sie sich die letzte Tomate, die dort noch auf ihrem Teller liegt, bis zum Finale aufspart.

Ich lese ihr die Stelle vor, in der ich über das Reiten herziehe.

„Du weißt schon, dass wir Frauen kennen, die reiten und deinen Kram womöglich lesen?“, gibt sie zu Bedenken.

„Ja, aber die fallen nicht unter mein Klischee. Die können sich also gar nicht angesprochen fühlen. Lediglich ertappt!“

„Ich muss mir dann anhören, was für ein arrogantes Arschloch du bist!“

Aber aus falscher Rücksicht kann ich unmöglich Dinge nicht schreiben. Das wäre wieder eine übertriebene politische Korrektheit. Ich schlucke ja schon so vieles herunter. Zum Beispiel, dass AfD-Wähler sehr wahrscheinlich Arschlöcher sind, da sie einen enormen Schaden anrichten. Das würde ich aber nie behaupten. Höchstens andeuten. So tun, als würde ich es glauben, aber dann sagen, dass ich das nie schreiben würde. Denn ich kann ja nur den als Arschloch bezeichnen, den ich auch wirklich kenne. Aber wundern täte es mich nicht, wenn es einen Zusammenhang zwischen Arschlochhaftigkeit und AfD-Wahl gäbe. Aber den gibt es bestimmt nicht. So wie Reiterinnen auch klar vom Pferd unterschieden werden können. Denn sie sind meist oben.

 

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