lara

„Seppo! Seppo!“, ruft Merugin und ich nehme mir vor, ihm bei der sich vermutlich ergebenden Antwort ein „Frohes neues“ entgegenzuschmettern, obwohl ich das bereits um kurz nach Zwölf in der Silvesternacht getan hatte. Per Whatsapp.

Gerade fällt mir ein, dass ich jemandem an Silvester betrunken den Unterschied zwischen null und 24 Uhr erklärt habe. Erste Erinnerungsfetzen kommen offenbar zurück. Ich amüsiere mich gerade herrschaftlich.

„Merugin! Frohes neues! Was gibt’s?“, empfange ich meinen alten Freund und bin auf interessante Dinge mit Neuwert eingestellt.

„Seppo, schüttele mich mal! Ich bin voller Flüssigkeit!“, sagt er ganz aufgeregt.

„Wie, das ist jetzt deine Neuigkeit?! Das langweilt mich kolossal. Zumal ich gerade die Neujahrsereignisse niederschreiben wollte, die Lara betreffen.“

„Dann erlaubst du mir, Seppo, deinem Leser zu erkären, wer Lara ist. Lara ist Seppos Nachbarin, sie wohnt zwei Etagen oberhalb Seppos und wird von diesem gerne als ‚pornös‘ beschrieben.“

„Das ist korrekt. Sie sieht aus wie ein Pornostar und regt meine Phantasie aufs Intensivste an. Fahre fort, Merugin.“

„Lara war anfangs einigermaßen nervig. Sie stand oft vor Seppos Tür, weil sie immer wieder mal irgendein Problemchen hatte. Seppo hat sie regelmäßig gelöst und sich über Lara lustiggemacht.“

„Ja, auch das stimmt soweit. Lara gefiel das gar nicht.“

„Und hatte Seppo dann verboten, dass er weiter über sie in seinem Blog …“

„… dem hiesigen seppolog …“

„… schreibt.“

Und nun war es der Neujahrstag, als morgens um neun Uhr jemand an die Tür der Wohnung bollerte, in der meine Mitbewohnerin und ich seit bald fünf Jahren leben. Neun Uhr. An Neujahr.

„Grundgütiger. Die GSG-9 kommt. Was habe ich gestern angestellt?!“, frage ich noch randvoll meine Mitbewohnerin. Diese kann sich hervorragend schlafend oder tot stellen und ich akzeptiere ihre Entscheidung, dass sie noch nicht bereit ist, am neuen Jahr teilzunehmen. Derweil wird das an der Türe Bollern durch ein Rufen ergänzt und ich erkenne die Stimme meiner Nachbarin. Lara. Hysterisch. Und ich ertrage hysterische Frauen nicht. Wie ich alles nicht ertrage, was sich der Rationalität entzieht. Und Lara tut das in einem nuklearen Ausmaß.

Ich rolle aus dem Bett, stoße mit meiner Hüfte auf die Colaflasche, die ich mir vorsorglich ans Bett gestellt hatte, damit sie meinen Nachdurst versüßt. Ich widerstehe der Cola, da ich noch vor vier Stunden massig Cola in Kombination mit „Captain Morgan“ getrunken habe und des Zuckers überdrüssig bin, mehr als des Alkohols.

„Mommeeent!“, rufe ich flüsternd, was praktisch unmöglich ist, sodass ich flüsternd rufe, was nur Männer können. Überhaupt, wenn Männer zu flüstern versuchen, mündet das stets in einem gedämpften Rufen.

Ich krieche über die Colaflasche hinüber gen Wohnungstür. An einer Jacke, die dort an der Garderobe hängt, ziehe ich mich hoch. Öffne die Tür und sage:

„Frohes neues. Du hast den Verstand verloren, Lara. Es ist neun Uhr. Und du bist nackt.“

Großer Gott! Sie ist nackt!

„Lara, ich wiederhole es noch einmal für mich: Du bist nackt und stehst vor meiner Tür. Neun Uhr. Neujahr. Da du nackt bist, ist mir die frühe Uhrzeit nun egal. Darf ich fragen, warum du nackt vor meiner Tür stehst?“

Ganz bewusst entscheide ich, mich nicht umzudrehen, wie es ein Gentleman vielleicht tun sollte, denn ich nehme an, dass Lara ja damit rechnen musste, dass ich ihr nicht rückwärts die Tür öffne, sondern mit den Sinnesorganen nach vorn gerichtet. Insbesondere meine Augen treten hervor. Rote, verquollene und -soffene Augen, die das Heiligtum Laras erblicken. Das rechte Auge droht fast herauszufallen.

„Seppo, sieh mir in die Augen. Nicht auf die Brüste!“, schimpft Lara.

„Ich sehe dir nicht auf die Brüste, sondern auf deine Vagina. Warte, ich hole eine Decke.“

Leider finde ich keine transparente Decke, sodass ich Lara in unsere neue, blaue Decke von „Butler’s“ einrolle und sie hereinbitte.

„Lara, ich darf schon einmal ankündigen, dass ich aus vielerlei Gründen heute keinen klaren Gedanken werde fassen können. Ich nehme an, du wirst mir nun mitteilen, warum du spärlich bekleidet vor meiner Tür stehst. Vermutlich habe ich keinen Grund, mich geschmeichelt zu fühlen?“

Der Autor dieser Zeilen kommt nun ins Schlawingern, da er sich bei der Frage erwischt: „Warum zur Hölle steht die Alte jetzt nackt vor meiner Tür? Wie komme ich da jetzt wieder raus?!“ Erleben Sie also nun, wie ein Schreibender sich windet, um zu begründen, warum seine pornöse Nachbarin nackt vor seiner Tür steht. Um neun Uhr. Neujahr.

Lara zieht ein Schwert und schlägt mir den Kopf ab.

Geben Sie nun dem Verfasser dieser Zeilen eine zweite Chance!

Lara setzt zur Erklärung an, nachdem ich ihr einen Zitrone-Ingwer-Tee aufgebrüht habe. Für 2017 habe ich mir nämlich vorgenommen, Tees ab sofort aufzubrühen. Es klingt einfach so gemütlich. So achtsam. Und Achtsamkeit ist ja das große Ding. Obwohl, das war 2016. 2017 kommt bestimmt was Neues.

„Seppo, du wirst es nicht glauben!“

„Doch, ich denke schon, Lara. Ich meine, du stehst nackt vor meiner Tür. Neun Uhr. Neujahr. Das wird sicherlich eine unglaubliche Geschichte zum Ursprung haben. Brauchen wir einen Arzt?“

„Nein. Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich habe einen unfassbaren Filmriss, Seppo! Ich weiß nicht, wo meine Klamotten sind und komme gerade auch erst von der Party. Ich war bei Hercules und Sägemann.“

Hercules und Sägemann sind ein schwules Pärchen und dem seppolog-Leser schon bekannt. Ich bin gut mit ihm befreundet, feiere allerdings Silvester in der Regel nicht mit den beiden, da sie traditionell „ins neue Jahr ficken“. Darum geht es bei ihren schwulen „Swinger-Partys“, wo ich ungern in ungünstige Lagen kommen würde, sodass meine Mitbewohnerin und ich dieses Mal in einem Stadtteil Düsseldorfs feierten, dessen Namen wir nicht kennen. Könnte Wersten sein, aber irgendwie auch nicht. Ich weiß es nicht. Habe es bestimmt betrunken schon einmal erfragt und die Antwort vergessen. Dafür kenne ich den Unterschied zwischen 24 und null Uhr.

„Du hast bei den beiden gefeiert? Auf einer Schwulen-Party? Die laden nie Frauen ein!“

Der Autor dieser Geschichte realisiert, dass er sich immer weiter in eine Spirale der Absurditäten hineinschreibt, aus der er nicht mehr herauskommen kann. Er erwägt den Einsatz von Atomwaffen, um mit der ganzen Welt auch diese Szenerie zu vernichten und damit nicht mehr erklären zu müssen. Doch geben wir ihm noch eine Chance.

„Ja, Seppo, das ist in der Tat merkwürdig. Aber, und jetzt kommt’s!“

Nichts kommt. Der Autor denkt noch schwer nach und macht sich zunächst einen Kaffee.

Korrekt. Er nimmt einen ersten Schluck, verbrennt sich routiniert die Zunge und hat keinen Geistesblitz.

„Lara, raus mit der Sprache!“

„Mach‘ dich auf was gefasst, Seppo!“

„Tue ich ja.“

„Auf was genau?“

„Was?!“

„Auf was machst du dich gerade gefasst?“

„Auf etwas.“

„Okay. Also, Seppo, das wird dich umhauen!“

Der Autor kommt kein Stück voran und erwägt, die Ereignisse zu einer Art feuchtem Traum zu deklarieren. Das jedoch findet er zu pubertär und beschließt nun, die real existierende Lara via Facebook zu kontaktieren, um ihr mitzuteilen, in was er sie hineingeschrieben hat.

lara

Es ist nun 17 Uhr. Lara war da. Sie kam nicht nackt. Sah ich sofort, als ich die Tür öffnete:

„Lara, du bist nicht nackt.“

„Seppo, ich werde nie nackt vor irgendwelchen Türen stehen, schon gar nicht vor deiner!“

„Warum eigentlich schließt du das gerade für meine Tür so kategorisch aus?! Ich könnte mir beispielsweise sehr gut vorstellen, einmal nackt vor deiner Tür zu stehen.“

„Ich würde sie nicht öffnen, Seppo.“

„Würdest du mich in eine Decke hüllen?“

„Seppo, lass mich lesen, was du da geschrieben hast!“

Ich zeigte Lara das Machwerk, auf das ich ziemlich stolz war und sie sah, dass ich sogar unsere Facebook-Unterhaltung in den Text hineinkopiert habe.

„Seppo, geht’s noch?! Was ist bei dir schiefgelaufen?!“

„Bei mir?! Du standst doch nackt vor meiner Tür!“

„Tat ich nicht!“

„Ich weiß. Das war ein Scherz. Wir müssen nun eine Lösung dafür finden, eine Erklärung.“

„Atombombe.“

„Hatte ich durchaus schon mit geliebäugelt, aber der Leser erwartet mehr von mir.“

Plötzlich meldete sich mein Smartphone zu Wort. Die App „Katwarn„, die keine Erfindung von mir ist, sondern ein „Warn- und Informationssystem für die Bevölkerung“, verkündete einen Atomangriff auf die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf sei Ziel gleich mehrer Atomsprengköpfe. Gerade wollte ich Lara vorschlagen, warum sie nackt bei mir in der Küche sitzt, da sahen wir einen hellen Blitz und

alles war nichts.


Welchen Grund könnte es haben, dass Lara nackt vor meiner Tür stand? Anregungen nehme ich auch gerne auf meiner Facebook-Seite entgegen!