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Dass wir für 2016 „gut aufgestellt“ seien, hat man meinen Kollegen und mir zum Jahreswechsel vor zwölf Monaten mitgeteilt. Fünf Monate später dann musste ich mir mehrfach den Spruch anhören:

Wo sich eine Tür schließt, da öffnet sich eine andere.

Meist wurde diese Phrase ergänzt durch:

Ihr könnt es sicher nicht mehr hören. Aber es ist so!

Das stimmt. Ich konnte es nicht mehr hören! Doch ich muss auch zugeben, jenes Sprichwort trifft tatsächlich zu. Es öffnete sich eine neue Tür und ohnehin war mir im Mai 2016, als mein Arbeitgeber in die Insolvenz ging, aus der er heil nicht mehr herauskam, nach einem Einschnitt zumute, der sich aber eher im privaten Bereich abspielen sollte, nicht im beruflichen!

Es war der 4. Mai 2016, als uns der Insolvenzverwalter mitteilte, dass das Unternehmen nicht mehr gerettet werden könne, wir uns also am 6. Mai bei der Arbeitsagentur melden müssten. Der 5. Mai war ein Feiertag, Christi Himmelfahrt, oder auch: Seppos Fall in den Rhein …

Wir naiven Idioten hatten noch am Nachmittag jenes Tages geglaubt, wie gewohnt unsere tägliche Sendung produzieren zu können. Denn die Signale vor dieser Hiobsbotschaft waren eher positiv, bis dann der Moment der Versammlung der (verbliebenen) Mitarbeiter und dem Insolvenzverwalter kam. Live tickerte ich Sabrina USA, einer Freundin und ehemaligen Kollegin, via Facebook den Stand der Dinge und als der dann klar war, schrieb ich ihr:

Es ist vorbei.

Ich könnte nun schreiben, ich hätte es nicht sofort geglaubt oder realisiert, aber ich habe es sofort geglaubt. Es war der schlechteste Fall eingetreten. Gut aufgestellt für 2016. Galgenhumor brach sich Bahn unter den Kollegen und „gut aufgestellt“ wurde zum running gag. Wenn ich heute in der Wirtschaftspresse lese, ein Unternehmen fühle sich „gut aufgestellt“, denke ich mitleidig: „Ihr armen Trottel. Sucht Euch schon mal einen neuen Job!“

„Es ist vorbei.“

Das Blut schoss mir in den Kopf und um das deutlich zu sagen: Mich traf es massiv. Nicht das Blut, die Botschaft. Nicht nur der Verlust des Jobs, auch oder gerade der des Teams. Und ich stellte mir die Frage, ob ich darüber hier im seppolog schreiben würde, da ich doch über so ziemlich alles blogge. Was aber nicht zutrifft, vieles spare ich aus. Und ich entschied mich, das seppolog nicht zum Jammerblog eines Arbeitslosen zu machen, die Geschichte dann erst aufzuschreiben, wenn sich jene neue Tür geöffnet hat. Das hat sie mittlerweile und ich kann für mich sagen, was man im Nachhinein immer leicht sagen kann:

Die Pleite war nicht nur schlecht für mich.

Ich kann da freilich nur von mir sprechen, weiß aber von zumindest einem Kollegen, dass er es genauso sieht. Ich gehe jetzt sogar so weit zu sagen, dass sie zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben kam.

Doch dazwischen liegen acht Monate. Morgen vor acht Monaten also lief ich deprimiert über den Parkplatz unseres Senders, der von unerlaubt von einer Pizzeria mitbenutzt wurde. Ein, zwei Kollegen hatten Tränen in den Augen, ich hob mir das für später auf und rief zunächst meine Mitbewohnerin an:

„Ich bin nun arbeitslos. Es gibt keinen neuen Investor.“

„Wir schaffen das.“

War ja auch alternativlos. Denn welche Wahl hat man?!

Die ersten Tage nach dem gescheiterten Insolvenzverfahren waren die härtesten in meinem Leben. Das spricht auch ein wenig für mein vorheriges Leben, das offenbar nicht so übel war. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie viele Tage ich regungslos am Küchentisch saß und die Wand anstarrte. Auf der anderen Seite habe ich mir immer wieder gesagt, dass es Schlimmeres gibt. Krankheiten. Tod. Aber dennoch war die Nummer ein erheblicher Stimmungskiller und ungeeignet dazu, 2016 zu einem tollen Jahr zu machen.

Der wohl größte unmittelbare Fehler aus meiner Sicht war der, direkt an Christi Himmelfahrt, was ja auch Vatertag ist, mit den Kollegen am Rhein „saufen zu gehen“, einen Tag nur nach der Pleite. Dieser Abend verlief für mich nicht unbedingt würdevoll, aber er passte in die Zeit. Überhaupt war so vieles bar jeder Würde in meinem Leben in jenen Tagen. Schnell wurde mir klar, dass ich diesen beruflichen Einschnitt unbedingt würde nutzen müssen für einen privaten. Neuanfang auf allen Kanälen. Tabula rasa. Alles in Frage stellen. Taue kappen. Und es tat so gut.

Ein weiteres Besäufnis später, das im privaten Rahmen stattfand und in der Beschimpfung von irren Investoren mündete, schleppte mich meine Mitbewohnerin in den Park. Der Leser darf es sich so vorstellen, dass meine Lethargie zu einer völligen Antriebslosigkeit geführt hatte und der Gang in den Park mir schon zuviel war. Was machte diese Lethargie aus?

Ich weiß nicht, was mich mehr beschäftigt hatte: dass ich nicht mehr mit diesem großartigen und vermutlich einzigartigen Team zusammenarbeiten durfte oder dass ich schlicht arbeitslos war? Arbeitslosigkeit war neu für mich, ich wusste gar nicht, was da auf mich zukommen würde. Da kam einiges, dazu in späteren Artikeln einmal mehr …

Nun war da ja auch ein enormes Plus an Freizeit und ein herrlicher Frühling. Erste Warnungen erreichten mich, dass ich nun bloß nicht im Trainingsanzug auf dem Sofa zuhause versacken sollte, was mir aber absolut fernlag. In den Monaten der Arbeitslosigkeit blieb ich Frühaufsteher und startete ein umfangreiches Krafttrainingsprogramm, das sich bis heute ausgezahlt hat und das ich trotz neuen Jobs weiterführen werde. Im Laufe der Wochen fasste ich wieder Mut, zumal ein potenzieller neuer Arbeitgeber schon im Mai auf mich zukam – mein Plan A. Einen Plan B hatte ich erst viel später und ich darf schon einmal verraten, dass es letztlich Plan A war, der aufging.

Nach ein Paar Wochen fühlte ich auf mehreren Ebenen eine Befreiung, die dringend für mich persönlich notwendig war, um in meinem Leben aufzuräumen. Nebenbei lernte ich neue Menschen kennen, die ich – so kurios es ist – womöglich in Teilen ohne die Insolvenz so gar nicht kennengelernt hätte! Im Privatleben verbesserte sich einiges, doch nun war es die Arbeitsagentur, die mich auf den Boden der Tatsachen zurückholen sollte …

Wirklich unvergessen bleibt für mich mein erster Tag im Arbeitsamt. Man ist Kunde! Was für ein Euphemismus! Ich war gezwungen, Kunde zu sein! Unser Team hatte immer untereinander darüber gescherzt, dass wir alle irgendwann geschlossen in den Fluren der Arbeitsagentur Düsseldorf auftreten! Was in der Theorie so witzig war, war in der Praxis zumindest schwiiierig. Es war der Tag nach dem Besäufnis am Rhein, nach Christi Himmelfahrt, als Kollege B. mich um zehn Uhr morgens abholte. Ich will nicht drumherum reden: Ich war natürlich noch randvoll. Die Situation habe ich überhaupt nicht für mich erfassen können, was aber auch nicht das Schlechteste war. Rational wusste ich natürlich, jetzt geht’s zum Arbeitsamt, aber es war surreal. Man kommt da rein in dieses Gebäude und wird innerhalb weniger Minuten Teil einer erbarmungslosen Maschinerie. Ich betone aber ausdrücklich, dass ich überwiegend freundlich und respektvoll behandelt worden war, auch wenn man mir früh angekündigt hatte, dass sich das nach einem Jahr der Arbeitslosigkeit ändern würde:

„Im Jobcenter herrscht ein anderer Ton, Herr Flotho!“

Doch dazu soll es nicht mehr kommen.

Für die, die noch nie in den Genuss gekommen sind: Man reiht sich in eine Schlange ein, in der nicht die beste Stimmung herrscht. Für Facebook wollte ich dort ein Foto machen; mit mir in der Schlange. Freilich ist das verboten, was mein betrunkener Kopf wohl nicht erfasst hatte. Schade, was gäbe ich heute für dieses Foto!

Ein extrem unfreundlicher Herr registrierte meine Kollegen und mich. Nachfragen waren nicht zugelassen und ich bekam eine erste Ahnung davon, wie es ist, unfrei zu sein. Zusammen mit Kollegen S., mit dem ich das außerordentliche Vergnügen habe, heute abermals zusammenzuarbeiten, wurde ich zu einem „Terminal“ geschickt. So nennen sie dort personal computer, an denen man sich anmeldet und etwas leistet, das ich wie einen Offenbarungseid empfunden habe. Die Situation hatte unendlich viel Komik. Bei all ihrer Tragik. Denn die Online-Formulare haben uns gnadenlos überfordert. Man möchte ja meinen, man könnte sie so gestalten, dass jeder Idiot sie versteht, aber nein, es war alles andere als intuitiv, sodass wir uns gegenseitig zu helfen versuchten. Es war ein bisschen wie in der Schule während einer Klausur:

„Was hast du bei ‚Arbeitgeber anzeigen ja/nein‘ angeklickt?“

„Ich hab keine Ahnung, was die hier von mir wollen.“

„Was gibst du bei Berufsbezeichnung ein? Producer? Haben die hier nicht. Ich bin hier nicht vorgesehen.“

„Videojournalist? Wollte ich nie sein. Moderator? Kann ich nicht anwählen.“

„Ich soll was drucken. Wo drucke ich denn hier? Wo kommt das raus?“

Mehrfach belästigten wir eine Angestellte, die nach und nach für uns die Formulare ausfüllte, während wir nicht mehr wussten, wie uns geschah.

Mir war damals völlig klar, dass irgendwann in meinem Leben der Moment kommt, in dem ich über diese alberne Situation werde lachen können. Es ist soweit.

Bisschen grotesk wurde es, als wir hernach zu einem persönlichen Gespräch gebeten wurden. Mit einem Menschen! Diskretion wurde kleingeschrieben, S. saß neben mir, zwischen uns nur eine spärliche Trennwand. Ich konnte ihn hören, er mich. Gut, das war uns ja im Grunde egal, da wir ja bis zu diesem Tag noch Kollegen waren und unsere jeweilige Situation ja im Grunde dieselbe war. Unsere Sachbearbeiterinnen stellten uns jeweils Fragen, die wir ebenfalls nicht alle auf Anhieb beantworten konnten, sodass wir uns über die Trennwand hinweg beraten mussten.

„S., sie will von mir wissen, zu wann wir freigestellt sind und wann arbeitslos. Wissen wir das? Hat man uns das gesagt?“

„In dem Wisch vom Insolvenzverwalter steht es drin.“

Denn wir waren beispielsweise nicht einfach arbeitslos, wir waren „freigestellt“. Das ist was anderes. Aber letztlich dasselbe. Unsere Ärsche hat es zumindest nicht gerettet.

Nach vielleicht einer Stunde war das Abenteuer vorbei. Draußen vor dem Amt trafen wir wieder auf die anderen Kollegen. B. erzählte von seinem Sachbearbeiter:

„Der hatte ’ne Hasenscharte von hier bis nach Wuppertal.“

Ich hingegen zog es vor, den weiteren Tag zu schweigen. Ohnehin rede ich nicht viel, aber so viel habe ich selten geschwiegen. Für mich war ganz eindeutig der Moment gekommen, in dem es sich angeboten hat, einfach mal die eigene Fresse zu halten. Denn ich realisierte mehr und mehr, dass ich ein ernsthaftes Problem habe, bei dem mir die Arbeitsagentur mitnichten weiterhelfen konnte. Was deren Vertreter mir auch vom ersten Tag an klargemacht haben: dass man für Menschen in meiner Branche schlicht wenig bis nichts tun könne. Ich fand und finde das okay, aber ich wusste natürlich, dass sie mich dennoch nicht in Ruhe lassen würden, da sie ein legitimes Interesse verfolgen: die Menschen auf jede erdenkliche Weise aus der Arbeitslosenstatistik herauszustreichen.

Es gibt noch unzählige Dinge, die ich im Rahmen dessen loswerden muss. Das wird auch geschehen. Wer aber erwartet, ich wettere gegen den Staat oder die Arbeitsagentur, der wird enttäuscht, denn ich kann in dem Zusammenhang nichts beklagen. Doch mir bleibt ein Rätsel, warum die Agentur für Arbeit wollte, dass ich mich bei einem Frisör in Mülheim an der Ruhr bewerbe. Ich hab’s getan. Damit sie keinen Grund hat, mir das ALG zu kürzen. Ich habe mich bei einem beschissenen Frisör beworben! Es sind diese Dinge, die ich als Komik im Alltag beschreibe. Und ich freue mich unendlich, nun diese ganzen Geschichten der vergangenen acht Monate hier rauszulassen. Ganz entspannt, da seit drei Tagen offiziell nicht mehr arbeitslos.

Und ich werde Dinge offenbaren, die manchen unruhig werden lässt.

Kleiner Scherz. Doch es sind Dinge, die mich acht Monate lang beschäftigt haben. Da war jeden Tag, ja beinahe jede Nacht dieser eine Gedanke: Du brauchst einen Job. Dringend. Denn ein Jahr vergeht schnell. Und es verging sehr schnell …

Nach einem Jahr gibt es kein ALG mehr. Dann gibt es: ALG II! Und dann gnade einem Gott!

Vielleicht abschließend noch diese Anekdote: Vor einigen Jahren waren meine Mitbewohnerin und ich Gäste einer Hochzeit. Wir kannten kaum jemanden und so saßen einem Pärchen gegenüber, das wir aus tiefstem Herzen auf Anhieb ablehnten. Besonders er war mir aufgrund seiner grenzenlosen Arroganz vom Herz gewachsen. Da saß er, gerade frisch im Job, dessen Zusage er bereits vor Abschluss seines Studiums gehabt habe, und erzählte – ich erinnere nicht mehr den Anlass -, dass er kein Verständnis für Arbeitslosigkeit habe. Dass jeder jederzeit Arbeit finden könne.

Ich war damals selbst noch im Studium, begann allerdings innerlich zu würgen, als ich das hörte. Es macht mich vermutlich zu einem schlechten Menschen, wenn ich diesem Vollidioten zumindest mal eine Woche Arbeitslosigkeit an den Hals wünsche. Woher nahm er diese Arroganz?! Es ist mir unbegreiflich.


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