brille

„Ich bin überrascht, selbst die zweite gefällt mir“, erzählte ich eben dem Fachverkäufer bei „Fielmann“.

„Naja, ich gehe doch davon aus, dass Sie sich Brillen ausgesucht haben, die Ihnen gefallen!“, er bass erstaunt.

„Nein. Es musste damals schnell gehen. Ich war mit meiner alten Brille ungünstig aufs Gesicht gefallen.“

Deshalb war sie hinüber, gezeichnet von mehreren Rissen im Kunststoffglas. Da ich ja ein durchorganisiertes Leben führe, besitze ich natürlich eine Ersatzbrille. Jedoch hatte ich mich schon vor Monaten in einem ungünstigen Moment auf diese draufgesetzt, sodass der Bügel locker war. Als ich dann einen Pullover auf die Art anzog, wie Männer Pullover nun einmal überstreifen (ganz anders als Frauen nämlich), riss ich sie zu Boden, wo der Bügel dann endgültig sich vom Restgestell löste, wie sich einst Osttimor von Indonesien. In der Folge dieser ungünstigen Ereigniskette lief ich drei Wochen lang mit wahlweise einer mit „Tesa“ geflickten Brille oder einer Brille mit Rissen im linken Glas durch die Gegend, denn es kam zu einem weiteren ungünstigen Umstand:

Aus Gründen der Eitelkeit trage ich, wo es geht, Kontaktlinsen. Ausgerechnet jetzt, wo mir diese zur Neige gingen, waren sie nicht mehr lieferbar, da die entsprechende Marke eingestampft wurde. Scharfes Sehen wurde für mich nun zu einem Problem; das Schicksal wollte, dass ich den Wert des Sehens neu begreife.

Vor etwa zwei Wochen suchte ich zusammen mit meiner der Ästhetik kundigen Mitbewohnerin „Apollo“ und „Fielmann“ auf, da ich Freund großer Ketten bin, die den Mittelstand ruinieren. Obwohl, viele wissen das nicht, Fielmann durchaus dem Mittelstand zugehörig ist. Ich unterstütze also, wo es geht, den Mittelstand, der unser Land zu dem gemacht hat, was es ist: groß. Bei Apollo war schnell klar, dass sich die Brillenmode derzeit nicht an meinen Gesichtszügen orientiert, was ich für kurzsichtig (ha-ha) halte. Bei Fielmann war es nicht fiel besser (ha-ha); mit keinem der mir aufgesetzten Brillengestelle wurde ich glücklich, was auch daran lag, dass ich an jenem Tag ganz grundsätzlich scheiße aussah.

Herr Müller kam zur Hilfe. Herr Müller trug selbst eine Brille, die an seinem Gesicht vorbei konzipiert worden war, was mich skeptisch gegenüber der sich anbahnenden Beratung machte. Und er machte schnell deutlich, dass er keine Ahnung hat, was mir steht, sodass er lediglich das tat, was ich zwanzig Minuten vorher zusammen mit meiner Mitbewohnerin getan hatte: Er stellte sich mit mir vor die Regale und deduzierte:

„Große Brillen stehen Ihnen nicht.“

„Ja. Zeigen Sie mir schmale!“

„Ich würde Ihnen aber gerne nochmal diese hier geben. Setzen Sie mal auf!“

Er gab mir wider besseres Wissen eine Brille mit großen Schaufenstern, die wie zu erwarten zu groß für mein Gesicht war.

„Nein, steht Ihnen nicht.“

„Ja. Versuchen wir es mit schmalen!“

Und abermals versucht er es mit einer großen.

„Diese hier! Die könnte Ihnen stehen! Ist ’ne große, klar, aber vielleicht geht die!“

Sie ging nicht.

„Aber die Farbe!“, erklärte er stolz, „Die Farbe ist gut!“

„Haben Sie eine schmale in der Farbe?“

„Nein.“

Wenn ich shoppen gehe, ist von vornherein klar, dass ich nicht ohne etwas nach Hause gehe. Bei Brillen gilt das umso mehr, da ich diese ja nun einmal brauche. Anders als beispielsweise mein 50. Hemd. Mir war also klar, dass ich den Laden ohne Brille nicht würde verlassen.

Und so fanden wir ein Modell, das meinem alten recht nahekam. Schmaler Metallrahmen, braun. Denn auch die dicken Rahmen, die nach wie vor en vogue sind, sind nicht für mein Gesicht vorgesehen.

„Wie ist die?“, fragte ich meine Mitbewohnerin, die an jenem Tag ihre Euphorie zuhause gelassen hatte und sich selbst nach einer Brille umsah.

„Ja, die ist okay.“

„Nur ‚okay‘?! Ich brauche Begeisterung!“

„Dann brauchst du eine andere Brille!“

Ich fand eine zweite, bei deren Anblick meine Mitbewohnerin in ihrer Mimik erstarrte, während ich jene zweite eigentlich ziemlich gut fand. Und sagte zu Herrn Müller, der wieder mit einem großen Modell ankam:

„Ich nehme diese beiden!“

„Ich hätte hier noch eine zwar große Brille, aber die Farbe! Die könnte es sein!“

„Nein, nein. Die großen stehen mir nicht.“

„Stimmt. Die stehen Ihnen nicht. Sie nehmen also diese zwei da?“

„Ja, meine Freundin findet die silberne zwar nicht so doll, aber ich kann mich nicht entscheiden zwischen der und der braunen.“

„Also beide?“

„Beide. Ich bin wahnsinnig spontan!“

Und fand beide selbst nicht sooo doll, aber: Ich brauchte dringend Brillen. Eine davon sollte künftig die Ersatzbrille für die Ersatzbrille sein, denn meine alte wollte ich zur Reparatur geben, was nur dann geht, wenn ich eine neue habe. Gucken kann so kompliziert sein bei -3,25 Dioptrien. Übrigens, dieser Wert stagniert seit zwei Jahren. Ich gehe davon aus, dass meine Sehkraft nun ihr Optimum erreicht hat.

„Wollen Sie noch einen Sehtest machen?“, fragte mich Herr Müller. Und weil ich keine Lust hatte und davon überzeugt war, dass meine Werte aus dem Jahr 2014 noch stimmten:

„Nein. Wir nehmen die Werte der kaputten Brille.“

Wir begaben uns zu einem Platz mit zahlreichen Sitzmöglichkeiten, wo ich die Brillen noch einmal aufsetzen sollte. Nacheinander. Herr Müller zeigte mir bei der Gelegenheit seine dreckigen Fingernägel, was ich absolut nicht gutheißen konnte, was ich aber auch für mich behielt.

Ich glaubte nun, der Kauf würde schnell vonstatten gehen, unterschätzte jedoch Herrn Müllers Verkaufsgesprächstalent.

„Herr Flotho, Fielmann bietet immer eine günstige Versicherung an.“

„Ich will keine der beiden Brillen versichern!“, versicherte ich Herrn Müller, den das jedoch nicht anfocht.

„Sie zahlen nur zehn Euro pro Jahr!“

„Ja, ich weiß. Was Sie aber verschweigen: Die Versicherung gilt nur zwei Jahre lang, danach zahlt man die Prämie unbegrenzt weiter, wobei die Brille nicht mehr versichert ist. Das ist schon etwas kurios, oder?“

„Natürlich. Sie müssten die Versicherung dann auf eine neue Brille übertragen!“

„Dann müsste ich also nur der Versicherung wegen in zwei Jahren eine neue Brille kaufen?“

„Nun, streng genommen … ja. Wenn man das so sagt, klingt es etwas … “

„Ja, klingt doof. Keine Versicherung, bitte.“

Im Weiteren ging es dann um die Art der Brillengläser. Während ich mich auf die 90 Euro-Variante festlegte, rühmte Herr Müller, der nicht zu bremsen war, die 140 Euro-Variante.

„Herr Flotho, ich gebe Ihnen die Gläser für 140 Euro! Im Einkauf zahlt Fielmann viel mehr dafür!“

„Das ist aber dann doch die Schuld von Fielmann. Da würde ich nochmal nachdenken. Da springt ja nichts für Sie bei raus! Ich nehme die Mediumvariante.“

Denn immerhin nahm ich nicht das günstigste Angebot von 40 Euro.

„Als Verkäufer ist es meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass sie 90 Euro-Variante aber etwas dicker an den Rändern ist als die etwas teurere!“

„Ja, wie bei meiner alten Brille. Das sieht doch niemand, und ich am wenigsten! Ich nehme ohne Versicherung vier Gläser à 90 Euro.“

„Wir haben noch ein Premiumpaket. Da würde ein Glas 400 Euro kosten.“

„Großer Gott, was ist daran denn Premium?!“

„Ich will es nur gesagt haben. Das sind ‚Zeiss‘-Gläser!“

„Ja. Ich nehme die 90 Euro-Gläser.“

Ich wollte einfach nur meine Brillen haben, die für mich keine optische Optimierung meines Gesichtes sein sollen, sondern eben schlichte Sehhilfen.

Die ich heute Morgen abgeholt und über die ich mich gefreut habe, da sie mir heute optisch sehr zusagen. Selbst jenes zweite Modell, das meiner Mitbewohnerin nicht gefiel. Ich zeigte es eben meiner dem Leser hier bereits bekannten Lektorin, die sich sofort mit meiner Mitbewohnerin darin einig war, dass dieses Modell (Aus Titan! Was ganz toll ist, wie mir Herr Müller versichert hatte!) nicht die beste Wahl war.

Mit gefällt es noch immer. Und sie ist nun versichert. Denn wie sich herausgestellt hatte, bezahle ich seit 2010 eine Brillenversicherung bei Fielmann, die lediglich bis 2011 einschließlich meine einstige, nun von Tesa stabilisierte Brille, versichert hatte. Genau das erklärte ich dann meinem heutigen Verkäufer, als er mir eine Versicherung nahelegen wollte.

„Das hat Herr Müller auch schon versucht. Ich zahle doch nicht die Prämie einer Versicherung über ihren Geltungsbereich hinaus!“

Gut, tatsächlich habe ich genau das aus Doofheit fünf Jahre lang getan, weil eine jährliche Abbuchung über zehn Euro einem schon mal (fünf Jahre lang) durch die Lappen gehen kann.

„Außerdem“, ergänzte ich, „neige ich dazu, mich stets nach Ablauf der Versicherung auf meine Brillen zu setzen oder mit ihnen auf mein Gesicht zu fallen.“

Stolz ging ich mit meinem Titan-Modell auf der Nase nach Abschluss der Kaufvorganges zu Apollo-Optik, um meine alte Brille – die mit den Rissen im linken Glas – reparieren zu lassen. Der Verkäufer dort putzte zunächst jene schadhafte Brille, um mich dann darüber zu informieren, dass beide Gläser kaputt seien.

„Oh, das habe ich nicht gesehen. Meine Brille ist immer so dreckig, ich hielt es für Dreck.“

„Nun ja, da war Make-up drauf!“, sagte er erstaunt.

„Ja, ich trage manchmal aus beruflichen Gründen Make-up. Es ist verrückt!“

Für lächerliche 50 Euro wird nun meine alte Brille, die Erstbrille bleiben wird, repariert. Warum das so günstig ist, hat man mir erklärt, ich habe es lediglich nicht verstanden, da ich nur hellhörig wurde, als der Verkäufer mir eine Versicherung andrehen wollte.

„Nein! Keine Versicherung! Ich flehe Sie nahezu an. Mit dieser Brille fiel ich drei Wochen nach Ablauf der Versicherung aufs Gesicht und ich war zu faul, um so zu tun, als sei das noch im Versicherungszeitraum geschehen. Ich will einfach nur zwei neue Gläser in diese Brille!“

„Ich sag’s nur. Würde nur 20 Euro kosten die Versicherung!“

„Lohnt nicht. Habe mir gerade zwei Ersatzbrillen bei Fielmann geholt!“

„Versichern lassen?“

„Nein, wozu?! Habe ja jetzt drei Brillen!“

Derweil habe ich auch wieder neue Kontaktlinsen, nachdem ich die Markenpolitik von „Acuevue“ verstanden hatte. Nie also konnte ich mehr sehen als heute.


Ab sofort biete ich windige Brillenversicherungen auf meiner Facebook-Seite an.