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„Aber da wird sich doch sicher eine Lösung finden?!“, frage ich meinen Sachbearbeiter bei der Agentur für Arbeit Düsseldorf im Juli des vergangenen Jahres, als ich aufgrund von Arbeitslosigkeit Kunde bei „Netto“ sein musste.

Es ist toll, jetzt kann ich diese ganzen Scherze machen, da ich selbst mal betroffen war. Ein Hoch auf Vorurteile!

Herr Kloedten, jener mir anvertraute Kundenbetreuer, versteht nicht recht:

„Wir zahlen in der Regel kein Kleidergeld, wenn es sich um Jogginganzüge handelt, Herr Hoeffges.“

„Herr Flotho … Aber ich habe bereits drei Anzüge durchgesessen! Ich sehe jeden Tag etwa sechs Stunden ‚Netflix‘!“

„Sie wissen schon, dass die Arbeitsagentur Ihre durch die Arbeitslosigkeit freigewordene Cait als Arbeitszeit betrachtet? In der Sie sich um einen neuen Job kümmern müssen?!“

Cait?“

„Zeit.“

„Das haben Sie geklaut! … Wie dem auch sei, ich kann mich doch unmöglich täglich um eine neue Stelle bemühen! Bisher sind die Angebote auch rar, die mir reinflattern“, erkläre ich geduldig Herrn Kloedten, der offenbar noch neu in seinem Job als … ja, als was eigentlich? Jobberater? Nein! Vermittler! … ist und noch nicht sooft mit Arbeitslosen zu tun hatte. Ich erkläre ihm weiter:

„Ich stehe morgens um 15 Uhr auf. Brühe einen Kaffee von Netto auf und trinke den dann im Bett, während ich darüber nachdenke, wie schrecklich ungerecht das System zu mir ist. Dabei schlafe ich dann meist ein.“

Denn in der Tat wirkt ein Kaffee in den ersten 15 Minuten nach der Einnahme schlaffördernd, wie ich jüngst las und sofort glaubte, da ich es ja las.

Herr Kloedten ist pikiert: „15 Uhr?! Bisschen spät, oder?!“

„Als ich studierte, war es 16 Uhr. Und Sie müssen bedenken, dass ich bis vier Uhr morgens Pornos konsumiere. Allein deshalb wäre ein weiterer Jogginganzug zum Wechseln nicht unangemessen. Er bröselt schon. Aber den neuen würde ich ungern von meinem Arbeitslosengeld zahlen. Darum meine Frage nach Kleidergeld.“

Immerhin, erkläre ich ihm, wechsle ich beim Netflix-Gucken ja auch durchaus mal die Sitzposition, womit ich leicht flunkere, da ich inzwischen das Sitzen drangegeben habe, weil es mich zu sehr anstrengt. Ich setze da inzwischen voll aufs Liegen.

„Und wie sieht es eigentlich mit dem Monatsbeitrag für Netflix aus; übernimmt das Amt den? Hätte ich Arbeit, würde ich vielleicht Netflix gar nicht haben. So gesehen ist das ja eine Ausgabe, die der Staat übernehmen sollte.“

„Herr Flotho, den Ernst der Lage haben Sie noch nicht ganz erfasst?“

„Doch, ich habe ja Geisteswissenschaften studiert. Den Ernst der Lage habe ich praktisch mit der Muttermilch aufgesogen. Alma Matermilch gewissermaßen.“

„Sie haben vor zwei Monaten Ihren Job verloren und gucken den ganzen Tag nur Netflix?!“

„Nicht den ganzen Tag. Ab 16 Uhr etwa. Wenn ich vom Kaffeeschlaf aufwache, …“

„… ziehen Sie sich vermutlich erst einmal Ihren Trainingsanzug an?“

„Nein, den habe ich ja schon vom Vortag an. Zeitersparnis, Herr Kloedten! Also, wenn ich dann aufstehe, gucke ich erstmal nicht in den Briefkasten.“

„Sie gucken nicht in den Briefkasten?! Sie wissen aber schon, dass Sie dazu verpflichtet sind, weil wir Ihnen Stellenangebote zusenden?!“

„Ja. Aber die vermiesen mir nur die Stimmung. Ich gucke derzeit ‚Arrested Developement‘, eine extrem skurrile Serie. Wenn ich da vorher Post vom Amt lese, ist meine ganze Stimmung dahin. Darum sammle ich erst einmal Ihre Post und gucke dann am ersten Montag des Monats mal rein in den Briefkasten. Vieles hat sich dann ja schon erübrigt.“

„Herr Flotho, wir können Ihnen auch das ALG kürzen, wenn Sie gegen Ihre Eingliederungsvereinbarung verstoßen!“, droht er mir nun.

„Gegen die was?!“

Eingliederungsvereinbarung! Die haben Sie bei unserem ersten Termin unterschrieben! Sie verpflichten sich darin, sich aktiv um eine neue Beschäftigung zu kümmern!“

„Ja, glauben Sie denn, ich habe gelesen, was ich unterschrieb? In dem Moment, in dem ich nach Jobverlust dieses Gebäude an der Grafenberger Allee betreten habe, habe ich Rechte, Freiheit und Würde abgestreift. Ich muss ja alles unterschreiben!“

„Müssen Sie nicht.“

„Ach, und dann?!“

„Hätten wir Ihnen das ALG gekürzt.“

„Sehen Sie! Und weil ich ja schlau bin, habe ich es unterschrieben und zwei Monate volles ALG bezogen! Man möchte meinen, so ein schlaues Kerlchen wie ich bekommt schnell wieder ’n Jobangebot!“

„Herr Flotho. Warten Sie nicht darauf, dass man Ihnen einen Job anbietet! Sie müssen ihn erst nachfragen!“

„Herr Kloedten, ich glaubte, das ist exakt das, was Sie für mich tun! Wenn ich bei der Agentur für Arbeit Kunde bin, sind Sie mein Dienstleister! Es spricht nicht gegen mich, dass ich noch keinen neuen Job habe, sondern gegen Sie! Und außerdem bin ich nur hier, um Kleidergeld für meine Trainingsanzüge zu beantragen. Da muss es doch ein Formular geben! Sie haben mich zugeschissen mit Formularen und Merkblättern, da muss es doch was geben!“

Es stimmt. Ich habe eine Menge „Merkhefte für Jobsuchende“ bekommen, während ich arbeitslos war. Ich habe nicht eines gelesen. Der Grund liegt auf der Hand: Es stehen keine Dinge dort geschrieben, die einen glücklich machen; sie machen den Leser unglücklich. Und außerdem heißen sie ja Merkhefte, weil man sich die Dinge, die darin stehen, selbst nicht merken muss. Das nehmen einem ja die Hefte ab. Übrigens machten mir die Merkhefte enorm Probleme beim Archivieren meiner ganzen Formulare, die ich bekam. Alles kann man lochen und abheften im Ordner „Arbeitslosengedöns“, den ich angelegt hatte, aber eben nicht diese Merkhefte. Sie habe ich stets in Klarsichthüllen gehüllt, damit bei meinen Amtsterminen Herr Kloedten immer sehen konnte, dass ich alles sehr staatstreu bei mir trug. In meinem Arbeitslosenordner.

Wenn man zum Arbeitsamt geht, trifft man dort auf sehr viele Leidensgenossen, die ebenfalls einen Ordner unter einem ihrer Arme tragen. Aber man trifft auch auf eine zweite Gruppe: die ohne Ordner, aber mit Kaffeebecher. Die ist schon etwas entspannter, hat aber dafür auch bereits resigniert. Sie lächelt auch, während ich immer mit zittrigen Gliedmaßen die Agentur betreten habe. In den „Einladungen“ zu jenen Terminen stand stets:

„Herr Kloedten möchte mit Ihnen über Ihre Bewerbungsaktivitäten sprechen.“

Urrrrrrrrrg. „Bewerbungsaktivitäten“! Puh, schnell noch dreißig Bewerbungen raushauen. Schnell einen VHS-Kurs besuchen; „Wie blende ich meinen Vermittler?“. Bietet die VHS an, die Kosten übernimmt die Arbeitsagentur.

Und außerdem dachte ich mir angesichts dieser Einladungen immer:

Ich möchte lieber über etwas anderes mit Herrn Kloedten sprechen.

Über Gott und die Welt unter Aussparung des Themas „Erwerbslosigkeit“.

Herr Kloedten gewährt mir kein Kleidergeld, womit mein Vertrauen in unser Sozialsystem stark erschüttert ist. Nun weiß ich auch, warum Arbeitslose immer in Feinripp-Unterwäsche auf der Couch hängen.


Ein ernstes Thema, wie ich den ersten Kommentaren hierzu entnehme. Gegen meine Art sage ich also dazu, dass die hier geschilderten Geschehnisse natürlich meinem genialen Geiste entspringen. Der Punkt aber zu den „Merkblättern“, der stimmt! 

Ich muss erwähnen, dass ich nicht ansatzweise etwas Schlechtes zu meinen durchweg guten Erfahrungen mit der Agentur für Arbeit sagen kann. Was nicht bedeutet, dass es die beste Cait meines Lebens war!

Ich weise auch nochmals auf den Unterschied zwischen Jobcenter und Arbeitsagentur hin, da die beiden oft in einen Topf geworfen werden. Ich habe gottseidank noch nie ein Jobcenter von innen gesehen!


Mehr Klischees und Vorurteile findet Ihr auf meiner Facebook-Seite! Neue Geschichten im seppolog gibt es ab kommender Woche wieder. Wegen Streitigkeiten mit der Arbeitsagentur muss ich leider für fünf Tage das Land verlassen.