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Gut aufgestellt für 2016 sei unser Unternehmen, hat man uns Anfang vergangenen Jahres gesagt. Irgendwie hatte ich es geglaubt und halte die Aussage auch nach wie vor für eine ehrlich gemeinte, die sich allerdings mit der Insolvenz einige Monate später nicht gut vertrug. Im Mai 2016 wurde ich arbeitslos. Wie auch meine grandiosen Kollegen (die es heute wieder sind; also Kollegen).

Arbeitslosigkeit gehört zu einer ordentlichen Berufsbiographie inzwischen dazu, rede ich mir ein, halte es aber für ungünstig, in meiner Branche zum Arbeitssuchenden zu werden. Und das hat man mir bei der Agentur für Arbeit auch sehr deutlich gemacht:

„In unserer Software ist Ihre Berufsbezeichnung gar nicht vorgesehen, Herr Flotho. Was machen wir da jetzt?“

„Dann nehmen Sie ‚Kameramann‘. Aber das bin ich nicht. Schreiben Sie dazu: ‚Das ist er nicht‘.“

Vom ersten Besuch beim „Amt“ wurde der Leser bereits im ersten Teil der heiteren Serie „Gut aufgestellt!“ in Kenntnis gesetzt. Dieses Mal soll es um meinen letzten von insgesamt drei Terminen bei der Agentur für Arbeit gehen. Und ich sage zwei Dinge direkt: Zum einen habe ich bereits wieder einen neuen Job und zum anderen war ich selten zuvor in meinem Leben so nervös wie unmittelbar vor jenem dritten „Gespräch“.

Der tägliche Blick in den Briefkasten war in jenen Monaten von einer gewissen Angst erfüllt, da ich an sich keine Post von der Arbeitsagentur bekommen wollte. Doch, das wird überraschen, gerade als Arbeitsloser bekommt man sehr viel Post vom staatlichen Dienstleister, der mir gegenüber immer wieder betont hatte, dass es ihm nur darum ginge, mich wieder in einen Job zu hieven. Ebenso freundlich war dann auch die Einladung formuliert, die ich im Oktober in meinem Postannahmebehältnis fand:

Sehr geehrter Herr Flotho,

Herr Maloch würde gerne am 25. Oktober 2016 mit Ihnen über Ihre Bewerbungsaktivitäten sprechen …

Beim Lesen dieser Zeilen kann es je nach Betroffenem einige gute Gründe für einen Kreislaufkollaps geben. Bei mir trafen sie alle zu. Insbesondere das Wort „Bewerbungsaktivitäten“ machte mir etwas Sorge, denn es würde wegen des Ausmaßes meiner Aktivitäten ein eher einseitiges Gespräch werden. Ich beschränkte mich nämlich mehr auf Bewerbungspassivitäten.

Und ich überlegte sogar, ob sie um das Ausmaß meiner Bewerbungsaktivitäten wissen und „Aktivitäten“ selbst schon ironisch meinen! Ich verstand es paranoiabedingt (Hallo, Sabrina!) als eine Drohung!

Meine Passivität hatte einen Grund. Nicht etwa war ich unwillens zu arbeiten, sondern ich setzte alles auf eine Karte, die ich hier nicht ganz so ausführlich ausbreiten möchte. Ich hatte nämlich schon ausgesprochen früh nach der Insolvenz meines ehemaligen Arbeitgebers einen Job in Aussicht, der meiner Idealvorstellung ganz und gar entsprach. Und da ich kein Mensch bin, der sich Gedanken um etwaige Pläne B macht, forcierte ich genau diesen einen Job, für den ich das eine oder andere noch tun musste, was günstigerweise mit einem Minijob verknüpft werden konnte, sodass ich ab Juli 2016 einen überschaubaren Betrag zu meinem noch überschaubareren Arbeitslosengeld (dessen Höhe ich übrigens nicht kritisiere) dazuverdienen konnte. Überschaubar blieb es dennoch, aber zum Überleben genügte es.

Es gibt zwei Klischees in diesem Zusammenhang. Erstens heißt es oft, die Agentur für Arbeit sei ein mieser Verein. Ich betone an dieser Stelle abermals, dass ich – klingt kurios, ist aber so – ausnehmend gute Erfahrungen mit den Menschen dort, mit denen ich Kontakt hatte, gemacht habe. Ich kann niemandem etwas vorwerfen, auch war man immer freundlich zu mir. Das mag die Regel sein, vielleicht aber auch Glück. Dieses Klischee also kann ich hier nicht bedienen, so wenig wie auch zweitens:

Zweitens hört man gelegentlich, der Erwerbslose verfalle einer gewissen Lethargie, während ihm sein Tagesablauf entgleite. Das mag hier und da so sein, mir jedenfalls war von Anfang an klar, dass ich nach wie vor zwischen sechs und sieben Uhr morgens aufstehe und mich in meine Abläufe stürze, mit denen ich durchaus 24 Stunden pro Tag füllen kann. So begann ich, massiv Sport zu betreiben, was ich auch jetzt – trotz Jobs – noch weiterführe (muss nun um halb sechs aufstehen, um das unterzukriegen), viel zu lesen und nebenbei die Wohnung zu renovieren. Von Lethargie also keine Spur.

Aber: Bewerbungsaktivitäten?! Gut, es gibt diese Zwangsbewerbungen, die einem das Amt aufdrückt (Man kann sie ausschlagen, doch dann gnade einem Gott!). Dabei geht es bei jedem Betroffenen anders vor. Ich weiß von Kollegen, die sich fünf Mal pro Woche irgendwo bewerben mussten und das inklusive Nachweis darüber, und ich weiß von mir, der in acht Monaten der Arbeitslosigkeit (die auch neben jenem Minijob weiter bestand), sich etwa zehn Mal zwangsbewerben musste. Ich erwähne auch hier wieder mein Lieblingsbeispiel: Ich sollte mich bei einem Frisör in Mülheim an der Ruhr bewerben. Nun hätte ich meinen Sachbearbeiter anrufen, ihn darauf hinweisen können, dass man mir nie eine Schere in die Hand geben sollte. Einfacher aber schien es mir, mich dort zu bewerben. Mit einem zehn Jahre alten Passfoto, das als Bewerbungsfoto herhalten musste. Wer auch immer diese Bewerbung in Händen hielt, wird schnell gemerkt haben, dass ich für vieles qualifiziert bin, nicht aber für das Frisörhandwerk.

Grundsätzlich war ich (anders als unser Unternehmen – ha-ha) eher ungünstig aufgestellt für die Jobsuche. Das, was ich kann, von dem ich sogar selbst glaube, es einigermaßen zu beherrschen, ist nicht in dem Ausmaß auf dem Arbeitsmarkt gefragt, wie es angeboten wird. Ich sah kaum Chancen für mich und wusste zudem sehr gut, was ich auf keinen Fall tun würde. Hartz IV ist mit Sicherheit die absolute Hölle. Doch ich kenne da eine ganz persönliche Hölle, die ich der ersten nicht vorgezogen hätte.

Um halb elf vormittags schlug ich an jenem Oktobertag in der Agentur für Arbeit in Düsseldorf auf, nachdem ich in den Tagen zuvor noch zügig einige Panikbewerbungen rausgeschickt hatte, damit ich Herrn Maloch etwas vorzuweisen hatte. Meine Taktik war diese: souverän auftreten, einigermaßen selbstsicher, absolut höflich und freundlich, nicht aggressiv und eher ein bisschen demütig. Und: eloquent. Ich hatte oft mit Blendern zu tun und mir vorgenommen, nun zumindest auch einmal leicht zu blenden. Es geht überraschend einfach!

Als ich dann im Flur vor dem Zimmer Platz nahm, war jede Souveränität weg. Es fällt mir etwas schwer, es hier zuzugeben, aber ich weiß, dass es manchem meiner früheren Kollegen exakt genauso ging: Ich saß da und mir zitterten die Beine, während die Gedärme Kapriolen schlugen.

Dem noch nie arbeitslos gewesenen Leser sei es erklärt: Man erhält zwölf Monate lang ALG I und wird einigermaßen in Ruhe gelassen, sieht man von den Zwangsbewerbungen ab, die ja auch durchaus eine Hilfestellung sein können. Sie wollen einen damit ja nicht ärgern. Nach diesen zwölf Monaten wird es jedoch unangenehm ernst. Da ich das nicht erlebt habe, kann ich es nur erahnen: Wer sich über das Sitzen bei der Arbeitsagentur beklagt, wird sich dorthin zurücksehnen, sitzt er erstmals in einem Jobcenter. Der Umgangston gegenüber ALG II-Empfängern ist ein anderer als gegenüber ALG I-Empfängern. Zudem ist da die Nummer mit

„Den Job will ich nicht!“

nicht ganz so einfach. Man ist nicht mehr Herr seiner Lage. Und es gab durchaus Tage, da sah ich mich schon – nichts gegen diese Arbeit – als Gabelstaplerfahrer gegen meterhohe Regalwände brettern. Es wäre nicht meine Welt. Und in jener Welt würde mich auch – zurecht – niemand haben wollen.

Und ganz nebenbei macht sich „Hartz IV“ unter „Besondere Fähigkeiten“ im Lebenslauf nicht gut. Man gerät in einen Teufelskreis. Da sollte der Gesetzgeber einmal drüber nachdenken.

Mit anderen Worten: Die Uhr tickte, Hartz IV noch weit am Horizont, aber durchaus präsent in meinem Kopf, da ich ja eh zur Panik neige. Eine Eigenschaft, deren Ausprägung durch solche Erfahrungen durchaus abnimmt. Mit meinen 35 oder 37 Jahren spüre ich erstmals so etwas wie Altersgelassenheit … dazu später mal mehr.

Um elf Uhr werde ich pünktlich von meinem Sachbearbeiter, Herrn Maloch, in sein Zimmerchen gebeten. Meine Hände sind schweißnass, ich reiche ihm also erst mal nur eine.

„Wie geht’s, Herr Flotho?“

Tja, was soll man da sagen?!

„Bestens“, lüge ich, denn ich will ja unfassbar souverän rüberkommen. Was mir nach anfänglich holprigen Minuten auch gelingt. Es hat etwas von mündlichen Prüfungssituationen: Die Atmosphäre einmal erfasst, findet man Halt und fängt sich. Ich lege los. Denn das ist mein Plan. Ihn gar nicht groß zu Wort kommen zu lassen, da ich folgendes erst gar nicht hören will:

  • Herr Flotho, Sie haben sich hoffentlich zahlreich beworben?
  • Herr Flotho, Zeitarbeitsfirmen kommen jetzt für Sie leider in Frage.
  • Herr Flotho, schon einmal daran gedacht, nach München zu ziehen?
  • Herr Flotho, Bock auf Umschulung? Frisör?
  • Herr Flotho, Bock auf VJ?

Ich also: „Ja, sieht gut aus bei mir.“

Das ist übrigens so nicht gelogen, aber massiv optimistisch und eben mein einziges und bestes Blatt.

„Da wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Vollzeitjob draus!“, utopiere ich weiter, denn sicher kann ich nicht sagen, dass aus dem Minijob, der noch minier ist als ein eigentlicher Minijob, tatsächlich die Vollendung meines Planes A werden würde.

Im Nachgang habe ich nicht ohne Stolz gedacht, dass ich Herrn Maloch tatsächlich mit meinem fast schon lässigen Optimismus überrollt habe. Es ist eine Kunst, das Gegenüber für sich einzunehmen. Und eine Sache gab mir schon seit dem Morgen Auftrieb: Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.

Trivia: Es war ausgerechnet dieser Blog, der mir zu diesem Vorstellungsgespräch verholfen hatte … Das seppolog ist plötzlich mehr als nur ein Hobby.

Aus dem Nichts heraus tat sich ein Plan B auf … der wenige Tage später obsolet geworden war. Ich durfte mir die Arroganz leisten, das Vorstellungsgespräch abzusagen. Da ich einen neuen Job hatte.

Andernfalls hätte ich zu einem weiteren Gespräch mit Herrn Maloch gemusst: am 27. Dezember. Freunde, geht’s noch?! Zwischen den Jahren?! Zur Arbeitsagentur?! Gut, es kam nicht dazu.

Die zweite Arbeitslosigkeit, die ja nicht zwangsläufig kommen muss, sähe ich vermutlich um einiges gelassener, zumal dann breiter aufgestellt, nachdem ich einige Dinge aus meinem Lebenslauf getilgt haben werde. Überlegt Euch gut, womit Ihr anfangt, manch einer meint, Euch darauf festlegen zu dürfen.

Im Grunde ist es zunächst kein Weltuntergang, in die Arbeitslosigkeit zu geraten, da man ein ganzes Jahr hat, dort wieder herauszukommen, was im Einzelfall natürlich dennoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht so einfach sein muss. Doch wie das so ist, vergehen solche Fristen, deren Ablauf man keineswegs erleben möchte schneller als beispielsweise das Warten auf Weihnachten. Irgendwann ist ein halbes Jahr rum und man beginnt, die Monate zu zählen. So war es bei mir. Und exakt dieses Ticken der Uhr machte mich von Monat zu Monat nervöser. Und das als Uhrenfreund …

So ich es nicht vergesse, erleben wir im nächsten Teil dieser aus dem Leben gegriffenen Serie, wie die Agentur für Arbeit mir zwei Monate lang kein ALG I gezahlt hat. Weil sie mir nicht glaubte, dass ich arbeitslos sei. Im Nachhinein recht lustig.


Was esse ich nun? Auf Facebook poste ich kein entsprechendes Foto.