kopf

Eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf. Und das an sich ist bereits ein Kuriosum und des Pudels Kern: Warum geht einem so vieles nicht aus dem Kopf? Wie bleibt das Abstrakte dort drinnen?! Wie ist es fixiert? Wir können es nicht greifen und dennoch bleibt es immer da.

Der Körper erneuert sich permanent. Der Sieben-Jahres-Rhythmus gehört zwar ins Reich der Mythen, so erneuert sich unser Skelett praktisch alle zehn Jahre, während das Herz zu 60 Prozent ein Leben lang dasselbe bleibt, da nur 40 Prozent seiner Zellen sich runderneuern. Die Haut hat es noch eiliger, sie erneuert sich alle paar Tage immer wieder. Letztlich darf man davon ausgehen, dass wir alle zehn Jahre im Wesentlichen komplett renoviert sind. Dabei geht einiges zu Bruch, wir werden daher gebrechlich. Aber: Im Durchschnitt sind die Zellen eines 50-Jährigen maximal zehn Jahre alt.

Wie bleiben die Dinge im Kopf? Erinnerungen. Erfahrungen. Das eigene Wesen. Die Seele also. Es hält sich mitunter der urbane Mythos, dass ein verstorbener Mensch unmittelbar nach seinem Dahinscheiden um einige wenige Gramm erleichtert ist. Viele glauben, oder wollen glauben!, dass sich die Gewichtsabnahme aus dem Verlassen der Seele aus dem Körper Körper ergibt. Demnach wiege die Seele 21 Gramm, wie es ein Arzt (Duncan MacDougall) herausgefunden haben will. 1901 war das, Psychostasie nennt man das im weitesten Sinne und es ist widerlegt: Der Mensch wiegt unmittelbar nach seinem Tod nicht weniger. Das seppolog sucht Freiwillige für ein gut bezahltes Experiment …

Die Wissenschaft tut sich überdies mit dem Seelenbegriff schwer, unterminiert ihn, kann der Seele Nichtexistenz allerdings auch nicht beweisen. Aber auch die Nichtexistenz von Gott lässt sich nicht beweisen (wie auch das Gegenteil nicht!).

Dass da etwas Immaterielles in uns ist, kann ich persönlich nur schwer glauben. Hier ernte ich sicher Protest, aber ich will es einmal ganz rational betrachten, was das Unfassliche aber keineswegs abwerten soll.

Letztlich sind es biochemische Prozesse, die wir einfach noch nicht verstehen und es ist ja auch mitnichten so, als hätten wir das Ende der Wissenschaft bereits erreicht, sodass spätere Generationen vielleicht darüber schmunzeln werden, wie wir uns das eine oder andere vorstellen und erklären, was wir nicht erklären können. So wie wir heute die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn wir an Therapien wie den Aderlass denken. Noch heute behandelt manch ein Irrer Krebs mit Vitamin C. Noch heute, oder gerade heute verweigern nicht wenige Eltern die simpelsten Impfungen ihren Kindern, was dramatische Folgen haben kann. Klugheit hat es immer wieder schwer, weil da eine stete Skepsis ist und dem Menschen wohl inhärente Drang, an das eigentlich Irrationale glauben zu wollen.

Nebenbei ist der Begriff der Seele ein religiöser, allein deshalb schon eher abzulehnen, da er mit Bedeutung überladen und von der Kirche instrumentalisiert worden ist.

Manch einer mag nun bedauern, wenn jemand nicht an etwas Immaterielles in uns glaubt. Das allerdings zeigt nur, dass derjenige eben seinen Maßstab zur Bewertung dessen anlegt, wohingegen ich mit der Idee, die Seele ist einfach nur ein biochemisches Gedöns, sehr gut leben kann, da es das, was ja auch ich Seele nenne, nicht abwertet. Vielleicht als Vergleich: Ich glaube nicht, dass es per se einen „Sinn des Lebens“ gibt. Ich kann natürlich 80 Jahre vergeblich danach suchen, aber letztlich sind wir ein Zwischenschritt einer evolutionären Entwicklung. Es ist Zufall, dass wir da sind, was es aber ebenfalls nicht abwertet. Denn jeder kann seinem Leben ja durchaus einen individuellen Sinn geben. Mir persönlich fehlt nichts, wenn ich davon ausgehe, dass es keinen höheren Sinn gibt. Muss es doch auch nicht; macht unser Dasein deswegen ja nicht überflüssig. Wir neigen dazu, unser Dasein zu überhöhen,

Und das aus Seppos Munde!

vielleicht weil wir es eben nicht begreifen. Ich werte damit auch kein Leben ab; ich sage nur, wir kommen ohne einen Auftrag auf die Welt. Wäre dennoch schön, wir verhielten uns anständig und weniger egoistisch, wobei ich jeden Menschen für egoistisch halte, mich ausgeschlossen. Wie oft sah ich mich schon enttäuscht im Leben, wenn ich realisierte, ja, auch dieser Gefährte ist letztlich egoistisch? Oft.

Aber wenn man sich mal so hinsetzt. Oder das tut, was den Einzelnen von uns runterholt, was bei mir beispielsweise der tägliche Lauf vermag, bei dem ich die entspanntesten 60 Minuten meines Tages erlebe, weil ich nur da allein mit mir und meinen Gedanken bin, dann fragt man sich schon gelegentlich: Was zur Hölle sind eigentlich Gedanken?! Warum bin ich morgen noch derselbe Mensch? Klar, jeder entwickelt sich weiter, aber letztlich bin ich morgen noch dieselbe Persönlichkeit wie in diesem Moment. Und das zieht sich über Jahrzehnte, wobei natürlich der Zehnjährige sich anders verhält als der 90-Jährige. Doch die wesentlichen Wesenszüge sind von Beginn an bei jedem zu erkennen. So erzählt meine Mutter mir heute noch und öfter, als mir lieb ist, dass man mich schon als Kind in eine Ecke setzen konnte, wo ich mich hervorragend mit mir selbst beschäftigen konnte. Das funktioniert heuer noch ausgesprochen gut, ich möchte fast das Bonmot bemühen: „Ich brauch nicht viel“. Denn das Wesentliche findet im eigenen Kopf statt.

Ich sehe oft meiner Mitbewohnerin in die Augen und denke darüber nach, dass ich sie seit zwölf Jahren kenne. Aber so tief ich auch in sie hineinsehe, so gelingt es mir nicht, sie vollumfänglich zu ergründen. Und denke jedes Mal, ich muss viel öfter ihr tief in die Seele blicken, denn eines habe ich für mich gelernt: Es genügt der Blick in die Augen und ich weiß das Wesentliche über einen Menschen, noch lag ich nicht ein einziges Mal falsch. Doch, ein Mal. Die Ausnahme der Regel …

Als Kind und auch als Jugendlicher habe ich geglaubt, man wird erwachsen. So richtig wird man es gar nicht, es ist vielleicht auch ein Mythos. Wir werden womöglich reifer, weniger kindlich, aber letztlich sind doch die Gedanken immer dieselben. Ich hätte vor 20 Jahren nicht geglaubt, dass ich mit 36 oder 37 immer noch mit Unsicherheiten durchs Leben gehe. Immer noch so viele Fragen habe und noch immer nicht jeder Situation gewachsen bin. Das kann ich deswegen so offen äußern, weil ich von Freunden weiß, dass es bei ihnen nicht anders ist. Und so sehr ich mich auf Altersweisheit freue, so ahne ich doch, dass man auch mit 70 noch Fragen hat.


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