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Vor ziemlich genau einem Jahr hatte ich sehr viel Zeit. Ich hatte einen Acht-Stunden-Job mit einer ausgesprochen glitschigen Gleitzeit-Komponente, die es mir erlaubte, den Vormittag bis in den Nachmittag hinein auszudehnen. Diesen Segen an Freizeit, für die ich nebenbei erwähnt (freiwillig) über Jahre einen hohen Preis gezahlt habe, füllte ich ab Januar 2016 mit einem erheblichen Maß an Kraftsport aus. Das seppolog berichtete, manch einer wird sich noch an Dorian Black erinnern, der derzeit übrigens mit einer heftigen Herzmuskelentzündung in einer Klinik liegt. Von dieser Stelle aus: Alles Gute! Bisschen viele walking lunges, woll?!

Ab Mai 2016 entschied ich mich für eine noch extremere Form der Gleitzeit: Ich wurde arbeitslos. Um nicht einer Lethargie zu verfallen, beziehungsweise aus der wieder herauszukommen, in die ich wider meine Planungen dann doch gestürzt war, erhöhte ich meine Dosis an Kraftsport auf rund vier Stunden pro Tag. Oftmals wurde mir damals Sportsucht unterstellt, wovon ich mich jedoch freisprechen kann, nachdem ich mal einen Fachartikel über jenes Phänomen gelesen hatte. Sportsucht ist eine ausgesprochen unangenehme Geschichte, die mit Sport nicht mehr viel zu tun hat. Dennoch, was Laufen und Kraftsport anbelangt, lege ich eine enorme Disziplin an den Tag, die mir in anderen Dingen allerdings fehlt, was dieses Eigenlob relativiert. Ich glaube, jeder hat so seine Hobbys, die für ihn ein erhebliches Maß an Priorität besitzen. Dass es bei mir das ist, wo manch andere mit einem kräftigen Schweinehund zu kämpfen haben, ist schlicht Zufall; es hätte auch die Zoologie werden können. So beneide ich beispielsweise die Menschen, die ihren Klavierunterricht nicht mit 16 Jahren aufgegeben haben, während ich heute nur noch C-, G- und F-Akkorde beherrsche. Aber auch daraus lässt sich vermutlich ein Hit komponieren, beispielsweise ein Protestlied gegen den braunen Sumpf, der einfach nicht trockenzulegen ist.

Als ich also entdeckt habe, dass diese Art von Sport (als absolutes Gegenteil von Mannschaftssport) genau mein Ding ist, habe ich ihn forciert und mir drei Monate Zeit gegeben: Bis April 2016 sollte man mir den Kraftsport ansehen können, meine Eitelkeit also befriedigt sein. In der Jury saß und sitzt meine Mitbewohnerin, die mir auf ehrliche Weise Fortschritte bescheinigt(e), sodass ich bis heute dem Kraftsport treugeblieben bin. Und Zeit hatte ich ja.

Hatte.

Denn mein neuer Job, den ich als optimal bezeichnen kann, erlaubt mir kein Frühstück am Nachmittag, sodass ich vor der Wahl stand, meinen Sport massiv einzuschränken oder auf eine andere zeitraubende Tätigkeit zu verzichten. Also kündigte ich. Nein, kleiner Scherz. Ich strich in diesem Jahr einen Teil meines Schlafes zugunsten des Hochhebens und Absetzens von Hanteln, deren einziger Daseinszweck es ist, schwer zu sein. Es ist schon irre; der Mensch baut sich griffige Dinge, die einfach nur schwer sind, damit er sie hochheben kann, weil der Wohlstandsalltag seinen Körper degenerieren lässt.

An sich bin ich der Typ, der gerne seine acht Stunden schläft, womit er auch die Netto-Schlafcait meint. Ich habe ja immer geahnt, es geht auch mit weniger, aber nach weniger als acht Stunden aufzustehen ist und bleibt als erste Tätigkeit des Tages eine, auf die man sich nicht freut.

Heute wurde ich um 05.25 Uhr wach. Und ich habe mich gefreut. Darüber, dass mein Wecker erst um 05.30 Uhr gehen würde. Dann wurde mir bewusst, dass fünf Minuten im Grunde nichts sind. Dieser Gedanke dauerte etwa zwei Minuten, sodass ich um 05.27 Uhr beschloss, dass ich auf die noch möglichen drei Minuten Schlaf auch verzichten könnte. Und stand auf. Litt auf dem Weg zur Küche vor mich hin, schmiss die Kaffeemühle an, befüllte die Filtermaschine mit Wasser, stöhnte auf, wischte das daneben gegossene Wasser wieder weg, befüllte die Maschine abermals mit Wasser und dann mit den gemahlenen Bohnen. Bevor ich morgens Kaffee getrunken habe, ist die Welt für mich eine ausgesprochen düstere, von der ich in diesen Momenten immer denke, sie wird nie wieder besser. Gottseidank sieht das bereits nach dem ersten Schluck Kaffee anders aus, sonst bräuchte ich wohl Psychopharmaka.

Ab diesem Moment läuft die Zeit. Das ist neu in diesem zweiten Jahr meines Kraftsportes, der inzwischen mehr Raum als das tägliche Laufen einnimmt. Ich gebe mir zunächst etwa 90 Minuten Zeit, um die Zeitung zu lesen. Ich lese also über Trump, Wilders und Le Pen und freue mich, dass zumindest uns keine rechte Irre als Kanzlerin droht.

Nach Ablauf dieser eineinhalb Stunden, von denen ein nicht unerheblicher Teil auch auf der Toilette verbracht wird, versetze ich meinem Herz-Kreislaufsystem einen Schock: Ich mache Sport.

Morgendlicher Sport ist zweifellos gesund, doch gibt es Morgene, an denen mein Körper mir unmissverständlich signalisiert, dass er nicht damit gerechnet hat, dass es bereits um kurz vor sieben losgeht. Inzwischen weiß ich, dass man nur den Anfang finden muss und die Nummer nach wenigen Minuten tatsächlich so etwas wie Spaß macht. Den Effekt habe ich beim Laufen übrigens nicht: Laufen kann vom Anfang bis zum Ende enervierend sein. Heute hatte ich wieder so einen Lauf, bei dem einfach keine Stimmung aufkommen wollte. Zumindest keine gute. Beim Kraftsport ist das anders. Man kann noch so schwach anfangen, der Körper merkt irgendwann, dass er gefordert wird und stellt sich offenbar darauf ein.

Jeden Tag stehen zwei Muskelpartien an; inzwischen, ganz Beamtensohn, habe ich einen Plan aufgestellt, damit ich montags schon weiß, was mir sonntags alles wehtun wird:

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Dieser wird sonntags festgelegt und in der Folgewoche ausgesprochen unflexibel gehandhabt, da er durchaus durchdacht ist. Zur Erklärung: „Bru“ bedeutet „Brust“, „Orü“ „oberer Rücken“ und den Rest darf sich der Leser erschließen. Wir sehen, der obere Rücken kommt viel zu kurz, da muss ich nacharbeiten!

Der Kraftsport hat den angenehmen Nebeneffekt, dass er mich unfassbar motivierte, danach laufen zu gehen. Dieser Effekt allerdings war nach wenigen Wochen verflogen, sodass ich es nach dem Kraftsport doch wieder mit dem zweiten inneren Schweinehund aufnehmen muss. Über den kann ich nicht lange nachdenken, denn es geht nach kurzer Bartpflege danach sofort los zum Laufen; es ist dann etwa 09.30 Uhr, ich bin seit vier Stunden wach.

Etwas mehr als eine weitere wache Stunde später sitze ich im Auto und mir fallen die Augen zu. Da ich einen Fahrer habe, fällt das aus verkehrssicherheitstechnischer Sicht nicht ins Gewicht, meine Schlafphasen haben also keinen Einfluss auf die anderen Autofahrer auf der A57.

Dieser Tagesrhythmus hat einen Effekt, den ich umgehend in mein Herz schloss: Wann immer ich abends ins Bett gehe, bin ich innerhalb von drei Minuten weg, während meine Mitbewohnerin mir noch von ihrem Tag erz- … ZzzZZz

Der Sport hat für mich inzwischen mehrere Funktionen. Natürlich geht es mir darum, dass ich in, sagen wir mal, 20 Jahren noch so fit bin, als wären erst zehn Jahre vergangen und ja, es geht mir auch darum, eine gewisse Statur aufzufahren. Doch die positiven Effekte von Krafttraining (und sowieso von Laufen) sind ja viel weitreichender. Kraftsport ist der optimale Sport, um nebenbei mehr essen zu können ohne zuzunehmen, was das Laufen beispielsweise nicht zu leisten vermag. Kraftsport stärkt überdies auf beeindruckende Weise das Immunsystem, aber auch die Statik des menschlichen Körpers. Erst vor Kurzem konnte ich mit großer Freude feststellen, in manchen Bereichen eine enorme Kraftausdauer entwickelt zu haben, die mir im Alltag zunehmend oft positiv auffällt. Ich kann es also jedem nur nahelegen, es auch einmal zu probieren, es lohnt sich – schon nach kurzer Zeit!


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