spd

Irgendwann im Jahre 2001 war ich in Anwesenheit meines damals besten und betrunkenen Freundes Pavel betrunken. Ich weiß nicht mehr, warum, aber irgendwie kamen wir auf die Idee, der SPD beizutreten.

Betrunken geschmiedete Pläne sind immer mit Vorsicht zu genießen und werden meist spätestens am Morgen danach gottseidank als völliger Irr- und Schwachsinn verworfen. (Schlimm ist es, wenn man sie noch betrunken umsetzt. Was habe ich mir nicht schon alles angeheitert bestellt!) Doch diesen Plan verwarfen wir nicht, da uns Schröder und Eichel offenbar derart beeindruckt hatten, dass wir wirklich zu Genossen wurden.

Ich bin also seit 16 Jahren Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, woran mich stets Mitgliedsbeitrag und Vereinsorgan („Vorwärts“) erinnern. Denn ansonsten bin ich sehr passiv, was man auch daran ablesen kann, dass ich auch nach Umsiedelung nach Düsseldorf nach wie vor im Ortsverein Hiltrup registriert bin, den es so gar nicht mehr gibt.

Der Eintritt in diese Partei, die den kranken Mann Europas wieder gepäppelt hat, was niemand, der über Verstand verfügt, anzweifeln kann, lief damals so ab, dass man dort anrief und sein Anliegen vortrug. Womit Pavel und ich nicht gerechnet hatten, war der Umstand, dass der Besuch durch einen Parteigesandten unabdingbar war.

An einem sehr sonnigen Nachmittag im Herbst klingelte also der Ortsvereinvorsitzende bei meinen Eltern:

„Ich möchte Sebastian Flotho sprechen.“

Ich hatte im Grunde keine Lust, mit ihm zu sprechen, da ich lediglich Parteimitglied werden wollte, aber vermutlich wollte man meine politische Gesinnung abchecken. Und so saßen wir auf der Terrasse bei Mineralwasser und diskutierten die aktuelle politische Entwicklung sowie die Notwendigkeit der Konsolidierung, der schwarzen Null also, die unter der SPD als Kanzlerpartei leider nie erreicht wurde. Aber „Konsolidierung“ war damals das bestimmende Schlagwort, von dem wir irgendwann sogar wussten, was es meint.

Das Gespräch verlief zu Gunsten der Sozis, ich wurde also Mitglied und weiß, wie es ist, in Fußgängerzonen Flugblätter zu verteilen. Es ist nicht schön. Man wird beschimpft, weil man die Hartz-Reformen verbrochen hat. Daher habe ich auch nie Flugblätter verteilt. Ich sah mich eher als passiver Parteifunktionär ohne Funktion.

Das Beitragsbild zeigt mein Parteibuch. Nicht alle Parteien geben eines aus und bei der SPD bekam man zumindest damals noch die „SPD Card“ oben drauf. Die samt ihren Vergünstigungen gibt es seit 2007 nicht mehr. Seitdem bekomme ich also auch keine Rabatte mehr in „Dorint“-Hotels. Aber die habe ich auch nie beansprucht (lohnt stundenweise nicht), dennoch trug ich die Karte mit Stolz und wurde dafür auf dem Schulhof verkloppt. Wobei ich 2001 mich eher auf einem Campus bewegt habe, über den die Uni Münster gar nicht verfügt.

Ich weiß, dass die Hartz-Reformen gerade unter ALG II-Empfängern unbeliebt sind. Das würde ich vermutlich als Betroffener genauso sehen, glaube aber, dass Schröder einiges bewegt hat und wir mit vier weiteren Jahren unter Kohl anders dastünden. Ich ertrage auch nicht mehr die Unterstellung, er habe die sozialdemokratische Seele verraten. Das ist eine Floskel, die Journalisten gerne benutzen, weil sie sich ganz nett anhört. Er hat das Land modernisiert, Atomausstieg inklusive übrigens. Das ist aber letztlich politische Geschmackssache und mir schmeckt freilich nicht alles, was unter SPD-Ägide geschieht (Das grüne Dosenpfand war so eine Kröte …). Wäre beispielsweise Gabriel in diesem Jahr als Kanzlerkandidat angetreten, hätte ich meine Stimme der CDU gegeben, auch wenn wir ja eigentlich keinen Bundeskanzler wählen, sondern den Bundestag. Doch die Verhältnisse sind nicht so.

Nun sind sie wieder da, die Genossen. Bundespräsident Steinmeier, ich darf ihn als Genosse Franky nennen, und, mit sehr viel Glück, Kanzler Schulz werden die rechte Welle stoppen. Ich ziehe mir derzeit jedes Steinmeier-Interview rein, den Mann hätte ich auch gerne als Kanzler gesehen, aber gut, das höchste Amt im Staate ist besser als das dritthöchste.

Natürlich findet der Hype um Schulz, Schype, viel zu früh statt. Eine ähnliche, aber nicht ganz so ausgeprägte Euphorie gab es schon bei Steinbrück; sie ebbte schnell ab. Das wird im Falle Schulz natürlich auch passieren und sicherlich wird der eine oder andere Journalist (oder eben die Russen) noch unschöne easter eggs in der Karriere Schulz‘ finden; es wird ja bereits manches hochgekocht, sodass die SPD bereits von einer Schmutzkampagne gegen ihn spricht.

Was ich völlig irrelevant finde. Denn Tatsache ist, dass er aus dem EU-Parlament eine schlagkräftige Institution gemacht hat. Mir ist auch egal, dass er kurz davor war, sein Versprechen zu brechen, das Amt des Parlamentspräsidenten abzugeben. Was soll’s. Für mich entscheidet: Er ist seit langem ein Politiker

Und natürlich dürfen Politiker Berufspolitiker sein! Alles andere ist naiv und wohlfeil.

, dem ich das abnehme, was er sagt, was bei Gabriel (ich darf ihn Siggi nennen) freilich nicht der Fall war. Schulz nehme ich ab, dass er das hat, wovon Helmut Schmidt mit dem Ratschlag, einen Arzt aufzusuchen, abriet: eine Vision.

Eine weitere Kanzlerschaft Merkels, die ich gar nicht im Grundsätzlichen ablehnte, wäre Öl auf das Feuer, das die AfD derzeit in unserem Land legt, in dem nebenbei erwähnt die Reallöhne seit langem wieder steigen. Weder CDU noch AfD hatten Schulz auf der Rechnung, ja nicht einmal die Basis der SPD. Denn auch ich war davon überzeugt, dass Gabriel sich das nicht nehmen lässt. Der geht nun ein in die SPD-Geschichte als der Mann, der mit der Putzfrau sprach, und als der Mann, der Bundespräsident und Kanzler gemacht haben wird. So war der ehemalige Pop-Beauftragte der Sozialdemokraten doch noch ein hervorragender Vorsitzender, dem ich aber nie abgenommen habe, was er von sich gab. Wobei mir das Rotzige gefällt, dass er eben nicht aalglatt ist.

In der SPD hätte ich nie Karriere machen können, da ich kein Konsenstyp bin. Wegen meiner demagogischen Fähigkeiten hätte eher die AfD ein Auge auf mich geworfen. Hätte mich da hocharbeiten sollen, um dann an der Spitze die Partei aufzulösen. Ich bin inzwischen so weit zu sagen, dass alles besser ist als eine starke AfD. Bundeskanzlerin Wagenknecht? Bundespräsident Sonneborn sen. (Die Partei) oder Bundespräsident Richter Alexander Hold (Freie Wähler)? Alles besser als AfD-Personal. So weit sind wir schon. Dass die Linken, die ich so herzhaft ablehne, plötzlich ein lächerlich kleines Übel geworden sind.

Schulz mobilisiert Nicht-Wähler. Das allein ist eine wertvolle Leistung. Oder eher ein Nebeneffekt, denn er hat ja noch nichts getan. Aber dennoch ein Effekt, der nicht hoch genug einzuschätzen ist. Ich ahne, dass viele Schulz ablehnen, eben weil er gerade so gehypet wird (was kein gültiges Argument ist). Aber nach einer Frau als Bundeskanzlerin wäre doch ein abiturloser, trockener Alkoholiker eine weitere interessante Randgruppe in der dritthöchsten Position, die die Verfassung vorsieht.

Ich stürze mich nun jedenfalls in eine SPD-Euphorie, der mit Gegenargumenten nicht beizukommen sein wird. Ich hörte vor Jahren einmal ein Interview mit Jörg Thadeusz und eben Schulz, damals frischer Parlamentspräsident, und schon da ahnte ich, dass dieser Mann Deutschland ganz guttut. Herrlich die Szenen, in denen er im EU-Parlament gegen rechte Spinner wettert und klare Kante zeigt. Das fehlt mir derzeit; dass die Vernunftgetriebenen laut und vernehmbar sprechen und das Feld nicht den Nazis reloaded überlassen.

Das seppolog bleibt politisch natürlich wie gewohnt neutral und unabhängig, rät aber mit Nachdruck dazu, die Stimme der SPD zu geben. Meiner SPD!

Übrigens: Früher habe ich Protestwähler verstehen können. Doch das war naiv. So zu tun, als würden „die da oben“ nur für die eigene Karriere arbeiten, halte ich für eine abgedroschene Sichtweise, die als Argument ohnehin nicht sticht. Das ist oftmals Klischee, das am Stammtisch bleiben sollte. Wer glaubt denn, dass rechtes Gesocks nicht an die eigene Leiter denkt!? Nicht zur Wahl zu gehen, war ein Luxus, den wir uns in diesen bitteren Zeiten nicht mehr leisten können.

Just jetzt lese ich, dass die AfD bereits Stimmen an die SPD verliert. Hoffentlich verstetigt sich dieser Trend.

Und Pavel?, der ist auch noch in der SPD. Ein hohes Tier.


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