„Curriculum Vitae“ soll man seinen beruflichen Lebenslauf unter gar keinen Umständen mehr überschreiben, da es zu sehr nach Möchtegern klingt, was ja ehrlicherweise auch der Fall ist. Meine Lebensläufe habe ich vor zehn Jahren noch so betitelt und kam mir unfassbar klug dabei vor – heute schäme ich mich dafür. Zuletzt hat man mir bei der Agentur für Arbeit nahegelegt, das keinesfalls noch einmal zu verwenden. Vielleicht, weil es viele auch gar nicht mehr verstehen.

Und damit starten wir in die dritte Runde des heiteren ABCs meines Lebens; ins seppoABC. Lange habe ich über einen Begriff mit C nachgedacht, der irgendwas mit meinem Leben zu tun haben könnte. „Charisma“ drängt sich geradezu penetrant auf, dass es mir schon peinlich ist, „Camouflage“ ist einfach nur ein Wort mit C und „Charakterschwein“ fand ich zu autoaggressiv. Meine Mitbewohnerin, um Rat gefragt, schlug zunächst „Cait“ vor, kam dann aber überzeugender mit „Curriculum Vitae“ ums windige Eck, was mich auf eine Idee zurückbrachte, die ich vor einem Jahr nicht verwirklicht hatte, da ich damals noch etwas Cait ins Land gehen lassen wollte. Das ist inzwischen hinreichend geschehen, sodass ich nun ein Dokument hervorkrame, das noch nie ein Arbeitgeber von mir gesehen hat.

Meine Damen und Herren, verehrte Leser des seppologs, werfen wir einen Blick in ein Arbeitszeugnis, das mir ein x-beliebiger meiner bisherigen Arbeitgeber ausgestellt hat, und prüfen wir den Wahrheitsgehalt, was natürlich gewagt ist, meinen aktuellen Arbeitgeber aber womöglich interessieren könnte. Denn er kennt es bislang ebenfalls nicht, er kennt aber meine Arbeit. Übrigens weiß ich freilich, dass der Lebenslauf etwas völlig anderes ist als ein Arbeitszeugnis. Ich breche hier also etwas über das Knie. Los geht’s, meist runter wie Öl:

Herr Flotho zeichnete sich in allen Tätigkeitsbereichen durch seine große Eigeninitiative und sein sehr hohes Verantwortungsbewusstsein aus.

Das ist korrekt. Denn stets war ich mir meiner Verantwortung bewusst, habe sie also, wo es ging, von mir gewiesen und weiter nach unten delegiert, was damals nicht leicht war, da ich schon sehr weit unten war. Unter mir gab es nur noch Praktikanten. Einen brachte ich – so trug man mir zu – mal zum Weinen. Ich bin und bleibe eben ein Tyrann. Mich will man als Chef nicht haben. Deutlich besser lief es aber mit den Praktikantinnen. Ich brach ihnen ihre zarten Herzen.

Aufgrund seiner sehr großen analytischen Kompetenz verbunden mit einer hohen Allgemeinbildung und seiner Erfahrung sowohl vor der Kamera als auch im Innendienst war er in der Lage …

Moooment, keinesfalls widerspreche ich hier, auch wenn ich das mit der hohen Allgemeinbildung anders sehe, weiß aber gerade gar nicht, was mit „Innendienst“ gemeint sein soll. Wikipedia definiert ihn als die Arbeit auf dem Gelände des Arbeitgebers. Was aber ist dann gemeint mit „vor der Kamera“, was doch auch im Innendienst stattgefunden hat?! Dass ich das nicht verstehe, offenbart die tatsächliche, die erbärmliche Ausprägung meiner Allgemeinbildung. Und meine analytische Kompetenz versagt in diesem Punkt völlig. Ich analysiere zwar, komme aber nicht zu einem für den Leser befriedigenden Ergebnis. Ich entschuldige mich dafür und zitiere fort:

… in der Lage, ein breites Themenspektrum abzudecken …

Werfen wir einen Blick auf das Themenspektrum hier im Blog. Worum geht es hier im Wesentlichen? Nur, wer genau hinsieht, wird feststellen können, dass sich alles um ein Thema hier dreht … Richtig, um meine eigene Person. Ich marginalisiere das breite Weltgeschehen auf: mich. Das riecht nach Narzissmus, ist es aber auch. Und es ist gar nicht mal so einfach.

Schmeicheln wir mir weiter, wenn es heißt:

Herr Flotho war ein hoch motivierter, sehr zuverlässiger und absolut loyaler Mitarbeiter mit einem hohen Maß an Teamfähigkeit, kommunikativer Kompetenz und einer sehr raschen Auffassungsgabe.

Ich muss kurz nachsehen, ob ich nicht versehentlich das Arbeitszeugnis eines früheren Kollegen vor mir liegen habe … Nein, es steht tatsächlich mein Name darauf! Loyal war ich. Bis auf den Tod. Damals galt: Was der Arbeitgeber sagt, ist Gesetz – bis hin zum Selbstverrat. Das kann man als Berufseinsteiger so machen, darüber hinaus macht es unglücklich. Als loyal den wichtigen Menschen gegenüber darf ich gerne gelten, im Privatleben gilt Unkenrufen zum Trotze absolute Loyalität gegenüber den wenigen tatsächlich sehr wichtigen Menschen, die ich an einer Hand abzählen kann, wonach ich noch Finger übrig habe. Danach gilt die Loyalität (im Privaten!) mir.

Teamfähigkeit. Nun, ich inszeniere mich gerne als das Gegenteil dessen, darum kann ich diesen Punkt nur schwer – trotz meiner entsprechenden Kompetenz (s. o.) – analysieren. Eines ertrage ich in Teams allerdings nicht: Totdiskutieren. Ich kann gerne den Tod diskutieren, verachte aber Totdiskutieren. Ich schätze schnelle Entscheidungen mit anschließendem Machen. Das kann im Team wunderbar funktionieren, erst Recht, wenn die Ziele des Teams erstrebenswert sind. Aber ein anderes Beispiel: Diesen Blog habe ich so weit nach vorn bringen können, weil ich mit niemanden darüber diskutieren musste – sondern einfach machen konnte. Es bleibt einer meiner wichtigsten Leitsprüche im Leben: Machen, nicht reden. Da ich zu oft das Gegenteil erlebt habe.

Auch bei kurzfristigen Terminänderungen und unter Zeitdruck zeigte er sich flexibel und behielt stets den Überblick.

Der Verfasser irrt. Gerade in jenem Job gab es gar keinen Überblick, es regierte das Chaos. Die Kunst aber ist die, so zu tun, als habe man das nicht Vorhandene, also den Überblick. Ruhe nach außen ausstrahlen bedeutet oft, innerlich amokzulaufen, was ich sehr oft getan habe. In meiner Gedankenwelt war ich durchaus schon Massenmörder. Und auch als Massenmörder gilt für mich:

Herr Flotho erfüllte alle ihm übertragenen Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit.

Denn wenn ich eines kann, dann Kaffeekochen. Ich mag ihn stark und schwarz.

Bei Vorgesetzten, im Kollegenkreis […] war er gleichermaßen beliebt und geschätzt.

Klingt erstmal gut, sagt aber nichts aus über den Grad des Geschätztwerdens, sondern nur, dass alle mich auf gleichem Niveau schätzten, was eben sehr niedrig liegen kann. Aber letztlich haben mich offenbar alle Kollegen auf gleichem Niveau geschätzt, was verdammt nach Absprache riecht. Irgendwann muss es also ein Treffen in meiner Abwesenheit gegeben haben, wo es hieß:

„Also, wegen Seppos Arbeitszeugnis brauchen wir noch ein, zwei Angaben. Zunächst einmal: Weiß jemand hier, wie sein richtiger Name ist?“

„Äh, Stefan, glaube ich.“

„Wer ist Seppo?“

„Nein, Sebastian. Ich meine, das stand auf seiner Abmahnung.“

„Gut, Sebastian also. Klingt so katholisch. Ah, ich sehe gerade, er kommt aus Münster. Nächster Punkt: Wir müssen ihn alle gleich schätzen. Keine Ausreißer nach oben bitte.“

„Aber nach unten?“

„Hehe, Spaßvogel, das geht gar nicht.“

Dieser nette, oben zitierte Satz ist natürlich eine höfliche Lüge, denn es gab Kollegen, die mich gehasst haben und ich weiß gar nicht, ob ich bei meinem Boss geschätzt war. Ich müsste da mal einen Blick auf meinen damaligen Lohn werfen, daran kann man ja sehen, wie sehr man geschätzt ist … Moment, ich suche … Oh, okay …

Jenes Arbeitszeugnis hatte ich damals natürlich auf die entsprechende Benotung abgeklopft. Wer sich mit den Formeln in solchen Werken auskennt, weiß, auf welche Note es bei mir – völlig zurecht – hinauslief. Entscheidend ist beispielsweise, dass von „sehr hohem Verantwortungsbewusstsein“ die Rede ist, nicht nur bloß von „hohem“. Ich war überdies nicht einfach nur „motiviert“, sondern „hoch motiviert“, was ebenfalls für Personaler einen eklatanten Unterschied macht.

Im nächsten Teil dieser Serie werde ich das Arbeitszeugnis als Oper inszenieren, denn es birgt viel an sozialen Sprengstoff.

Nein, tatsächlich wird es um den Buchstaben D gehen. Ideen?

Einen Lebenslauf, den findet man übrigens auf meiner Homepage!