Es war wieder einer dieser nebligen Tage, als ich …

So fangen gerne Erzählungen im film noir-Stil oder auch die Kinderbücher von Ursula Wölfel an, die mich offenbar sehr geprägt hat. 

… als ich meine Freundin Melanie Chorweiler traf, die doch recht betrübt aussah, was ich an ihrer körperlichen Fehlhaltung erkennen konnte:

„Melanje! Was ist mit deinem Kopf los?“

„Was soll mit ihm sein?!“

„Er hängt bedrohlich nahe am Fuße!“

„Ach, Seppo, ich bin halt betrübt. An diesem nebligen Tag.“

Ja, sagte ich, der Nebel schlage durchaus aufs Gemyt. Aber deshalb gleich einen Rundrücken machen?!

„Aber deshalb gleich einen Rundrücken machen?!“

„Ich bin schlecht gelaunt … Seppo, warum hast du Sägespäne im Bart?!“

„Äh, also, ich stand gerade sehr nahe an einer Kreissäge, das ist aber eine andere Geschichte.“

„Es blutet noch …“

Melanie Chorweiler kenne ich seit einigen Jahren. Seit etwa drei davon (Glaube ich, ich bitte um Verzeihung, Melanie, wenn das nicht ganz so hinkommt!) macht sie zwei Auslandssemester in Irland und lässt sich etwa ein Mal pro Jahr hier in Düsseldorf blicken. Sie studiert etwas in Richtung Inneneinrichtung; von ihr weiß ich, dass die derzeitige Trendfarbe weiß ist, wovon Akzentfarben nicht betroffen sind. Aber das ist hier nicht das Thema, dafür gibt es ja meinen Drittblog seppodécor.

„An sich kenne ich dich gar nicht schlecht gelaunt!“, sagte ich ihr.

„Es geht um folgendes: Mitunter neige ich ja zu einer gewissen Form der Selbstironie. Kennst du ja.“

Ja, das kenne ich. Von ihr und von mir. Wir sind da Brüder im Geiste, darf ich vielleicht sagen, wobei sie es in Perfektion beherrscht, eigenes Leid als völlig undramatisch anderen mitzuteilen. Wie keinem anderen gelingt es ihr, auch schlimme Dinge, die ihr widerfahren, anderen (oder zumindest mir) irgendwie als lustig zu verkaufen. Sie kann mir die unangenehmsten Dinge erzählen und ich bleibe teilweise ratlos zurück, nur ahnend, dass sie mir eigentlich Dramatisches mitgeteilt hat. Doch wenn sie es erzählt, klingt es irgendwie immer lustig. Ich bewundere das. Weil sie etwas nicht tut, was ich gelegentlich tue: Jammern. Obwohl ich Freund ihres Vorgehens bin, da ich selbst einmal geschrieben habe:

„Alles ist komisch, insbesondere das Tragische ist komisch, was es aber mitunter nicht weniger tragisch macht und somit spendet Komik in der Tragik nur bedingt Trost.“

Nur „bedingt“, klar, aber immerhin ein bisschen! Was nicht an die Existenz geht, hat meist tatsächlich etwas Komisches an sich, man muss es nur sehen und dann eben zelebrieren. Was bleibt einem sonst?!

Vor einigen Jahren wäre ich fast mal an einem Stück Schokolade zugrunde gegangen. Herzhaft konnte ich schon wenige Stunden danach mit den Sanitätern darüber lachen. Weil es ein wirklich alberner Tod gewesen wäre …

Sie beherrscht es also, nicht zu jammern, und noch viel besser versteht sie sich auf beißende Selbstironie, aufgrund derer ich etwa zweimal pro Monat herzhaft lachend am Boden liege, wenn ich ihre Geschichten höre. Sie sollte einen Blog schreiben. Ich würde im Gegenzug das Schreiben umgehend einstellen und sämtliche Leser auf ihren Blog weiterleiten. sabbellog.

„Seppo, nun traf ich auf Leute, die nicht verstehen, dass man der Realität manchmal auf die Sprünge helfen muss, damit sie mitteilenswert ist.“

„Ja, da rennst du bei mir offene Türen ein. Zwar schreibt das Leben die besseren Geschichten, aber selbst die kann man noch pimpen.“

„Wie du! Ja! Man streut hier und da eine Übertreibung ein!“

„Genau so läuft es. Ohne die Fakten zu verbiegen. Wobei Verbiegen noch geht, aber nicht Verdrehen!“

Ich gebe mir hier nachträglich noch Recht. Vorgestern beispielsweise fiel mir ein Ei auf den Boden. Das ist unspektakulär, das würde ich meinem Leser nie vorsetzen. Doch so ein Ei, das herunterfällt, hat ja an sich schon viel Komisches. Als bloßer Aufhänger einer Geschichte könnte es durchaus herhalten, man muss halt noch ein bisschen daran schrauben, noch etwas drumherum stricken.

Denn als ich den Kühlschrank öffnete, um fünf Eier herauszuholen, dachte ich noch daran, wie albern instabil Eier sind, obwohl sie beim Pressen durch die Kloake einiges an Druck über sich ergehen lassen müssen. Ich habe auf dem Bauernhof meiner Oma nie gesehen, wie ein Huhn beim Eierlegen eines zerbrach. Ausgerechnet den wohl dümmsten Tieren der Welt passiert das nicht, was einem hochentwickelten Mir etwa alle vier Wochen unterläuft: das Zertrümmern eines Eis durch Herunterfallenlassen.

Und ich überlegte noch, wie gewagt es war, vier Eier gleichzeitig in eine Hand zu nehmen, wo ich doch für das noch fehlende fünfte eh ein zweites Mal zum Kühlschrank gehen musste. Dennoch nahm ich vier, sodass das Unausweichliche eintreten musste:

Alle vier Eier kamen heil am Herd an, doch irgendwie blieb ich mit meinem Ellbogen an der Kühlschranktür hängen, befreite mich mit einem beherzten Ruck und riss dabei ein Ei aus der Eiablage in der Kühlschranktürinnenseite herunter auf den Boden. Das aber als nüchterne Wiedergabe eines wahren Ereignisses ist schlicht ungeeignet. Solche Dinge muss man pimpen. Das ist ein legitimes Mittel, um Alltagsgeschichten zu erzählen. Denn letztlich geht es nur um eines: Jedem Leser ist auch schon einmal ein Ei heruntergefallen.

„Und sooo wird es dann humorig!“, pflichtete Melanie mir bei, die sehr pointiert erzählen kann, vermutlich ohne um diese Begabung zu wissen. Doch manchmal überschätzt man die Heterogenität seiner Mitmenschen. Hören wir Melanie weiter zu:

„Kennst du das, wenn Menschen Ironie nicht verstehen? Das allein wäre ja nicht schlimm, aber wenn sie ob dieses Unverständnisses dich dann für doof halten, stehst du als der Dumme da, obwohl der andere ja der Dumme ist, der es nur nicht weiß!“

Und so etwas war ihr offenbar widerfahren. Was ich natürlich bestens nachvollziehen kann, da es mir laufend geschieht. Wie oft höre ich mich sagen:

„Nun, das war an sich jetzt nur ein Scherz“?! Sehr oft.

„Liegt es an uns?“, wollte Melanie wissen.

„Ja. Und nein. Ich weiß es nicht. Der Fehler, mein Fehler ist vermutlich, dass ich zu oft von mir auf andere abstrahiere. Ich wittere in allem Ironie und erwarte das wohl unbewusst auch von anderen. Das kann zu schweren sozialen Verwerfungen führen.“

Kürzlich warf ich (unvermittelt) in eine gesellige Runde ein:

„Zum Thema Schamhaar: Ich habe wirklich welches!“

Ein paar Minuten ins Land ziehen gelassen, dann:

„Also, Stichwort Schamhaar: dass mir da niemand eine große Sache raus macht. Ich habe welches!“

Einige Stunden später:

„Nochmal zu dieser Schamhaar-Affäre: Nicht, dass da jetzt der Eindruck entstünde, ich hätte keines, weil ich sooft betone, dass ich welches habe! Darum ist mir wichtig, das nochmal erwähnt zu haben. Ohne eine große Sache daraus machen zu wollen.“

Für mich war das erkennbar nicht ernstzunehmen und betont pubertär, doch erfuhr ich einige Tage später, dass einer der in jener Runde Anwesenden sich bei einem Freund von mir erkundigte, wie es um mein Schamhaar bestellt sei, ob eine Krankheit für mein nicht vorhandenes verantwortlich sei. Mir war es an sich nur darum gegangen, irgendetwas zu sagen.

Melanie war etwas irritiert, als ich ihr von dem Schamhaar-Vorfall erzählte, darum:

„Betone ich nochmal, dass ich wirklich welches habe! Wie kam ich denn jetzt auf diese Geschichte?!“

„Ironie.“

„Achja, Selbstironie geht im doppelten Sinne auf eigene Kosten. Ich sehe das inzwischen als Kollateralschaden und ignoriere denjenigen, der sie nicht versteht. Ich werfe es keinem vor, aber ich befasse mich dann auch mit ihm nicht mehr weiter. Dazu macht es zu viel Spaß, als dass man darauf verzichtete.“

„Man wird oft zu ernstgenommen, oder?“

Ja. Ich pflichtete ihr bei. Manch einer erwartet immer, dass man stets etwas Gehaltvolles zu sagen hat. Diese Erwartungshaltung ist unverschämt und spiegelt ein arrogantes Anspruchsdenken wider, denn jeder Rezipient ist sein eigener Herr und kann jederzeit weiterziehen. Ich kann am Ende nicht den Absender dafür in Haftung nehmen, dass ich mir meine Cait habe stehlen lassen.

„Sieh es als dein Talent an, die Dinge so zu nehmen und weiterzugeben, wie du es tust. Man kann leider nicht erwarten, dass es jeder auf die gleiche Weise versteht. Es gibt eben sehr ernste und anspruchsvolle Menschen, die keine Zeit für Humor haben.“

Ihr Rundrücken straffte sich wieder ein bisschen, sodass sie einigermaßen gefasst den Flieger nach … äh … Irland besteigen konnte.

(Und niemand hat uns in der Altstadt gesehen, puh!)


Nochmal in Sachen Schamhaar: Ich hab echt welches.