08.00 Uhr

Es ist soweit. Was sich über Monate anbahnte, wird nun konkret: Ein neuer beruflicher Abschnitt beginnt. Was in einigen Wochen Normalität für mich sein wird, ist noch neu, wird zunächst ungewohnt sein. Es geht ab sofort für einige Tage pro Woche nach Berlin, wo ich Teil eines bedrohlichen Medienimperiums sein werde, das seine massierte Meinungsmacht dazu nutzen wird, die Welt zu einer besseren zu machen. Zu dritt geht es ab elf Uhr etwa mit einem „Sprinter“ von der einstigen Medienmetropole Hürth gen Berlin, dahin, wo Havel und Spree kollidieren, wo ich dann als Westfale mit meiner sympathischen Mentalität mit der ebenso sympathischen der Berliner kollidiere.

Da ich diesen Text auf dem Smartphone während des Fahrens verfassen werde, bitte ich um Nachsicht, was Rechtschreibung und Formatierung angeht. Außerdem verweise ich auf die erste Episode dieser neuen Epoche meines Lebens!

13.07 Uhr

Jetzt kann ich es ja sagen: Nur für diesen Tag habe ich in den zurückliegenden Wochen abgenommen. Denn nominal bietet unser Sprinter durchaus Platz für drei Personen, real allerdings muss man sich mit den Mitfahrern sehr gut verstehen, da man sich eine intime Zone zu dritt teilt. Es ist eng. Nun ist das harmonische Miteinander unter uns seit Jahren erprobt, sodass ich da keine Probleme erwarte, auch wenn ich unseren Fahrer auf den Tod nicht ausstehen kann.

Fünf Stunden und 23 Minuten prophezeit uns das Navi an Fahrzeit. Ich bin mir aber nicht im Klaren darüber, ob der Stau, in dem wir jetzt nach wenigen Minuten Fahrzeit stehen, da schon eingepreist ist.

Derzeit sitze ich am Fenster, was erheblich mehr Beinfreiheit bedeutet, als dem in der Mitte Sitzenden vom Fahrzeughersteller zugestanden wird. Aber wir werden durchtauschen. Wir reichen uns gewissermaßen durch.

Was erwartet uns in Berlin? Wir werden in einem Haus leben, das über das Wesentliche und Dinge darüber hinaus verfügt. Jeder wird sein Zimmer haben, jeder einen Fernseher und vor allem Internet. Es folgen zweitrangige Dinge wie ein Bett, ein Nachtschränkchen und eine Kommode. Letztere brauche ich nicht, spare mir also deren Zusammenbau, da ich möglichst viel Platz für meine Sportgeräte benötige. Spontan habe ich vergangene Woche sämtliche zuhause vorhandenen Geräte erneut gekauft; sie liegen hinter mir im Sprinter. Wegen dieser Dinge müsste ich, was Kleidung angeht, recht spartanisch packen.

So verschieben sich im Leben die Prioritäten. Dass ich mal mit einem Koffer voll von Liegestützgriffen, „AbRoller“, „Chestexpander“, und Kettlebells reise, hätte ich vor noch einem Jahr für unmöglich gehalten. Meine neuen Mitbewohner werden ebenfalls Augen machen, wenn ich heute Abend säckeweise Proteinpulver auspacke.

Und genauso habe ich es mit den anderen Dingen meines alltäglichen Lebens gemacht. Ein neues Paar Laufschuhe, am Samstag erworben, bleibt künftig im Berliner Haus, was auch für eine komplette Bartpflegeserie gilt. Bartkamm, -bürste, -schere, -shampoo, -pomade, -balsam und -öl: Auf das alles will ich nicht verzichten, das alles will ich nicht wöchentlich von Düsseldorf nach Berlin und zurück transportieren.

13.45 Uhr

Rasthof. Ich packe meine Eiweiß-Pfannkuchen aus.

Leider schmecken sie exakt so, wie sie aussehen, bestechen aber durch ihre enorme Nahrhaftigkeit.

Ich versuche mich nun an einem Nickerchen.

16.00 Uhr

311 Kilometer noch. Ein Nickerchen gelang mir. Inzwischen haben wir allerdings Plätze getauscht und bei einem weiteren Einschlafen drohte mein Kopf, einen meiner Sitznachbarn auf die Schulter zu fallen. Das wäre mir etwas unangenehm.

Derweil liegt eine zweite Rast hinter uns, Herford Süd, wo ich fast mein Handy verloren hätte. Beim Aussteigen fiel es mir unbemerkt auf den Boden, Display natürlich voran. Was bringt mir eigentlich meine Handy-Schutzhülle, wenn diese im Fall sich öffnet?! Nun, es ging noch einmal gut, durch Zufall sah ich das Handy am Boden liegen und wollte meine Mitreisenden schon über den Fund eines Fremdhandys informieren, bevor ich dann bemerkte, dass ich das Mobiltelefon sehr gut kannte.

In der Mitte des Sprinters sitzt es sich deutlich mieser als befürchtet. Die Beine sind zum Verharren in einer einzig möglichen Position verdammt, mein rechter Fuß hat sich zwischen meiner Tasche und dem Sitz verkantet. Egal, wie ich ihn zu bewegen versuche, da ist nichts zu machen. Ich gebe ihn also auf.

Ein weiterer Kollege befindet sich etwa 200 Kilometer vor uns. Er fährt von einen Stau in den nächsten, teilte er uns via Whatsapp mit, sodass wir davon ausgehen können, das uns bald selbiges Schicksal ereilt. Ich schlage mir die Zeit tot mit Schreiben, Schlafen und Lesen; dieser Turnus in immer derselben Reihenfolge, sodass ich jetzt wieder die Augen schließe, mich vielleicht bette auf die Schulter eines Ablaufregisseurs oder meines Moderationskollegen. Das Schicksal wird es entscheiden.

16.48 Uhr

Ein „Ich muss schiffen“ unseres Fahrers hat mich brutal aus der REM-Phase gerissen, in die ich wider Erwarten geraten war. Noch 241 Kilometer roter Teppich liegen vor uns und mich plagen Rückenschmerzen.

Mein Kopf hat keine der sechs Schultern hier belästigt, da ich eine sensationelle Idee hatte. Man kennt es ja, man schläft ein und der Kopf sackt nach vorn herüber – zack, wach ist man. Meine geniale Idee folgte nun einem revolutionären Ansatz: Ich tat das, was ich in den zurückliegenden, turbulenten zwölf Monaten nicht getan habe; ich ließ den Kopf von vornherein hängen, versuchte mich erst gar nicht an einer würdevollen Schlafsitzposition. Ausgetrickst! Famos, Seppo!

Oh, es wird getankt.

Natürlich weiß ich, dass es in Berlin (Ich weiß, Spandau ist nicht Berlin, zahlreiche Leser wiesen mich darauf hin.), grundsätzlich kälter ist als in meiner Heimat. Aber dass schon 200 Kilometer vorher Winter herrscht, war mir nicht bewusst. Das wird beim Laufen morgen früh ein heiterer Spaß, da ich nicht für diese Temperaturen gepackt habe.

Geradezu rührend, wie mein Kollege und ich uns meine Powerbank teilen, wie mir gerade auffällt:

Es wäre noch ein Steckplatz für ein drittes Handy frei. Diese Powerbank ist eine Sensation; vor Bielefeld leistete sie unserem Sprinter, der eigentlich ein „Iveco“ ist, Starthilfe, als uns die Autobatterie eingefroren war.

Zunehmenden Hungers wegen schmecken meine Lederlappen, die Pfannkuchen, immer besser. Ich könnte jetzt noch die Eier auspacken, die freundlicherweise meine Mitbewohnerin mir zu Ostern bemalt hat und ich verwehre mich hier gegen etwaige Doppeldeutigkeiten, denn ich meine diese Eier:

Derer zehn hat sie entsprechend gestaltet und ich wage gar nicht, diese Kunstwerke auf das Armaturenbrett zu schlagen oder mittels Messers zu öffnen. Ich muss das kostbare Ei anderweitig aus der Schale befreien und verschlingen, ohne das Kunstwerk zu beschädigen. Aber vielleicht ist genau das der Reiz am Bemalen von Eiern, dass es sich um flüchtige Kunst handelt.

Ich habe noch zwei Stunden Zeit, darüber nachzudenken. Zunächst will ich aber noch einmal den Kopf hängen lassen.